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land" den Gedicht- und Novellenband „Karline" in dem er jedem der damaligen Dichter ein Stück zuschreibt,' und nur einige Gipfel mögen ihre Tiefe bekunden; so das Paul Göhre gewidmete „Vor einem Christusbilö": Nein Herr! So hast du Nicht ausgesehen. So nicht! Dieser schöne Männerkopf Von milchzarter Farbe, Nichtssagenden Auges, Kirschroten Mundes, Weichlich freundlich, Ist nicht Dein Ebenbild. Niemals! und daneben als Gegenstück sein politisches Bekenntnis au Gustav Falke: „Ode an Deutschland": Ich liebe nicht dte Sebanfeste, Ich liebe nicht das Hurraschrein, Hochrcden, Schärpen, Ehrengäste. Festjungfrauen, Tanz und Saufverein, und schließlich Dcmels „Freiheit" mit dem Ausklang: „Die Freiheit wohnt in keinem Land der Welt, die Freiheit wohnt im Menschen und heißt Selbstzucht!", und es ist mir eine besondere Freude, als literarischen Leckerbissen dazu Ihnen Demels Antwort an Polenz Her umreichen zu können, die mir ebenso wie Liliencrons Brand briefe als wertvolle Dokumente jener Zeit von der Familie von Polenz für den heutigen Abend zur Verfügung ge stellt worden sind. — 1896 erscheint ein Novellenband „Rein heit", 1898 die sogar von Reklam aufgenommene Novelle „Wald", die so voller Feinheiten ist, daß der deutsche Wald kaum eine schönere Dichtung erfahren haben dürfte; und unser oberlausitzcr Dorfleben wohl ebenso wenig, wie in den Dorfgeschichten „Lug ins Land", die 1901 erschienen und seinen Roman vom gleichen Fahr „Liebe ist ewig" bei weitem überstrahlt und in „Zettelguß Anna" und „Mutter Maukschens Liebster" Vollendung finden. Trotz dieser epischen Erfolge treibt es ihn zwischendurch zu seinem Schmerzenskind, der Dramatik. Er entrollt die Tragödie eines Gefängnisarztes Andreas Bockhold als psychologische Studie über das Berbrecherproblem. Er greift zum Akten schrank des alten Obercnnewalder Herrschaftsgerichts und schreibt sich „Junker und Fröner" von der Seele, die er schütternde Bauerntragödie des 18. Jahrhunderts, die — welche Tragik! — fünf Jahre nach seinem Tobe zum ersten Mal das Rampenlicht erblickte, als ihm Heimat und Ge meinde den Denkstein setzten und — welche Ironie! — das zweite Mal in der Revolutionszeit, als man in falscher Tendcnzunterschiebung glaubte, dem Volke damit einen Gefallen zu erweisen. Was er dagegen seinem Volke wirklich über eine bessere Zukunft zn sagen hatte, hat er in seinem letzten Prosawerk „Das Land der Zukunft" niedergelegt, so daß es sogar von den Engländern übernommen worden ist: „Wirken, solange es Tag ist" bleibt die Losung aller tapferen Männer und Frauen, die, mögen sie ihr Vaterland diesseits oder jen seits des Ozeans haben, das Angesicht gegen die Zukunft gewandt, ihre Seele nach der Ewigkeit ausschicken!" Und so finden wir 1902 — wie Ihnen das Album zeigen wird — plötzlich den Dichter mit seinem Freund vom V. D. St. Graf Ziethen, Schwerin, mit dem er bereits früher zwei große sozial- und nationalpolitische Studienreisen in das pommerische Agrargebiet und das schlesische Industrie- und Kohlenrevier gemacht hatte, auf Entdeckungsreisen in den Riesenstädten und Prärien Nordamerikas; und wenn wir ihn im Bilde neben dem zerlumpten Indianer sehen, so ist es, als ob sich