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dem Kinde an den Mund und drehen es dabei. So lernt das Kind leicht reden! (Das Ei hat demnach eine Kraft wie das schnell geöffnete Patenbriefel.) Es ist auch Sitte, daß sich zwei kleine Kinder gegenseitig ein Ei schenken, wenn sie sich besuchen. Sommersprossen, Haare und Nägel Die kleinen Kinder sollen natürlich keinen Tropfen Regen kriegen. Davon haben sie dann „Sommersprossen". Ja nicht die Haare abschneiden bis zum ersten Jahre! „Da hätten sie später kein Recht vor Gerichte!" Die Fingernägel auch bis dahin nicht zu verkürzen, ist weit in Brauch. Die Kleinen nicht ansehen, wenn sie niesen wollen, sie können sonst nicht. Vom Beschreien und Berufen Man soll sie nicht „beschreien", herausheben vor andern im Lobe, da gedeihen sie nicht. Sagt zum Beispiel jemand: „Aber der ist gewachsen!" wird die Mutter schnell, wie ab wehrend, dazu sagen: „Gott behüt'n!" Dann tut ihm das Lob nichts. Und will sie es nicht sagen, so denkt sie „bei sich" das schützende Wort. Erzählt sie selbst etwas von dem Kind, spricht sie „unberufen" dazu, ehe sie anfängt ober aufhört, z. B.: „Unberufen, wir stellen sie hin und da schläft sie." Oder sie macht es wie bei ähnlichen Gesprächen und klopft dreimal von unten an die Tischplatte oder an den Wagen: „Wir wollens nicht beschreien." sWir wollens nicht berufen.) Dann bleibt es, wie es war. An den Kleinen irgendetwas „schön" nennen, ist nicht recht, z.B.: „Der hat aber schönes Haar!" Nun ändert sich das Haar und behält nicht mehr die Schönheit, ja eine „Haarkrankt" kann die Folge sein. Der gefährliche Spiegel Kleine Kinder dürfen nicht in einen Spiegel gucken, da werden sie „sücht'ch", das soll heißen ehrsüchtig, eitel, stolz. (Man wird ja auch eine Wunde nicht im Spiegel sehen lassen, weil sie da nicht heilt, sondern sich verschlimmert, denn der Spiegel ist „sücht'ch". Er „sucht" die Verschlimme rung.) Gegen Schreck und Gewitterangst Sind Kinder erschrocken, werden sie in „Schreckkolben" gebadet, im Aufguß der Knospen oder Blumen der sogen. „Schreckbirnen", „Schreckkolm". Da geht der Schreck aus dem Körper. (Erwachsene trinken wohl statt eines Bades eine solche Tasse Schrcckwasser.) Gegen Furcht vor Ge witter hilft bekanntlich „Gewitterwasser!" Wurst und Schreien Unter einem Jahre sollen die Kleinen keine Wurst kriegen. „Da quieken sie so", meinen die Leute. Henne und Zähne Von einer Henne, die das erstemal ein Ei legt, gibt man dieses Ei dem Kleinen. „Da kriegt cs die Zähne leichter." Die Schmerzen sind da gelindert. Allgemeine Betrachtung So, das wäre eine kleine Auswahl aus der Fülle der seltsamen Sitten und Gebräuche bei kleinen Kindern. In anderen Orten und Gegenden wird es auch noch andere geben, als hier am südwestlichen Rande der Oberlausitz. Viel Seltsames blieb erhalten, viel Merkwürdiges streifte wohl die junge Mutter ab. Aber, daß eine große geheim nisvolle Neigung zum Bewahren der großmütterlichen Ratschläge besteht, wird jeder in seiner Familie oder in seinem Verwandtenkreise erfahren haben. So mancher Ratschlag hat seine guten gesundheitlichen Gründe, doch so manches ist nur erklärlich als Gespinst des Aberglaubens. Wo die betreffenden Wurzeln liegen, ob im heidnischen oder christlichen, im germanischen oder slavischen, also wendischen, wird die Volkskunde weiter erforschen. Sie studiert als Wissenschaft das Festhalten