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Pflanzen immerhin noch reichen Gebiet findet, das zudem noch räumlich sehr stark begrenzt ist, an Ort und Stelle zu belassen, um auf diese Weise unsere täalich immer ärmer werdende Natur in ihrem Kampf gegen die Zivilisation zu unterstützen. Gottfried Silbermmns Weihnachten in Straßburg Von Rudolf Gärtner, Hellerau Straßburg. Schneeflocken tanzen vom Himmel herab, aber kaum, daß sie die Erde berühren, erlischt ihr Weiß in dem schmutzigen Naß der Gasse. Gottfried Silbermann, der Orgelbanergehilfe schaut in der Wohnung seines Bruders Andreas, der zugleich sein Meister ist, zum Fenster hinaus und sieht dem Flocken- § treiben zu. Er denkt der strengen Erzgebirgswinter. Acht Tage vor Weihnachten — hei! wie mochte eS da nms Franensteiner Hvfefeld anssehcn! Da trat Lisette ins Zimmer. „Guten Abend, Monsienr Gottfried! Ich bring Euch das Nachtmahl. Aber Ihr müßt es gleich essen, sonst wirds kalt! Guten Appetit, Monsieur!" Mit einem Knickset wollte sic davon, aber Gottfried hatte aus seiner Tasche einen Brief gezogen und rief mit Donnerstimme: „Halt!" „Habt Ihr mich aber erschrocken, Monsieur!" Sie deu tete ein dreimaliges Ansspucken an, daß der Schreck keine Folgen hinterlasse, legte die Hand auf die linke Seite ihres gekreuzten Brusttuchs und sagte: „Solltet bloß füh len, Ivies da pocht, Monsienr!" „Der Nadan wird schon wieder aiifhörcn!" meinte Gottfried, „ivenns morgen noch spektakelt, lass' Sie sich in der Werkstatt drunten einen Dämpfer einbann!" „Ihr seid grausam, Monsieur Gottfried!" „Ist mir ganz egal wie ich bin!" antwortet der und schwenkt einen Brief durch die Luft. „Aber komm Sie mal her, Lisette! Das ist nämlich was für Sic!" „Ein Brief für mich, Monsieur? Da biu ich neugie rig!" Sic tänzelte heran und langte nist einem „Per- mcttez" nach dem hochgehaltenen Schreiben. „Nein!" rief Gottfried. „Hör Sie mal an! Weiß Sie, was „Neunerlei" ist?" „Neunerlei? Nun eins mehr wie Achterlei und eins weniger wie Zehnerlei!" „Sie —! Na, paß Sie mal ans, ich werds Ihr sagen! Sie kann gut kochen, das weiß ich —" „Ist das wahr, Monsienr?" „Nur still, das weiß Sie selbst viel zu gut! Also, nun hör Sie mal dranf! Mein Bruder kömmt zum Wcih- nachtsfest nach Straßburg zurück. Da will ich ihm eine Überraschung machen und Sie muß mir helfen dabei, Lisette! Evmpris?" „Jo, Monsienr!" „Wir wollen ihm ein Fest bereiten, ganz so wie wirS in unsrer Heimat feiern, in Sachsen, im Erzgebirge. Und dazu gehört das Neunerlei! Da ich selbst nicht mehr auf alle neun Sachen kam, hatte ich Meine Fran Mutter heim lich gebeten, mirS anfzuschreiben und heut ist das Scrip tum cingelausen. Hier steht es dranf! Schwarz auf Weiß! Und das wird Sie am Heilgen Abend alles machen, nicht weniger und nichts dazu! Aber nichts verraten! Der Herr Orgclvaumeister Sans erst erfahren, wenn Sie so links-rechto, links-rechts mit dem Essen angeschwänzelt kömmt!" Dabei ahmte er mit Arm und Fuß die tablett tragende Lisette nach. „Berstanden, Mademoiselle Lisette?" Das Mädchen mußte lachen und antwortete: „Ja, Monsienr Gottfried! Welche Überraschung für Ihren Herrn Bruder!" „Hör