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112 O^etlausitzerkZeimatreitung ftft. 5 Bald kann sich die bisher den Herren von Kamenz unter stehende Siedlung von der lästigen Bevormundung durch diese losreißen und landesunmittelbar werden, der Zufall, eine Lebensverwirkung ihrer Herrschaft, kommt ihr dabei zu statten (1348). Seitdem lebt sie mit ihr und den umliegenden adeligen Vasallengeschlechtern meist in nicht ganz ungetrübtem Einvernehmen: Es ist das Raubrittertum auf der einen Seite, das dein Städter das Leben schwer macht, und der zunehmende Wohlstand der „Pfeffersäcke" auf der anderen Seite, die dem Landadel ein Rittergut und Dorf nach dem andern abkaufen. Haß und Neid, Streit und Zank sind die Folge dieser wirt schaftlichen Entwicklung, die man allerorts beobachten kann. Gegen die Straßenplacker schließen sich 4346 auf Anraten ihres Landesherrn, des klugen Böhmenkönigs Karls IV., die Ober- lausitzer Städte zum Sechsstädtcbund zusammen und werden nunmehr, geschloßen gegen den Landadel auftretend, eine furchtbare Nlacht, an der sich die Ritterschaft vergeb lich reibt. Zu blutigem Zwist kommt es mir den rittcr bär tig en Vasallen der Herren von Kamenz 4409, als diese ihre Vorrechte ausnützen, um sich an den Kamenzer Bürgerfrauen und -Nkädchen zu vergreifen, furchtbar ist die Selbsthilfe des stolzen Bürgertums: Alle Edelinge werden er schlagen. und sogar der strenge Könia V^enzel, der wenige Jahre zuvor fürchterlich iin benachbarten Bautzen gewütet hatte, war gerecht genug, die Untaten des Adels nicht zu decken. Bald war cs überhaupt mit der Nkacht der Herren von Kamenz NI Ende. Der letzte verkaufte 4432 das Schloß seiner Väter an die emporblühende Stadt. Das war nach jenem furchtbaren Hussitenjahr 4429, wo die tschechischen Ketzer in unserem Städtlein schrecklich ge haust haben möaen: Ganz Kamenz ging in Flammen auf. Das (Mittelalter ist eine streng kirchlich gesinnte Zeit. Nkan tut alles (Mögliche, um die Gottheit mild zu stimmen. (Man baut ein neues, großes Gotteshaus und weiht es der Himmelskönigin (4480 vollendet), man stiftet Altäre (4383 4. Altar) und Kapellen (4358 die Katechismuskirche, 4377 St. Just), gründet Brüderschaften, veranstaltet Pro zessionen und feiert Jubeljabre. Im letzten Jahrzehnt des 45. Jahrhunderts lasten sich Franziskaner mönche an der Außenmauer der alten Sechsstadt nieder und weihen 4 499 die Klosterkirche St. Anna, bald umschließt eine mächtige ((Möuchs-)(Mauer den neuen Anbau, und ein Zugang zur alten Stadt, das Klostertor, wird geschaffen. Erbittert sind wie allerorten die Zunft kämpfe gewe sen: 4 507 setzen die Handwerker durch, daß ihre Führer in den Rat an Stelle der alten Geschlechter kommen Deren Lei tung bewäbrt sich allerdings schlecht, und schon nach zwei Jah ren haben sie abgewirtschaftet. Der Rat in alter Zusammen setzung kehrt zurück und sucht den ohnedies nur schwachen Ein fluß der Handwerker noch mehr zurückzudrängen. 