an Sitten und Gebräuchen und kritisiert sie nicht, weil das Austtben der Gebräuche anschau licher ist als hundert wissenschaftliche Werke auf dem Bücherbrett. Sie will sammeln und hüten. Was dem kleinen Kind schaden könnte, wird heutzutage jede vernünftige Mutter von allein fernhalten trotz aller Ratschläge von allen Seiten! Unwillkürlich aber behält sie alle dieselben im Herzen und nach Jahren wird sie, genau so wie die Alten, den Jungen, dem Heranwachsenden Geschlecht, die behaltenen Gespräche „weitererzählen" und dabei sagen: „Früher hieß es so. Ach, was sollte man da alles beachten!" — Indem sic es aber nur weitergibt, trägt sie bei, alte Sitten und Gebräuche zu erhalten, gute und seltsame. Und weil eine geheimnisvolle Wirkung in all dem liegt, wird es wohl nie eine Zeit geben, in der nur moderne, nüch terne, von allem Aberglauben freie Mütter ihre Kinder grotzziehen werden. II. Von mundartlicher Forschung aus interessieren in der Kinderstube auch gar manche alte Ausdrücke: Frahsel und Stäubchen Bekanntlich verdrehen die Säuglinge oft die Augen, entweder im Schlafe oder im wachen Zustande. Sie lächeln ost dabei. „Sie haben e Frahsel!" sagen da die Mütter. „Da bildt sichs Gehirn." „Jetzt hat sie Stäubchen." „Sie tut mit'n Englein spielen!" Abends wohl zwischen 7 und 8 Uhr sollen meist die „Darmfrahsel" kommen,- Darm krämpfe bezeichnet man so. Bleibt an der Tafel zur Taufe eine Lücke, so „ißt dr Biese mit", der Böse, der Teufel. Kreisen und mannsern „Wie er kreist", bedeutet, Saß der Kleine fortwährend Bewegungen und Drehungen mit Händen und Beinen macht. Spielt er z.B. mit dem Quirl oder mit irgend einem Ding, hört man: „Na, mag er rim mannsern!" (rumhantieren). Schmerlen, brammeln und pfupfern „Jetzt kommt wieder eine Schmerrle!" Speichel oder Schleim kommt zum Mündchen heraus und bleibt wie Schaum oder rollt das kleine Kinn herunter. Murmelt das Kleine so für sich hin, als wollte es reden oder betteln, heißt es: „Sie brammelt eben noch eine Weile, eh sie schläft." Schimpft aber das Mündchen, so zankt die Groß mutter: „Pfupfer ock ni arrscht!" Gluckse nur nicht erst! Ganz gägerch — so blaß „Sie sieht heute e bissel gägerch aus": blaß und weiß liegt sie im Bettchen. „Unse war jetzt ooch e mal ganz zang": schmal und abgekommen. Lunderch und süchtig „Na komm, liegst ja ganz lunderch drinnel" Ganz liederlich eingepackt im Wagen. „Na, in' Spiegel laß merr sie nich guckn", da wird sie „süchtg", eitel, ehrsüchtig und stolz (sichtg). Der Spiegel wirkt aufs Gesicht. Und mit einer Wunde sieh nicht in den Spiegel, wie schon erwähnt war, der ist „süchtg!" Er „sucht" die Verschlimmerung. („Schon manchmal hat das zugetroffen", kommt oft noch als Nachsatz.) Das Böckel an bin den Schluchzt das Kind so innerlich (zum Erbarmen), da klingt es wie das „Schlucken", und berichtet wirds der Mutter: „Die schreit so, daß sie der Bock stoßen tat." Wird der kleine Racker zum ersten Male „dicksch", also trotzig, deutlich unwillig, da „bind er sei Böckel an!" Oder es heißt noch deutlicher: „Der steckt schunn seinen Sturze! raus!" Stengeln heißt tragen Treuherzig erbarmt sich die gute Großmutter über das schreiende Kind: „Na komm, ich werdch glei e bissel sten- geln!" (auf den Arm nehmen, hochsetzen, also tragen). Mo derne Ratschläge der Tochter lehnt sie wohl damit ab: „Ach geht mir nur mit euern Marrcht!" (mit dem unnötigen Zeuge).