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gemachten Eintragungen formte er nach seiner Rückkehr nach Teplitz teilweise seinen ausführlichen Aussatz „Aus flug nach Zinnwalde und Altenberg" (Natur- wissensch. Schriften; Mineralogie und Geologie: Zur Kennt- ntß von Gebirgen in nicht-böhmischen Ländern)" dessen In halt dem Folgenden als Hauptquelle zugrunde liegt: . Um halb 8 Uhr abends war ich auf der Höhe von Zinnwalde. Dieser Ort, durch welchen die Gränze zwischen Böhmen und Sachsen durchgeht, ist aus einem flachen Bergrücken, mit zerstreuten Häusern, weitläufig an gelegt; die Wohnungen sind durch Wiesen getrennt, die den anstoßenden Besitzern gehören; hier sieht man wenig Bäume und die Berghalöen kündigen sich von ferne an. Der bald auf-, bald absteigende Weg ist schlecht, und hier findet man wieder enge Spur. Der Abend mar sehr schön, der Himmel klar, die Sonne ging rein unter, und der Mond stand am Himmel. Ich kehrte in dem Gasthof ein, der einem Fleischer gehört, und fand nothdürftiges Unter kommen, ging noch auf die Halden, untersuchte die daselbst befindlichen Gangarten und unterhielt mich mit dem Stein schneider Mende, mit dem ich schon früher meine An kunft verabredet hatte .. . ." Diese Schilderung Goethes von der eigenartigen kahlen und herben, aber dennoch reizvollen Landschaft der berg männischen Streusiedlung Zinnwald an dem baumarmen Gebirgskamme, vergoldet von den Strahlen der scheidenden Abendsonne und übergossen von dem milden Lichte des Mondes, hat auch heute noch Gültigkeit (vergl. die treff lichen Bilder des Malers Buchwald, Zinnwald). Nur würde der wandernde Dichter heute im Zeitalter des Kraftwagens nicht mehr über den schlechten Zustand der Straße über den Zinnwalder Paß und über „notdürftiges Unterkom men" in jenem Gasthof zu klagen haben, der heute auch den verwöhntesten Ansprüchen genügt (1697 erbaut, 1827 landes herrliches Privileg und Name „Sächsischer Reiter"). In früher Morgenstunde des nächsten Tages (Sonn abend, der 11. Juli 1813) begab sich Goethe bei klarstem Wetter nach den Halden der Grube „Vereinigt Zwit terfeld", wo er sich von dem dort mit dem Sondern des Zinnsteins vom Wolfram beschäftigten Steiger und seinen Bergleuten alles über diesen Bergbau Wissenswerte zeigen und erläutern ließ. Nachdem er dann im Hause des bereits erwähnten Steinschneiders Mende dessen Mineralien sammlung besichtigt hatte, trat er mit diesem gemeinsam die geplante Wanderung nach Altenberg an. Keine Einzel heit an diesem reizvollen Wege, der am Stollmund- loch des Tiefen Bünaustollns vorüber und durch prächtigen Bergwald am Aschergraben entlang führte, entging dem schönheitsdurstigen Auge des hohen Gastes; weit hinaus schweifte der Blick über des Erzgebirges Höhen und Täler bis hinüber zu den Tafelbergen des Elbsand- steingebirges und den in weiter Ferne verschwimmenden Kuppen des Lausitzer Berglandes. Welchen Eindruck die un mittelbar vor ihm liegende Landschaft auf den fremden Wanderer machte, erfahren wir aus seinem Berichte: „Der kleine Ort Geißing wird zuerst im Thale sichtbar, die Häuser ziehen sich in dem engen Grunde herauf. Nun öff net sich der Blick nach Altenberg und zwar sieht man zuerst eine hohe steile Felswand; diese ist aber nicht durch Natur, sondern durch jenen großen Erdfall, Erdrutsch ent standen, wodurch so viele Gruben zu Grunde gegangen. Man muß sich vorstellen, daß die sämmtlichen Gruben an dem Abhange eines Berges gelegen, und da sie zusammen gestürzt, so hat sich ein Trichter gebildet, mit Wänden von ungleicher Höhe, die vordere viel niedriger als die Hintere. Sie nennen diesen Trichter, nach dem gewöhnlichen berg männischen Ausdruck, die Binge. Das Städtchen Alten berg liegt näher zusammen als Zinnwalde, an einem sanften Abhange des Berges, und ist, nach sächsischer Art, schon städtischer