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fertigen modernen Menschen nicht genügen kann, es sei denn, er sei so hochkultiviert, daß ihm letzte Einfachheit in vielfacher Wiederholung tiefstes Vergnügen gewährt. Meiner Überzeugung nach muß die Abneigung des großen Publikums gegen Sagen verschwindens wenn es sich daran gewöhnt, Sagen nicht als Dichtung, sondern als Religion, als Glaubensgut der Borzeit, zu betrachten. Es kann mir, glaube ich, nicht gleichgültig sein, in welchen Glaubensvorstellungen meine Ureltern, mein Volksstamm, dem ich angehöre, mein ganzes Bvlk, befangen mar. Jeder, der überhaupt geschichtlich eingestellt ist, wird den Wunsch haben, die geistige Heimat, aus der er kommt, kennen zu lernen. Und das verraten ihm die Sagen. Gebärden wir uns gelehrt und geben wir eine Begriffsbestimmung: Sagen sind Sätze des Volksglaubens, veranschaulicht an einer llokalisierten) Situation. Die Sagenästheten betonen in ihren Sagensammlungen die Situation und bemühen sich um ihre künstlerische Aus schmückung. Der Sagenforscher dagegen weiß den Wert der einfachen ungekünstelten Situation und Erzühlweise zu schätzen. Außerdem weiß er, daß er hier Glaubensgebilde vor sich hat, deren älteste ihren Wurzelgrnnd in der Urzeit der Menschheit haben. Denn wie der primitive Mensch bis heute noch nicht ausgestorben ist und voraussichtlich auch nicht aussterben wird, auch wenn wir noch in den Welt raum fliegen sollten, so ist mit ihm auch sein Erzählstvff und sein Glaubensgut nicht ausgestorben. Zweifellos hat sich dieser Glaube vielfältig umgelagert, ältere Schichten sind mit jüngeren überdeckt, aber in wesentlichen Zügen weist das Glaubensgut der heimischen Sagen in vor- und frühgeschichtliche Zeit zurück. Das Primitive ist ewig. Mit dieser Einstellung wollen wir eine Anzahl Sagen aus der Umgebung von Görlitz berichten, die zum guten Teil aus mündlicher Überliefe rung, zum andern Teil aus abgelegeneren Quellen ge schöpft sind. In Berg und Wald eingebettet liegt zwischen Königs- haiu und Ullersdorf der Ort Thiemendorf. Er wird von der Straße Arnsdorf—Wiesa durchschnitten. Bon Reichen bach aus erreicht man es durch den prächtigen Park von Meugelsdorf mit seinen kühlen, schattigen Gründen. Be sonders im Mai ist die Wanderung zu empfehlen. Dann herrscht in den mvrgenlichen Wäldern der Königshainer Berge reges Bogelleben. Maiglöckchen blühen in dein noch lichten Gebüsch. Harzdust der Kiefern durchströmt Len Wald. Die hohen Büsche des Ginsters bauen goldene Tore. In den Wäldern um Thiemeuöorf lebten früher Holz weibel. Sie hatten krauses Blondhaar. Sie kamen zur Winterszeit von den Bergen in die Häuser der Bauern. Die Bauern waren mildtätige Leute und gaben ihnen zu essen. Einmal hat ein solches Weibel bei einem Bauer einen ganzen Winter gewohnt. Als es Frühling wurde, kam ei» anderes Weibel bei dem Bauer unter das Fenster und rief in die Stube: „Deutvseu, Deutvseu!" Sofort sprang das Weibel in der Stube von der Ofenbank, lies mit Jam mern hinaus und kam nicht mehr wieder. Bis in die Sagensammlungen der allerneuesten Zeit hat sich nach Karl Haupts Vorbild das „Deutvseu" gewalt tätige Auslegungen gefallen lassen müssen. Man glaubte nämlich, daß die von den Deutschen zurückgedrängten Sorbenwenden in der Volkssage zn Zwerggestalten ge worden seien, die nunmehr einsame Wälder nnd Fluren bewohnten. Unsere Buschweibel wären also Vertreter der Sorbenwenden, und ihr Ruf Dcutoseu würde ein Warn ruf sein und „die Deutschen lDeutv) kommen" bedeuten. Diese Ansicht ist unhaltbar. Die Buschweibcl sind Wachs tumsgeister des Waldes nnd als solche viel, viel älter als die Kämvfe zwischen Deutschen und Sorbeuwendeu. Da diese Wachstumsgeister mcnschgestaltet sind, müssen sie auch eine Sprache haben. Oft reden die Wesen in der Sage in menschlichen Worten, aber benso nahe liegt