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HP. y O^etlausitzer^eimatreitung 219 nickten die liebe» Heiligen am Altar, Zeugen längst verg n- gencr Zeiten, den Kirchenbesnchern freundlich zu, besonders der heilige .Bischof Gallus kann sich gar nicht geuugtun: „Pax vobiscmn, ihr Seierschdorfcr! T8enn ich nicht wäre und mein Tag, Hättet ihr die Kirche nicht und keine Kirins! Laßt Euch nur öfters bei mir sehen, nicht nur heute!" Nach Eingangslied und Festtagsliturgie steigt die große Kir chenmusik. „Koarle" hat sich erschreckliche Mache gegeben, sei nen gemischten Ehor, den er recht im Zuck hat, und die Vvit- tendorser und Seierschdorfcr Musikanten in Einklang zu bringen. Sogar die alten Kesselpauken haben den Kirchboden verlassen mästen und wirbeln lustig mit, und Schäfer-Her manns Posaune dröhnt wie die Tuba des Weltgerichts, 's is doch anne Freede, zur Kirmskirchenmustke mitzumachen, zumal das Kirmsgeschäft so gut gegangen ist! Dr Poastr bleibt üb rigens auch nicht dahinten, bis zur „Turmeshöhe" gelangt er in seiner Festpredigt. „Su schiene hoat ha's lange ni mie gemacht, wenn ha's o sunst brengt! Doas ivoar weeßdrhole an richtsche Kirmspräd'gt!" Selbst die alte Christiane, die treuste Kirchengängcrin und dabei die strengste Kritikerin, schließt sich der Meinung der großen Nkasse diesmal an, auch sie brummt: ,,Su schiene hoat ha's lange ni mie gemacht! Doa woar Geist hinuc!" Nach den geistigen Genüssen der Kirmes folgen die leib lichen. Die lassen sich weder erzählen noch aufzählen, die müssen mitgcmachk werden. Vvcr's noch nicht erlebt hat, muß versuchen, gute Bekanntschaft mit den Kirmsfcicrnden vor ver Kirmes zu machen oder aus dem Kirchenbuch eine alte Ver wandtschaft herauszufindcn, dann wird er sicher eingeladen; denn zur Kirmö wird der Bekannten- nnd Verwandtenkrcis sehr weit gezogen, es heißt da: „Viel Gäst', viel Ehr!" Znm Kirmsesten gibts Kirmsvergnügen mancherlei Art! Die Jugend veranstaltet einen großen Festzug mit Herolden, Schützenlicseln (fästelnde Erscheinungen, weil sie die SchnapS- fässel tragen), Bajasten, bewasfnet mit Gchweinsblasen, nnd einem martialischen „Schandarm". Die Jugend zieht zum Adlcrschicßen, Windbüchsenschicßen und Ritterstechen. Auch der KirmeStanz, der im nudelvollen Kratschnsaal vor sich geht, ist eine Veranstaltung der Jugend. Im Kratschnhofe aber, im Vcrgnügungseck, dreht sich Grundmanns Karussell, dudeln die Leierkästen von Luftschaukel und Weibermühle, klingt das Ratschen der Glücksräder und das „Bratl rei!" der Wärfelbuden. Wer übrigens von der Kirmömahlzeit noch nicht satt ist, kann im Vergnügungseck die Lucken in seinem Magen noch ansfüllen mit VUrrsteln, Tschuklade, Pfeffer kuchen, Pfengfischcln, Bier, Limonade. Echte Kirmsgäste neh men das auch alles getreulich mit, so daß sie beim Schsi)m mit Kuchenpaketeln beladen, mit Recht sagen können: „Hoatt ock villmoalö schirm Dank für doas gute Assn, für die viele Mlehe und für die oangetoane Jhrung!" Der dritte Feiertag der Kirmes heißt TLälztag, sein Name erklärt sich von selbst und bedarf keiner ausgemährten Erzählung! Eine besonders originelle Volksbelustigung ist die Hum- t e r e t t e, der man mir noch an zwei oder drei Orten be gegnet. Ein enges, hohes viereckiges Zelt ist aufgeschlagcn. Ein eingelassenes Bild zeigt drei Musikanten, zwei „Geigemännel" und den Baßgeiger, mit beweglichen Armen und Fiedelbogen. Ihre Gesichter aber haben natürliche Größe und natürliches Leben; denn der sinnige Schöpfer hat Löcher ausgeschnitten. durch die drei Sänger ihre Köpfe stecken. Sie tragen mit komischen Grimassen Vierzeiler vor mit dem Kehrreim Humca humterette, humta humteretke, humta humterette ha ha ha. Dazu bewegen sie die künstlichen kleinen Arme und Fied-l- bogen des Bildes, während im Zelte drei ^Musikanten eine aase Streichmusik machen. In den Versen werden oft Ereignisse oder Gestalten ans dem Dorfe glossiert, und mancher Zuhörer bekommt seine Spitze. Aber das wird lächelnd hingenommen: in einer richtigen Gemeinschaft versteht man Spaß. „Sinte malen die Leute dazu geschaffen sind, daß sie freundlich nnd ehrlich untereinander leben sollen", schrieb Johannes Agrikola. Nun aber kommt die dunkle Zeit. Stürme heulen über die Felder und um die Häuser, und wenn sic verstummen, herrscht Bußtags- und Totensonntagsstimmung. TLeihnachten ist das einzige, aber auch das schönste Licht, das in dieser Zeit leuchtet. Feste im Freien gibt es vom Herbste bis zum Früh ling nicht. Aber die Geselligkeit im Hause wird gepflegt. Dis R o ck c u st u b e u gehören der Vergangenheit an, aber noch immer geht man „zu Rocken", freilich ohne Spinnrad, oft auch „zum F e d e r s ch l e i ß e n", und wenn es keine Federn zu schleißen gibt, so lädt man die Verwandten und Nachbarn ein: „Kummt ock Hinte zu Lichten!" Solche habe ich als Kind im Eltcrnhanse viele erlebt. Und durch sie habe ich frühzeitig Blicke in unser Volkstum getan. Uuge-