Volltext Seite (XML)
das Kalb während des Glockenläutens anbinden. In Baden ist dies dem Hausvater vorbehalten. Er trägt dabei den Kirchenanzug. In der Schweiz gibt wan der Kuh nach dem Entwöhnen des Kalbes Brot und Salz. Anderwärts legt man ihr allerlei Gegenstände unter das Joch. Die Bauern an der Nahe führen die Kuh um den Mist und sagen einen Spruch dazu. Besonderen Schutz verlangt der Stall der Rinder, denn Hexen und böse Geister versuchen, zu gewissen Zeiten ein- zudringen und suchen, das Vieh zu verhexen. Um ihnen das Eindringen zu wehren, schreibt der Bauer heilige Namen und Zeichen an die Tür. Auch legt oder nagelt er die verschiedensten abwehrenden oder segenbringenden Dinge auf die Schwelle, an die Pfosten oder Türen. Unglückbrin gend ist es, wenn eine ungewaschene Person den Stall be tritt. Überhaupt ist jeder Fremde, der sich dem Stalle nähert, verdächtig. Vor allem darf man das Vieh nicht loben. Tut es doch ein Besucher, so muß der Bauer durch derbe Gegen rede die Gefahr des „Beschreiens" abwehren. Wer den Stall betritt, soll einen glückwünschenden Segen sprechen. Soll Glück im Stalle sein, so muß der Bauer darauf achten, Saß die Stückzahl des Viehes keine ungerade Zahl ist, sonst geht leicht ein Tier zu Grunde. Wird ein neuer Stall gebaut, so soll man von einem Spiel Karten eine Anzahl von verschiedenen Farben einmauern, damit die Kühe aller Farben darin gedeihen. Das Ausmisten erscheint dem Uneingeweihten eine ge wöhnliche Sache. Aber auch hier sind alte Bräuche zu be achten. Zu gewissen Zeiten ist es unglückbringend, zu misten. Sonst stiften die Hexen allerlei Unheil damit an und ver derben ihn. In der Mark ist es Sitte, beim Misten drei Gabeln voll Mist nach dem Stalle zurückzuwerfen, ebenfalls ein Abwehrzanber gegen die Hexen. Walpurgis, zur Hexen nacht, haben es diese Unholde besonders auf Statt und Vieh abgesehen. Um sie zu bannen, steckt man soviel Birken- reiser auf den Misthaufen, als wie Kühe im Stalle sind. Als glückbringendes Zeichen wird gedeutet, wenn im Stalle eines großen Gutes alle Rinder gleichzeitig liegen. Tritt dieser Fall ein, so läuft der Stalljunge zur Herr schaft und meldet das freudige Ereignis. Er erhält dafür ein Geschenk. Die Haustiere wohnen mit den Menschen unter einem Dache. Der Bauer gibt seinen Kühen besondere Namen nnd spricht mit ihnen wie mit einem Menschen. Er läßt sie teilnehmen an Freud und Leid. An Festtagen gibt er ihnen Leckerbissen, ausgesuchtes Futter und dergleichen. Ganz be sonders bedacht wird das Milchvieh am frohen Weihnachts feste. Wenn sich der Bauer an den hohen Festtagen eine festliche Speise zurichtet, so muß auch sein Vieh daran teil haben. Er läßt es von jedem Gerichte kosten. In Schlesien war es Brauch, den Rindern am Weihnachtstage neunerlei Futter zu geben. In der Lausitz bekamen die Kühe zu Weih nachten Hafergarben. Aus Böhmen wird berichtet, daß der Bauer seinem Rindvieh schon am Vormittag des Weih nachtsfestes ,/s Geleck" verabreicht. . Manchmal wird die Speise nur symbolisch angedeutet, z. B. in Alpach. Hier gibt der Bauer jedem Stück Rindvieh ein Weizenkorn ins Futter. Im Spreewald reicht man Grünkohl. An vielen Orten ist es Sitte, daß der Bauer an solchen Festzeiten selbst das Futter reicht. So ist es in Böh men Brauch, daß der Bauer selbst am heiligen Abend die ersten Stücken Brot und das erste Stück Strietzel sowie Äpfel und Nüsse in den Stall trägt und jedem Rinde da von ins Maul steckt. In der Oppelner Gegend bestand die Sitte, dem Knecht an Festtagen ein Stück vom Weihnachts braten Ku geben. Diesen mußte er bei den Kühen verzeh ren. In Schleswig-Holstein ist es üblich, am Weihnachts abend eine Garbe zu dreschen und damit