der i Gedanke, ihnen eine Sprache zuzuschreiben, die der Mensch nicht versteht. In unserer Sage soll das Deutvseu nichts als ein unverständliches Wort der Buschweibelsprache bedeuten. Dadurch, daß der Sinn unverständlich bleibt, gewinnt die Sage an geheimnisvollem Leben. Auch von einer besonde ren Zwergsprache weiß die heimische Überlieferung zu erzählen. Durch Thiemendorf ist früher der Nachtjäger gezogen. Er kam bei der Schule bereits über Ürbans Teich s1925 Burkhardts) und ging daun die Grenze hinauf. Er kam im grünen Nock. Die Hunde waren alle in einer Reihe gebunden und haben immer geschnaffert. Als die alte M., die schon lange selig ruht, noch ein Kind ivar, hat sie einmal am Gartenzaun gespielt. Da fand sie im Laube einen Speziestaler. Da wühlte sie weiter, und ein Taler um den andern kommt aus der Erde, richtig rausgequollen wie aus einer Silberquelle. Sie braucht nur in einem fort aufzulegen und in die Schürze zu stecken. Sie hat schon ein schönes Säckel voll, da kommt Nachbars kleines Mädel, um mit ihr zu spielen. Im Augenblick, wie die den Mund auftut, ist der Silberquell vertrocknet. Das war schade. Wer weiß, wieviel Taler noch gekommen wären. Na, der Vormund hat das Geld auf die Sparkasse geschafft, und als die M. heiratete, hatte sic einen hübschen Batzen Geld zusammen. Sic hat eine schöne Ausstattung dafür gekriegt. Däs ändere hat der Mann durchgebracht. Auch ich (Frau N.) habe mal Geld spielen sehen. An unsrer Grenze, wo das Sträucherzeug stand, war früher ein Born. Dort standen drei große Weiden. In dem Born hat sich eine Frau ersäuft. Na, als ich eines Abends auf dem Bänkel sitze, habe ich dort beim Born kleine blaue Feuerchen gesehen. Ich dachte: „Wenn du nur gleich drei stählerne Sachen zum Reinwerfen hättest, dort könntest du zu Gelde kommen." Aber ich hatte nichts zur Hand. Darum bin ich arm geblieben. Das Hat mir mein Vater erzählt. Hier in der Gegend ist einmal ein Fuhrmann durch ein Dorf gekommen. Wel ches, das weiß ich nicht mehr. Tort in dem Dorfe war ein Dachdeckergeselle, der hats in sich gehabt. Einmal sitzt er mit dem Meister auf dem Dache, sie decken bei einem Bauer das Wohnhaus, da fährt unten ein Fuhrmann vorbei. „Meestcr, was gäbt Ihr mir, ivenuch den Wagen festmach', daß er ne mehr vor- und rickwärts kann?" Doch er hat gar nicht abgewartet, was der Meister sagte. Er murmelte ein Sprüche! und machte mit der Hand ein Zeichen in der Luft und schon stand der Wagen. Der Fuhrmann ging und führte die Pferde am Zaum. Doch wie die auch zogen, der Wagen rückte nicht. „Gehts nicht im Guten, gehts im Bösen", dachte der Fuhrmann. Er nahm die Peitsche und hieb auf die Pferde ein. Die ruckten an, was sie konnten,- es ging nicht. Jetzt wußte der Fuhrmann, wieviel es geschlagen hatte. Er nahm die Apt aus dem Futterkasten und ging dreimal um den Wagen. Beim dritten Male schlug er drei Speichen ein. Im selben Augenblick stürzte der Dachdecker geselle vom Dache runter und brach sich den Hals. Wir hatten eine Katze, die machte die Fenster und Tür klinken auf, aber nicht zu. Eines Abends hatte ich mich ge rade ins Bett gelegt und hörte es klinken. „Das ist die Katze", dachte ich. Aber die Katze kam richtig angetrqppst, und dann kams ans Bettbrette, hielt mir die Füße zu sammen und kam ans mich. Das war der Alp. Die Leuie sagen: „Das ists Geblüte." Ich sage: „Das sind Menschen." Mein Sohn wurde immer von dem Pferdeknecht aus der Nachbarschaft gedrückt. — Auch ich weiß vom Alp zu er zählen. Auf mir hat er gelegen wie ein schwarzer Käfer. Am Kirchstege von Thiemendorf nach Arnsdorf steht ein Kreuzstein. Dort haben sie in Hnngerszeit einen alten Mann erschlagen. Er hatte ein Säckel, und sic dachten, es wäre Niehl darin. Doch er trug Asche. Hinter dem Gutshvfe steht mitten in den Wiesen ein alter Stein. Dort soll ei» Franzose begraben sein.