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Land hinaus, nach Böhmen und dann nach den reizvollen sächsischen Bergen, die sanft hingewellt sich gegen Norden verlieren. Eigentlich war er erstaunt, daß es die allzunachsichtige Sonne noch fertig brachte, diese miserable Erde genau mit der nämlichen Liebe und demselben Gleichmut zu beschei nen, wie seit Jahrhunderten, daß die Finken, Meisen nnd Lerchen unbekümmert um alle menschliche Schlechtigkeit ihre Lieder sangen, daß sich die Blumen nicht scheu ver steckten, wenn solch ein Menschenungeheuer mit schwer be nagelten Schuhen an ihnen vorüber schritt. Vor einem kleinen Gasthofe im Wiesentale rastete er. Er ließ sich von der schüchternen Bedienerin ein Glas Bier geben. Als es ihm diese vorsetzte, schnarrte er sie an: „Kostet?" Dabei langte er in das Seitentäschchen seiner blauen Touristenjacke, um das Geld aufzuzählen, denn eine Börse zu ziehen, wäre ihm nie eingefallen, da man ja beobachtet und von irgendeinem Raubkerl am nächsten Waldeck um sein Hab nnd Gut gebracht werden kann. Das Mädchen starrte ihn fassungslos an, aber rührte sich nicht. Hackeborn geriet in Wallung, er war es von Amts wegen gewohnt, daß jedes Stirnrunzelu, geschweige denn ein Wort von ihm gebührend beachtet würde, und diese dumme Trine tat gerade so, als ob sie taub sei. „Kostet?" wiederholte er, und in seiner Stimme grollte schon der Anfang beleidigten Selbstgefühls. Da trat die Jungfrau, denn eine solche war es zweifel los, mit züchtigem Erröten auf dem hübschen Gesicht an den Tisch, griff mit den Worten: „Ich bin so frei" nach dem Glas, kostete schämig, wie eine Bachstelze am Bach rand, hauchte ein „Bedank mich auch schön", und ging wie eine Priesterin nach einer sakralen Handlung würdig ins Haus zurück, den armen Staatsanwalt in einer nicht kleinen Überraschung zurücklassend. Ein Gevatterbrirs von M2 Ein hundertjähriges Schriftstück! Mit Bedacht von Jahr zu Jahr aufgehoben, vom Urgroßvater zum Groß vater und von ihm bis 1932. Das verdient, gewürdigt zu werden. Ein alter, vergilbter Gevattcrbrief ists, den am 19. April 1832 der Ohorner Postillon in Empfang nahm, nm ihn über Bischofswerda oder über Großröhrsdorf— Radeberg nach Schmiedefeld weiterzugeben. Ein länglich gefalteter Bogen und nach damaliger Sitte nach dem Brechen zum Brief versiegelt, also ohne besonderen Umschlag. Ganz deutlich sieht man noch die Siegelflecke ans dem ergrauten, verstaubten Papier. Aber wie schwungvoll ist die Anschrift auf diesem alten Gevatterbrief! Große Bogenverzierungen liegen wie Wol ken über der ganzen Länge desselben. In kunstvoller Schrift beginnt dann die umständliche „Adresse". Nicht etwa in 6—7 Worten wie heutzutage, nein, in einer aus führlichen Breite und Liebe, die schon von vornherein dem Empfänger vom freundschaftlichen Gefühl des Absenders Nachricht gab, indem schon die „Adresse" vom Inhalt des Briefes sprach, nämlich, daß er „Gevatter" stehen möchte. Diese Adresse — ein Spiegel jener ruhigen, schlich ten Zeit — lautet: „Dem Ehrsame» und Nahmhaften I u,n ggesellen Traugott Friedrich Hähnel, des Ehreugcachteten pp. Jvh. Gottlob Hähnels, Hausbesitzers und Tagearbeiters ehel. Sohn. Meinem insonders werthgeschätzten Freund und erbetenen Herrn Gevatter