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276 Okerlausitzer hsteimatreitung I^It. 11 schaltender, gewalttätiger Herr geschildert, über den sich die Stände und Ritterschaft des Markgraftums beim Kaiser Ferdinand l. 1555 hart beklagten. Die dicht unter dem Schlosse über die Pulsnitz führende Brücke, über die heute noch die Bvtenfuhrwagen in die Stadt holpern, erinnert an diesen gestrengen Herrn, der sie erbauen ließ. Die eigenwillige Inschrift an der Brücke läßt Sinn und Diesen dieses will kürlichen Burg- und Markgrafen erkennen: „Der Wohlgeborne und Edle Her, Her Christof Burggraf von Dohnen, Her auf Königsbrück und Nlarkgrafenthums Überlausitz Landvogt: Auf seiner Gnaden Schaffen und Zuthun ist diese Brücke erbauet worden. Haben seine Gnaden mit Ihren eigenen Händen den ersten Grundstein geleget den Montag nach Kiliani, welches der erste Tag des Monats Juli im 1558. Iar." Darüber ist das lWappen des Burggrafen mit den beiden Hirschgeweihen angebracht. Heute ist es verhältnismäßig still geworden in der Stadt Königsbrück. Sie hat seit Beendigung des Weltkrieges nicht mehr den Fremdenzustrvm aufzuweisen, der sich sonst alljähr lich, Sommer und Winter, auf „höheren Befehl" hierher verfügte — um anständig schießen zu lernen — und zu Hun derten, zu Tausenden die Straßen und engen Gassen mit den weinumrankten niedrigen Häusern belebte und ihr ein sroheg munteres Gesicht gab. Es ist still geworden auf dem Marktplatz, dessen Buckel pflaster so manchen harte» Soldatenschritt zu spüren bekam, besten Häuser so manches frohe Fest mit den Soldaten erlebten. Der Nebel drückt die Dächer schwer. Rauchfahnen geistern an schmalen Giebeln vorbei. Vermummte Gestalten huschen in der Frühe des düsteren Tages über den Marktplatz und verschwinden hinter einer klingelnden Ladentür eines Krämers. Ein altes Soldatenlied summend — wie oft haben wir es doch vor einer Reihe von Jahren im Gleichschritt durch diese Gasten gesungen —, ziehen wir aus dem Städtchen in den nebel grauen Tag, der gar keine Verheißung birgt, sondern die Welt einhüllt, trüb und unheimlich macht. * Auf hoher Landstraße steht in dünnem Nebelkleide ein schlanker Turm. Er rückt näher und näher, wird größer und aroßer — und jetzt gliedern sich auch einige Steilgiebel nm hn: St. Marien sendet uns den ersten Gruß der alten Lau sitzer Sechsstadt Kamenz. Am Hutberg baut sich die Stadt auf mit ihren niedrigen, bunten Häusern in der Vorstadt, mit den Türmen und hohen Giebeln der Kirchen, die aus alter Zeit stehen geblieben sind und Kriegsstürmen und wiederholten Fenersbrünsten trotzten. Am „roten Turm" vorbei, in dem der unglückliche Dit- konus Caspar Dulichus, nachdem er 1643 seines Amtes wegen Aberglaubens und Heperei enthoben, aus der Stadt verwiesen und nach zehn Jahren lkmherirrens in der lWelt als Gefan gener bis zu seiner im Juni 1655 auf dem Mckrkte der Stadt erfolgten Hinrichtung schmachtete, wandern wir durch das Lessinggäßchen nach dem ^Wahrzeichen der Stadt, der Haupt oder St. Marienkirche. Der Kirche gegenüber lag einst das Diakonat, in dem am 22. Januar 1729 Saclstens größter Dramatiker und Kritiker geboren wurde: Gotthold Ephraim Lessing. Eine Feuers brunst, die im Hochsommer 1842 durch die Gasten und Straßen eon Kamenz jagte und bis auf wenige Häuser und Bauwerke die ganze Stadt in Asche legte, hat auch das Geburtshaus Lessings mit vernichtet. Ein Gedenkstein in einem kleinen G w- ten zeigt heute dem Besucher von Kamenz, der sonst in der Stadt wenige Erinnerungen an den Dichter des „weisen Na than" finden wird, die Stelle an, wo einst der Knabe Lessi ig im engen Vaterhaus seine ersten Iugendlräumc spann, neb-n einem großen Stapel Bücher saß und so viel Wissen auf ein mal aufnehmen wollte; so wie ihn das bekannte Kinderbild i.