die Träger Jahrhunderte alter Kulturen in ihren Extremen die Hände reichten: der primitive Mann der ewigen Jagdgründe und der voll Ewigkeitssehnsucht erfüllte Tatmensch Europas, mit dem, wie Bölsche sagt, „als Führer in die neue Welt das Auge und die Toleranz des Poeten gingen". Der sich aber trotzdem mit allen Fasern seines Herzens mit der Heimat verbunden fühlte, wenn er nach Hause von dem Gesehenen und seinem Romanplane „Glückliche Menschen" berichtet und im gleichen Atemzuge sich nach Cunewalde, Wild, Forellen, Blumen erkundigt und an die rechtzeitigen Weihnachtsbesorgungen für die Hofleute und die Armen des Dorfes erinnert. Es sollte das letzte Weihnachten gewesen sein, das der Dichter erlebte; und es ist, als ob in seinem Herzen sogar noch einmal die Lyrik kraftvoll ausholt, wie ein letztes An schwellen seiner Dichtersaiten vor dem Ausklang: „Nun ist es mit einem Male mit solcher Gewalt über mich gekom men, so ganz anders, als ich sonst dichte. Es ist, als spräche § irgendetwas aus mir, eine Gewalt, ein fremdes Wesen, dessen Diener ich nun bin", und er greift zur Leier und entlockt ihr die wundervollen Gesänge von der Liebe Toten- Spiegel, der Ernte und seiner alten Buche am Hochstein. Als er von ihr „dort, wo der Weg in schmaler Krüm mung geht" — dem jetzigen Wilhelm-von-Polenz-Weg — Abschied nahm; als er, der Magenkranke, im Geschirr durchs Cunewalder Tal am Rohbau des Kriegerdenkmals vorbei ins Bautzner Stadtkrankenhaus zur Operation fuhr, ahnte er nicht, daß er Buche, Heimattal und Czorneboh nicht mehr lebend Wiedersehen sollte und daß die Rede zur Weihe des Denkmals, für dessen Bau er sich so eifrig eingesetzt hatte, ein anderer halten würde, und daß die „Glücklichen Men schen", der Roman seines Familienglücks, dem vier Kinder entsprossen, ein Fragment bleiben werde. Und doch! Seine stete Bereitschaft: „Mein Acker ist mit Korn bestellt; Die Ähren krümmen sich im Feld, Gebeugt in ihrer goldnen Reife. Fromm wartend stehen sie bereit; 's ist Erntezeit, 's ist Sterbezeit. Auf, daß ich meine Sense schleife!" Und: „Wie wohl wirds tun! Der Abend sank hernieder, An seinem Busen kann ich ewig ruhn. Nie wieder heben sich die müden Lider, Wie wohl wirds tun!" Seine Sehnsucht! Und wenn wir hören, daß dem im Krankenhaufe Ent schlafenen bei seiner Heimfahrt über die Höhen von Nascha die Kirchenglocken von Großpostwitz und Cunewalde das Ehrengeläut gaben, dann ist es, als ob sich der Ning seines Lebens harmonisch geschlossen und sein kindliches Lied von Abendglock' und Sterbeglock' Erfüllung fand und zugleich mit ihm seine Ewigkeitssehnsucht, die zeitlebens wie ein Hauch über seiner rüstigen Kämpfernatur gelegen hat. Daß seinem Werke aber Ewigkeitswerte innewohnen und daß es, mag die jetzige Zeitströmung noch so oberfläch lich und hastend sein, noch manche Generation überleben wird, nicht nur als Zeit- und Kulturdenkmal, sondern als Ewigkeitsgewinn, diese Überzeugung wird jeder finden, der es zur Hand nimmt; und wir Lausitzer, deren Land er mit besonderer Innigkeit und Liebe malte, können stolz darauf sein, daß dieser Dichter und Mensch einer der Unse ren, ja unser Treuester, war. Dr. med. Rich. Kretschmar, Kirschau. 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