in Schmiedefeld." Eine solche lange „Adresse" mußte der Schwager Po stillon lesen, ehe er wußte, daß der „gewichtige" Gevatter brief nach der Poststation Schmiedefeld zu befördern war. Heute lesen wir nichts von einem „Ehrsamen" und „Ehrengeachteten" auf einem Briefumschlag, auch nichts von „meinem insonders werthgeschätzten Freund". Des Vaters Namen wurde gleich mit angegeben, obwohl doch der „erbetene Herr Gevatter" sicherlich schon erwachsen war. Eine Ehrfurcht zu den Eltern spricht aus diesen An gaben! Es soll damit nicht nur der Empfänger leichter ausfindig gemacht werden. Man war in jenen Zeilen in solchen Fällen nicht wortkarg, und wer zu Tinte und Feder griff, legte auch sein Herz mit hinein und ließ es aus allen Zeilen sprechen. Der ganze Bries wurde bedächtig und mit feierlicher Miene eigenhändig geschrieben. In der Gegenwart füllt man einfach ein gekauftes Kärtchen aus und schickts mit einer gewissen Selbstverständlichkeit fort. So waren unsere Alten nicht. Nur wer gar nicht schreiben konnte, gabs einem „Schreiber", der die Briefe dann aufsctzte und ausführte. Nun laßt uns den Bogen umdrehen und lesen, was der Ohorner „Kindervater" eigentlich schrieb. Wieder geht eine, aber bedeutend größere Bogenver- zterung dem Schreiben voraus. Dann heißt es weiter: „W erthgeschätzer, Insonders erbeten er Herr Gevatter! Da uns am 18. April Abends 8 Uhr ein Sohn geboren worden ist, so sind wir als christliche Rei tern verbunden, dieses unser Kind zur heiligen Taufe, als förmlichen Aufnahme ins Christentum, zu befördern, welches wir den 22steu, als 1. sten Ostertag wünschen. Da nun aber zu einer so feierlichen Handlung Zeugen erforderlich sind, so bitten wir, uns und unserm Kinde die Liebe und Freundschaft zu erzeigen und Pathenstelle zu vertreten. Wir werden einen solchen Freundschaftsdienst nie ver gessen, und ich verharre insbesondere Meines werthaeschätzten Freundes und erbetenen Herrn Gevatters Dienstergebener Carl Gottfried Schreyer, Häusler u. Leineweber. -Ohorn, Meißn. Seits, den 19. April 1832." Also zum 1. Osterfeiertag bekam unser Traugott Friedrich Hähnel den Gevatterbrief! Ostern war demnach vor 100 Jahren am 22. April. Am 19. April ge schrieben, am 20. „vielleicht" erhalten, am übernächsten Tage schon Pate stehen! Das war ziemlich kurz bemessen. Hoffentlich hatte der erfreute Gevatter auch sofort „Schwen ker und Zylinder" und das nötige „Bargeld" fürs „Paten- briefel" zur Hand! Wer noch nicht Pate gestanden hat und soll dies binnen zwei Tagen tun, dem ist das nicht so einerlei. Na, hoffent lich hat alles geklappt. Den guten Gevatter und die freund lichen Taufeltern — alle deckt nun schon lange der grüne Rasen . . . Aber was sie einmal in ihrem Leben an Glück und Freude hatten, ist doch noch, zum Teil, für uns im Geiste nachzuerleben möglich — durch diesen vergilbten, treuen Gevatterbrief. Arthur Grünewald. EMnunMler -er 4. Ausstellung -er Arbeits gemeinschaft Lausitzer btl-en-er Künstler. ag. Zitstau, 1.November. Dise 4. Ausstellung der Arbeitsgemeinschaft der Lausitzer bildenden Künstler wurde am Sonntag vormittag im Festsaal der Städtischen Hand werker- und Gewerbeschule mit einer besonderen Feier er öffnet. Mit den zuversichtlichen Klängen der Motette „Es