ü n.it seinem Bruder im Lessingstift in Kamenz darstellt. Beim Betrachten dieser schlichten Stätte mit der Tafel, > n die der lWind den Regen unbarmherzig schlägt, steigt in lWnntertag in der Erinnerung der Lebensgeschichte des groß-n Sohnes der Lausitz auf; ei« Wnntcrtag mit Schnee nnd gri» i, iger Kälte und frötck'cbem Aufjauchzen von Kindern, die sich auf der steilen Straße am Pulsnitzer Tor mit Schlittenfahren vergnügen. Da rumpelt dis Postkutsche durchs Stadttor. Ein blutjunger Mensch mit dünnen Kleidern entsteigt ihr mit be sorgtem Gesicht und der bangen Frage auf den Lippen: Ward die Mutter noch ain Leben sein? 1km ihretwillen rief ihn der Vater, der gestrenge Pfarrherr von Kamenz, Pastor Prima rius Johann Gottfried Lessing — der sich im Nebenamts mit dem Verfaßen von Chorälen und rührend komischer Verse und Sprüche beschäftigte, aber auch gelehrte theologische Schriften schrieb —, mit Eilpost von Leipzig, wo er sich, der junge Herr Sohn, auf die Gottesgelahrtheit und das Amt eines würdigen Lausitzer Pfarrherrn vorberciten sollte, in Wirklichkeit aber tanzte, focht, Komödiantenstücke schrieb und mit höchst berüch tigten Personen, wie der Neuberin und ihren leichtlebigen Ge sellen, Umgang pflegte. Er eilt das Pfarrgäßchen, das heute seinen Namen trägt, hinauf, mit hochroten Backen, stürzt in das Haus — und findet die ganze Familie, wohl in Ängsten um ihn, aber gesund um den Tisch versammelt. Und schließ lich klärt sich alles auf. Der um das Leben des jungen Kanoi daten besorgte Kamenzer Pfarrherr hat eine Todkrankheit der Mutter vorgcschützk, um die Heimkehr und die Bekehrung des angeblich verlotterten Herrn Sohnes, von dem ein Kamenzer Kaufherr, der ihn in Leipzig zur Neujahrsmestc getroffen, tolle Sachen zu erzählen wußte, zu erreichen. Die Kirche von St. Marien mit ihrem gewaltigen Turm und hohen Dächern ist nicht nur ein Schmuckstück der Stadt, cuf das die Kamenzer stolz sein können, es ist ein Juwel der ganzen Lausitz. Man sieht es der in heimischem Granit er bauten Kirche an, daß sie einst noch mehr war als ein frommes Gotteshaus, daß ihr Turm in früheren Zeiten auch als Kiek türm und ihr starkes Mauerwerk als eine Art Bastion diente. Vor Jahren —- an einem Frühlingsabend — habe ich zum ersten Male das Innere dieser eigenartigen Kirche be treten, die in Gewölben, Chören, Logen, bunten Glasfenstecn und Schnitzereien wogt; an einem seltsamen Frühlingsabend, un dem ein lWunder sich an das andere reihte. In dem alten Kirchengestühl saßen dicht gedrängt die Bürger der Stadt und lauschten der Musik von Johann Sebastian Bach, der von der hohen Vrgelempore brauste, durch den weiten, oft geteilten Kirchenraum zitterte und durch die bunten Butzenscheiben hin aus in den mondhellen Frühlingsabend drang und nm die alten Gräber schwebte. Eine reiche Geschichte ist nut dieser Kirche auf granitncr Höhe verknüpft, in der einst der Vater Lessing seine Bußpre digten ans die Köpfe der „boshaften Camzer", der Tuchmacher, Leineweber und Töpfer herabwetterte. Und hinter dieser Kirche, wo hinter den Grabsteinen die alte Stadtmauer bröckelt, steht unter alten Akazien eine Steinbank. Hier, neben der sich ängst lich an die Stadtmauer hängenden Katechismuskirche mit den schlanken Strebpfeilern und Schießscharten, ist der schönste Platz der Stadt, an deren Mauerwerk die Hussiten stürmtm