Sie mal drauf, ich les' es Ihr vor: Das Neunerlei). Erstlich: Warmbiersupv, daherein Semmelröstel, Man deln und Rosinken. (Das hülfft vors neue Jahr wider den Schnupfen.) Zum andern und dritten: Schöpsflcisch und Weißes Kraut. sDaö ist, damit das Leben nicht sauer werd.) Zum vierten und fünften: Bratwurst und Linsen. lAusf daß viel Kleingeld ins Hauß kömmt.) Zum sechsten und siebten: Schweinsbraten mit Klößen. (Das ist vor die Thaler.) Znm achten und nennten: Apfelsalat mit Häringk. (Das ist vor Gesundheit und Krafft.)" Gottfried wollte ihr das Papier geben, besann sich aber eines anderen und nahm den Arm wieder zurück. „Nein!" entschied er. „Ich schreibs Ihr ab, Sie könnte das kostbare Original vertrödeln oder in der Küche fettig machen." Da zog Lisette ein Schmollgnschel und rnckte mit den Schultern. Gottfried aber setzte sich an den Tisch nnd griff nach Papier und Gänsekiel. Da schlug Lisette klatschend die Hände zusammen: „Aber Monsieur —! Euer Nachtmahl! Nun ists kalt!" Sie ergriff das Tablett nnd wollte in die Küche damit. „Das bleibt hier!" donnerte Gottfried, „es ist warm genug!" Mißbilligend schüttelte Lisette den Kopf und nahm daun ihr Papier in Empfang, nachdem es Gottfried ge wissenhaft verglichen, mit Streusand bestreut und abge klopft hatte. -ü Teit der Andreas fort war, hatte Gottfried seine freie Zeit in der Werkstatt zugebracht. Das gab ein Schnitzen, ein Hobeln, ein Hämmern und Feilen, ein Malen und Leimen — es entstanden kleine Gebilde aus Holz, die ihr Modell vielleicht auf dem Hvfefeld, vielleicht auch im Mün ster hatten — und all die Figuren ordneten sich dann auf Hvlztellern verschiedener Größe, ünd als die Pyramide zusammengesetzt vor ihm stand — ganz wie daheim im Erzgebirge — und sich durch die warme Luft der bren nenden Kerzen drehte, da schwelgte Gottfried im Vor gefühl der Freude, die er bei der Überraschung des An dreas haben würde. Er batte seinen Arger gehabt, der Herr Orgelbau meister Andreas Silbermann, mit Lieferanten und Mairie und die Arbeit konnte nicht soweit gefördert werden, wie er sie haben wollte. Nnd am heiligen Abend bei der Heim fahrt gabs kurz vor Straßburg gar noch einen Radbruch und eine verstauchte Meifierband. Es dunkelte bereits. Hie nnd da flammte in den Häusern schon ein Christbaum auf. Eine Sitte, die man zu dieser Zeit in Deutschland nur svärlich kannte. Aber Andreas hatte heute kein Auge für Lichterbänme. Mißmutig hob er den metallenen Klvpfring an seiner Haustür und ließ ibn schwer ans den Anschlag fallen. Lisette öffnete nnd knickste, aber der Meister knurrte nur einen einsilbigen Gruß. Weder von dem verbrieften „Friede ans Erden", noch non dem „Wohlgefallen", das den Menschen werden soll, stand etwas in seinem Gesicht. Auch für Gottfried hatte er nur einen kargen Gruß und die Frage, ob sich etwas Geschäftliches von Belang ereignet habe. Es war ein kalter Hauch, der da heute mit dem Bruder ins Haus zog. Heimlich schaffte Gottfried die Pyramide ins Zimmer des Bruders und eine buntgelackte Leuchterspinne dazu, die ebenfalls seine kunstfertige Hand geschnitzt, und zün dete an beiden die Kerzen an. Die Pyramide begann sich