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Das !)lülienc!e Ksmenr W^o liegt denn das Kaff überhaupt? so wird mancher Leser fragen, der den Namen unserer Lessingstadt zum ersten Male hört. Dorthin fahren? — Ausgeschlossen, was sollen wir dort, in der wendische» Türkei, wo sich die Füchse gute Nacht sagen? Nun, ich bin in der glücklichen Lage, Zengen zu nennen, die ähnlich gedacht haben und begeistert von dem vielen Schö nen, was sie gesehen haben, heimgekehrt sind. Jeder kommt auf seine Rechnung, wer nicht ausgerechnet „Betrieb" bei uns sucht. Im Frühling vor allem der Naturfreund. Im Blü te n s ch m u ck stehen da die weithin gerühmten Anlagen, die die glückliche Hand des Stadtgärtnerö Hilscher schufen. Schon am Bahnhof grüßen auf dem Lesßngplatz, der seinen Namen von der Stadt größtem Sohne trägt, prächtiger Blumen- und Baumschmuck, der auf dem Albertplatze und am neuen Lessinghause stch wiederholt und steigert. Bor allem aber ist es der Hutberg, den man mit Recht den blühenden Berg genannt hat. Hofgärtncr Weiße schuf hier mit seinen Blaufichten und Edeltannen eine Parklandschaft, die sich sehen lasten kann. Mit vieler Mühe und großen Kosten wurde dann Jähr für Jähr von der Stadtverwaltung der Besitz vermehrt und die Anlagen erweitert. Das einstige Gebiet nimmt sich heute kümmerlich aus gegen das, was im Laufe der Zeit neu angelegt wurde. Bor allem sind cs die prachtvollen winter harten Azaleen- und Rhododendron Haine, die in ihrem Bliitenschmncke jedes farbenfrohe Auge entzücken. Vom hellsten Gold bis zum satteste» Not winke» die Blüte» der Azaleen, während die Rhododendren mehr ins Blauvio letkc schimmern. Tausende besuchen alljährlich Kamenz zur Maienzeik, ste scheide» srohen Herzens, denn es gibt wenige Städte, die stch gleicher Anlagen rühmen können. Weithin schaut das Auge von den verschiedensten Ans si ch t S p u n k t e n des Hutberges. Während im Westen vas Lückersdorfer Tal mit seinem friedlichen Bauerndorf und seinen Granwackebergen dahinter rasch den Blick abriegelt, ist die Aussicht nach Norden und Osten ungehindert. Gegen Mitternacht grüßen am Horizont die Schornsteine der Nieder- lausttzer Kohlengruben und des Lautawcrkes inmitten weiter Wälder, während gegen Ntorgen das Auge weit ins Wen denland mit seinen Kirchen und Teichen schaut. Nach Süd osten schließen die Lausitzer Berge das Bild ab. Zuerst der markige Kamm des Czornebohg und des Ntönchswaldcrs bei Bautzen, zwischen denen der Bieleboh fast niedrig erscheint. Dann fesselt den Blick der mächtige Rücken des Baltenbcrges, an den sich, bis zum Vordergrund reichend, die Kamenzer Bergkette anschließt. Dazwischen liegen unzählige Dörfer und Felder und legen Zeugnis ab von dem fruchtbaren Boden der „Klosterpflege". Zu Füßen des Hutberges, zu dem eine schattige Linden- nnd Kastanienallee hinaufführt, liegt Kamenz, die alte Sechs stadt. Wuchtig grüßt das alte trntzigc W ahrzeichcn der Stadt: Der Turm der Hauptkirche St. M a - r i e n. Sie ist ein stimmungsvoller Ban, wuchtig rein äußer lich, innen schön verziert durch eine» alten gotischen Marien- altar. Dem ausgehenden Nkittclalter gehört ste an, 1480 war sie vollendet. Doch spätere Jahrhunderte haben auch das ihrige getan, so hat vor allem die Barockzeit dem Turme ein ganz anderes Gepräge gegeben. Män versäume nicht, sich in der Vorhalle zum Chor die Grabsteine von Lessings Eltern und Großeltern anzusehen, sie