20 Jahre später pocht zum ersten (Male die neue Lehre Luthers, gebieterisch Einlaß heischend, an die Tore unserer Stadt: Der junge Kaplan Johann Ludwig be kennt sich am Ostcrfeiertag 4527 zum „Neuen lWesen". Sein Bleiben ist nimmer lange, das Kloster (Maricnstern, der Kirchen patron, vertreibt ihn und alle, die den Irrlehren des (Witten- berger Propheten anhängen. Doch das Neue setzt sich nach rähem Kampfe durch: Der Rat nimmt die (Wahl des Predigers selbst in die Hand, und in das verwaiste Kloster zieht 4570 die mit neuem Leben erfüllte Lateinschule. Zwei Jahre später (4572) legt em großer Brand fast die gesamte Stadt in Asche, ein weiterer zerstört im An fang des 48. Jahrhunderts (4707) beim Eindringen Ser Schweden Karls XII. im Nordischen Krieg abermals unser Gemeinwesen, und der letzte große von 4842 hat abermals große Verheerungen angerichtet. Nicht minder schwer sind die beiden Pestfälle von 4585 (500 Tote) und 4680 (4500 Opfer). Auch dem mittelalterlichen Aberglauben mit seinem Irrwahn von Teufeln und Hexen mußte unsere Stadt ihr Opfer bringen: 4655 fiel das Haupt des unglück lichen DiakonuS Dulich, dessen ganze Schuld darin bestand, daß er sich mit seiner Fran nicht vertragen konnte, unter dem Schwert des Henkers. Zwei Kriegsereigniste bringen das mittelalterliche Kamenz an den Rand des Verderbens: Das eine ist der Pönsall der Sechs st ädte 4547 nach dem schmalkaldischen Kriege, bei dem der Oberlausitzer Adel seine langangespcicherte Rache an den reichen Städtern ansüben konnte, denen wegen ang!b- lichen Landesverrats ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmt wurde. Rund 70 Jahre später bringt der 30jährige Krieg unsere Stadt völlig znr Verarmung: Der Sachsen kurfürst Johann Georg I. nimmt 4620 die Obcrlausitz in Ver waltung, und ein Jahr später tagt der erste Landtag unter kursächsischer Leitung in Kamenz. Doch des Sachsen haltloses Schwanken zwischen Kaiserlichen nnd Schweden führte zn einer schrecklichen Verwüstung aller seiner Lande. Erst die segensreiche Regierung August d. Star ken läßt unsere Stadt wieder aufatmen, es ist die Zeit, wo die Familie Lessing die Zügel des Stadtregiments in der Hand hält, besonders des Dichters Großvater Theophilus, und während der der letzte große Aufklärer Gvtthold Ephrai m am 22. Januar 4729 als Sohn des damaligen Archidiakonus nnd späteren Pastor Primarius Johann Gott fried Lessing hier das Licht der Vielt erblickt. Die schweren Zeiten der Schlesischen Kriege, besonders der Siebenjährige, bringen Kamenz abermals um alle Ersparnisse des vergangenen Friedensabschnittes, und bei Beginn des 49. Jahrhunderts warfen die Napoleoni schen Kriege, 4806—07 und 1810—14, von neuem die schwer kämpfende Einwohnerschaft nm Jahre zurück. Der all gemeinen Notlage fällt 4818 die Lateinschule zum Opfer, da für entsteht eine Volksschule. Nur langsam und allmählich beginnt die wirtschaft liche Besserung, mit einer Reihe kultureller Erschei nungen kündigt sie sich an: 1822 Gründung einer Zeitung, des heute noch im Besitz der Familie Krauschc befindlichen Kamenzer Tageblattes; 1826 Grundsteinlegung zum Kranken haus „Barmherzigkeitsstift", einer Schöpfung des edlen (Men- schcnfreundes Dr. Bönisch; 1839 Entstehung einer Sparkasse. Der Stadtbrand vom 4./5. August 4 8 4 2 wirft Kamenz nochmals zurück, doch mutig, weitsichtig nnd un verdrossen gehen Bürgerschaft nnd Rat an den Dftederanf- bau (4843 Grundsteinlegung zum Amtsgericht, 4844 Ein weihung der Stadtschule, 1848 2Reihe des Rathauses). Die Revolutionen von 4830 und 4848/49 gehen nicht, ohne Spuren zu hinterlassen, vorüber. 1830 wird eine Kommunalgarde ins Leben gerufen, an das Einheits streben der alten „Liberalen" erinnert die schwarz-rot-goldene Fahne des 1846 gegründeten Turnvereins, und die Paulskirche von 1848/49 sah sogar einen Kamenzer unter diesen deutschen Idealisten, die das Beste wollten und doch nichts zu Stande brachten.