gebaut als jenes. Man sieht auch hier ver schiedene Göpel. Der mit Fichten wohl bewachsene Gei- ßtngsberg, welcher rechter Hand in einiger Entfernung hervorragt, gibt eine angenehme Ansicht. Bereits um 9 Uhr vormittags stand Goethe mit seinem Führer am unteren Rande der Binge, dieser durch den ge waltigen Eröbruch vom 24. Januar 1629 entstandenen Ein senkung von 2,5 Ka Fläche, 80 in Tiefe und 30 in hohen Felswänden an der Nordseite, die einen nachhaltigen Ein druck in dem fremden Betrachter hinterließ. Sein Wunsch, „die Kobolde in ihrem eigensten Hause und das Innere eines Gebirges zu sehen", blieb ihm in Altenberg leider unerfüllt, da an diesem Tage gerade das Quartal Crucis begann und die Belegschaft des Bergwerks diesen berg männischen Festtag feierte. So wurde der Dichter in der Kirche, wo er den Bergmeister und die Belegschaft ver sammelt fand, Zeuge einer Altenberger Bergpredigt. Aller dings klingt sein Urteil über diese Feier der uniformierten Knappschaft wenig begeistert: „Der Dtaconus predigte in hergebrachten bergmännischen Phrasen, der Auszug aus der Kirche war nicht so feierlich wie sonst, man bemerkte aber schöne Männer, besonders unter den Knappschaftsältesten, fast zu groß für Bergleute." Infolge der Unmöglichkeit eines Besuches der Unter tageanlagen des Bergwerks mußte er mit einer Begehung der Halden und mit Sammeln der verschiedenen Abarten des Altenberger Gesteins sich begnügen. Dann trat er mit seinem Begleiter auf dem gleichen Wege wie am frühen Morgen die Heimkehr nach Zinnwald an, wo er, von der Hitze des Julitages ermüdet, um 1 Uhr mittags eintraf. Gegen Abend empfing Goethe den Altenberger Bergamts assessor Friedrich August Schmidt, der ihm auf seinen Wunsch mancherlei über die Entstehung der Binge, Ge schichtliches und Betriebstechnisches vom Zinnbergbau in Altenberg mitteilte. Der Dichter hat diesen interessanten Bericht F.A. Schmidts in seinem Aussatz „Ausflug nach Zinnwalde und Altenberg" überliefert und eine geologische Beschreibung dieser Gegend hinzugefügt. Besonders inter essant für uns ist seine Bemerkung: „übrigens macht die Beimischung von Wolfram und Eisen beim Schmelzprozeß viel zu schaffen". Wir ersehen daraus, daß Wolfram damals als unliebsames Abfallprodukt galt, während es lüü Jahre später zur Härtung von Stahl als überaus wertvoll er kannt wurde und damit eine neue Blütezeit des Bergbaues hervorrief. Die riesigen weißen Halden am „Sächsischen Reiter" und am Aschergraben im Geisinger Tale legen be redtes Zeugnis davon ab, welche ungeahnte Höhe der Wolframbedarf unserer Stahlindustrie im Weltkriege er reichte. Am nächsten Morgen 6 Uhr (Sonntag, der 12. Juli 1813) unternahm Goethe in Zinnwald unter der Führung des Steinschneiders Mende und des Steigers eine Stolln- fahrt im „Tiefen Bünaustolln" bis zum Schacht von „Vereinigt Zwitterfeld" und lernte dabei die Na tur des Gebirges aus eigener Anschauung kennen, worüber er am Vortage vom Steiger ausführliche Erklärungen empfangen hatte. Auf mannigfachen Zickzackwegen gelangte er mit seinen Führern in die „R e i chs t r o st e r Wei tung" (an der Markscheide von „Vereinigt Zwitterfeld" und „Reicher Trost"), deren gewaltige Ausdehnung ihn mit großer Bewunderung erfüllte. Nach Beendigung dieser Grubenfahrt verpackte er im Hause des Steinschneiders Mende die in Ztnnwald und Altenberg gesammelten Mine ralien. Ein heftiges Gewitter zog aus dem Elbtale aus das Erzgebirge zu, als der Dichter nachmittags 5L3 Uhr in seinem mit zwei Schimmeln bespannten Wagen Zinnwald verließ; bereits ?45 Uhr traf er wohlbehalten wieder in Teplitz ein. In der abschließenden Betrachtung seines Aufsatzes be zeichnet Goethe selbst seinen Ausflug nach Ztnnwald und über die sächsische Grenze mitten in der Krise des Völker kampfes als „ein Wagnis nicht ohne leichtsinnige Kühn-