künde», daß der Bater Ntag. Johann Gottfried einst Pastor Primarius hier war und der Großvater Theophilus sogar Bürgermeister. Die alte Friedhofsmauer erzählt von Zeiten, wo die Stadt befestigungen nötig waren, um den Bürger vor Raub und Mord zu schützen, der Rote Turm, der Torturnr des ehemaligen Pulsnitzer Tores, ist nicht weit. Zur Seite der gewaltigen, vierschiffigen Hauptkirche kuschelt sich die kleine K a t e ch i S m u S k i r ch c, die einst im frühen Nkittelalter eine fromme Frau stiftete. Auch sie trägt noch ganz wehr haften Charakter und war gleichzeitig eine Bastion am Steil abfall des Herrentals. Prächtig ist auch der Blick vom stei nernen Tische ans, man überschaut weithin die Landschaft. Unweit des Friedhofes, dem schöne alte Grabsteine ein stimmungsvolles Gepräge geben, befindet sich die Stätte, in der einst Gotkhold Ephraim Lessing, der große Streiter für Geistcsfreiheit und Duldung, am 22. Januar 1729 das Licht der Dvelt erblickte. Heute ist von dem einstigen Geburts hause nichts mehr vorhanden, der Stadtbrand von 1842 hat diese denkwürdige Stätte vernichtet. Doch weitblickender Bürgergcist ließ wenigstens den Platz abgrenzen, um die Nach welt an den großen Stadtsohn zu erinnern. In den letzten Jahren, anläßlich der 200. Wiederkehr des Geburtstages dieses edlen Deutschen, hat nun die umsich tige Stadtregierung ihrem bedeutendsten Bürger ein Denk mal gesetzt, „dauernder als Erz" — das L e s s i n g h a u ö. Schon seine Lage am Rande des alten Klosters, von dem noch die „Monchsmauer" und die wuchtige „Wändische Kloster kirche St. Anna", die prachtvolle Schnitzaltäre in ihrem sonst schmucklosen Inneren birgt, ist eine außerordentlich glückliche. Schmucklos der äußere Ban der 1931 eingeweihten Lessing stätte, schlicht und der Not der Zeit entsprechend auch das Innere. In den Räumen des .Obergeschoßes haben die städ tische Volksbücherei mit einem kleinen, anheimelnden Lese zimmer, sowie ein hübscher Vortragssaal Unterkunft gefunden. Das erste Stock birgt das Stadtarchiv mit ganz neuen Stahl gerüsten und -möbeln, hier ruhen die alten Stadtbücher und Urkunden, z. T. noch unerschloßen für den Forscher bezw. den Familienkundler. Die alte Raksbücherei, die im Arbeitsraume des Archivs mit untergebracht ist, birgt manchen wertvollen Schatz von Wiegen- und Erstdrucken, so z. B. Luthers TOerk in der Erstausgabe, viele theologische und juristische TOerke. Eine Eigenart bietet ferner das Lessinghaus, die es be rühmt macht und besuchenswert weit über den Rahmen einer sonstigen Sehenswürdigkeit: das ist das Lessing muse u m. Hier haben Liebe und Stolz Erinnerungen an den großen Geisteshelden zusammengetragen, die stch sehen laßen können. Erst- und Frühdrucke seiner Dverke, Pracht ausgaben, Gesamtwerke, wissenschaftliche Abhandlungen, Er innorungen an Lesßngfestlichkeiten, Bilder in Stahlstich, Kupserdruck, Nachbildungen von Denkmälern, Photographien. Eigenartig auch die Abteilung, die der Familie Lesßng, den Nachkommen der Brüder des Dichters, gewidmet ist. Sic kündet uns vom Husßten-Maler Carl Friedrich, dem Bild hauer Otto und dem Kunstfreund Carl Robert — um nur drei bedeutende NämenSträgcr zu erwähnen. Den Glanzpunkt des Hauses aber bilden die Ahnenbilder des Dichters — besonders der beiden Großväter — und die Erinnerungen an Kamenz, der Lessingstadt. Im Mittelpunkt hängt eine Nachbildung des Werkes aus Lesßngs Jugend,