das Vieh zu füt tern. In Westdeutschland teilt der Bauer Hafer und Salz an seine Tiere aus. Wer aber den Kühen eine besonders zauberkräftige Speise geben will, muß diese stehlen. Zu diesem Zwecke holt man sogar das Stroh aus den Dächern der Nachbarn, macht Häcksel daraus und verfüttert ihn. Manchenorts ist es üb lich, das Futter vorher auf den Mist zu lege« und dann zu verfüttern. Ist ein Trauerfall im Hause, so geht ein Mit glied der Familie in den Stall und kündet ihn den Tieren in aller Form an. In manchen Gegenden gibt es bestimmte Feiertage für die Rinder, an denen sie nicht an Pflug oder Wagen gespannt werden dürfen. Tritt der Fall ein, daß ein Rind im Stalle verendet, so wird es, damit es nicht andere nach sich zieht, mit dem Kopfende voran hinaus geschafft oder so an der Tür be graben, daß es mit dem Kopfe ins Haus schaut. In den 12-Nächten, wo nach altem Glauben das Vieh besonders stark dem Einfluß böser Geister ausgesetzt ist, machen sich auch Vorsichtsmaßregeln nötig. Man legt Geld in die Krippen und Tröge oder stellt ein Licht in ihre Nähe. In Mecklenburg wurde früher am Weihnachtsabend ein Tisch im Stalle ausgestellt und ungebundener Hafer darauf gelegt. In die Mitte stellte man ein Licht. Sodann wurden die Kühe der Reihe nach mit diesem Futter gefüttert. Bekannt ist der Glaube, daß die Tiere in der hl. Nacht im Stalle reden und weissagen. Mancher Neugierige legt sich deshalb auf die Lauer, um zu horchen und die Zukunft zu erfahren. In Norwegen ist es verboten, am Weihnachts abend im Stalle zu schlafen, damit die Tiere nicht gestört werden. Die Zahl der Sitten und Gebräuche, die sich mit dem Vieh befassen, ist endlos. Sie werden seit uralten Zeiten geübt und haben sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. Überall sind einige Reste oder Anklänge vorhanden. Aus allen klingt die Sorge für die Haustiere heraus. Sie vor den Einflüssen zu bewahren, die ihnen nach uraltem Volks glauben von Hexen, Dämonen, Kobolden und dergl. drohen, ist der Zweck dieser Sitten und Bräuche. (Nach Sartori u. o.l Sagevkimdllchr EtrMlm in brr Umgegend von Görlitz Fast von jedem Sagenerzähler wird der Wert der Volkssage mit eindringlichen Worten angepriesen. Wie einer Ware, die man schlecht verkauft, werden der 'Sage eine Fülle hervorragender Eigenschaften zngeschrieben. Jakob Grimm, dessen bahnbrechende deutsche Sagen 1816 erschienen, glaubte mit den Volkssagen Duft nnd Farbe einer Landschaft einatmen zu können. Dieser fein nervige Gelehrte hatte damit eine Einsicht gewonnen, die unter den Händen Unberufener rasch an ihrem Wert ver lor. Die poesiedurchtränkten Einleitungen örtlicher Sagen sammlungen, deren Verfasser ihren Sagenblütenstranß naiv und unkritisch anbieten, klingen wieder von dem unend lichen, meist recht unbestimmt umrissenen Werten der Bolkssage. Greift dann das große Publikum zu einem der artigen Büchlein, ist es enttäuscht über das dvrt Gebotene. Sv kommt es, daß weite Kreise des großen Publikums sich von den heimischen Volksüberliefernngen abgewandt haben und von ihnen nichts mehr wissen wollen. Höchstens, daß einmal ein Vater um die Weihnachtszeit ans den Ge danken kommt, für seine Jungen ein Sagenbuch zu kaufen. Denn „Sagen sind für die Kinderstube", ist heute zur land läufigen Meinung geworden. Ich glaube, daß diese Meinung vor allem dadurch ent stand, daß man sich den Sagen gegenüber zu ästhetisch ein stellte. Man betrachtete sie als Dichtwerke. Wer das tut, kommt wirklich nicht auf seine Rechnung. Es ist kein Zweifel: Sagen sind uraltes Erzählgnt und als solches sind sie epische Gebilde der Vorzeit, aber die Erzählkunst ist so einfach, einsträngig, leicht durchschaubar, daß sie den viel-