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146 Gbsrlaufltzsr Hs!matzs!tung Är.l6 Wilhelm von Nolenz lVortrag anläßlich seines 70. Geburtstages im Zweigverein für Geschichte und Vorgeschichte zu Kirschau, Schirgiswalde und Crostau) (Schluß) So steht über dem fesselnden Inhalt dieser Meister romane der tiefe Gehalt und auf seinem Grunde als eige nes Herzblut sein Bekenntnis: „Er suchte Gott nicht mehr in weiter Ferne" im „Pfarrer von Breitendorf": „er quälte sich nicht mehr ab, ihn sich beweisen zu lassen durch das, was andere Zeiten über ihn erdacht. — Er gab sich einfach dem Bewußtsein hin, ihn zu besitzen! — In der Tatsache, daß er lebte und dachte, im Gefühle seiner un sterblichen Seele, in seiner Gottessehnsucht selbst war ihm Gott gegeben. — Das eigene Ich zur Geltung zu bringen, auf die Jnnensttmme lauschen, die unsterbliche Seele zu Gott entwickeln, das war der Umschwung, der täglich in ihm an Kraft gewann." Dazu sein sozialethisches Bekenntnis im „Grabenhäger": „Wie man es übers Herz bringen kann, sein Gut zu verpachten, verstehe ich einfach nicht, Das kommt mir so vor, als ob jemand seine Braut meistbie tend verauktioniert. — Denn der Grundbesitz ist ein Amt und nicht ein Geschäft! — Wenn wir uns die besten Seiten des Lehnsverhältnisses bewahrt hätten, Treue und Pflicht bewußtsein, wie anders würden wir dastehen in der neuen Zeit! — Durch Geld allein fesselt man niemals Leute an sich. — Die Hauptschäden unseres Standes, Leichtsinn und Blasiertheit, habe ich von Grund der Seele verabscheuen gelernt. — Und trotzdem kann niemand seine Abkunft höher halten und seinen Stand heißer lieben als ich, aber es geschieht mit blutendem Herzen. — Die faulen Ele mente mögen zu Grunde gehen! Vieles ist gutzumachen. Eines aber tut vor allem not: wir müssen arbeiten! — Für die ältere Generation ist „Autorität" das Stichwort gewesen, für uns jüngere, bei denen das soziale Gewissen erwacht ist, soll es „Gerechtigkeit" sein!" Und „Thekla Lüdekinds" letzter Schluß über die Frauen frage: „Nicht mtt dem Kopfe baut die Frau ihr Leben, son dern mit dem Herzen". Und schließlich im „Wurzellocker" das Höchste, was einem Herzen entspringen kann, die Kunst: „Immer wichtiger wurde ihm der lebendige Sinn alles Geschriebenen!, näm lich die Persönlichkeit, die Seele, die Schöpferkraft, und immer mißtrauischer wurde er gegen das, was ihm früher wichtig erschienen war, das aktuell literarische. — „Wenn wir unter den Künstlern wieder Persönlichkeiten haben werden, dann werden wir auch eine Kunst bekommen! Zur Persönlichkeit gelangen aber können wir nie durch Willkür, sondern durch Selbstzucht!" — Und dann: „Zwei Sünden werfe ich den Jungen vor, zwei Todsünden: daß sie kein Verhältnis gefunden haben zur Religion und das gleich schwere Verbrechen, daß sie dem Vaterlande kühl gegen- überstehen; dadurch beweisen sie nicht, wie sie glauben mögen, die geistige Überlegenheit, sondern Gedankenlosig keit und Befangenheit in falschem Freisinn. Aus Religiosi tät und Heimatliebe wird der Mensch der Zukunft seine Kraft ziehen." Und zog sie selbst daraus! Nicht nur als Dichter des Wortes, sondern als Mann der Tat. Die Trichinose in Cunewalde packte ihn am Gewissen: „Die Lehren, die ich selbst aus dem, was ich gesehen, geschöpft, sind vielfacher. Jedenfalls ist mein Leben um eine Pflicht reicher geworden, nämlich die, mich um das Wohlergehen meiner Mitmenschen in meiner nächsten Nähe zu bekümmern. Es kann und muß in Cunewalde sehr viel geschehen, und ich hoffe, es wird mir Vorbehalten sein, etwas von den Lehren, die ich in „Aliis" — einem früheren Roman — verkündet, dort prak tisch ins Werk zu setzen." Und als eine andere Seuche, der Weberstreik, in Cunewalde ansbricht, da schwingt er, der Rittergutsbesitzer, sich aus sein Pferd und reitet zu Sen Fabrikbesitzern im Tal, um zu vermitteln,' wendet er vor einem, der ihn abweist, auf der Hinterhand und lädt die anderen und die Führer der Gewerkschaft auf sein Schloß zu Einigungsverhandlungen. — Wie ernst er es um seine Pflichten zur Kirche nimmt, davon zeugt dieser Brief: „Ober-Cunewalde, 1. Dezember 96. Geehrter Herr Pfarrer. Ehe ich mich zur Wahl in den Kirchenvorstand von Cunewalde stelle, bin ich Ihnen noch eine Erklärung schul dig. Meine Absicht, micht nicht zur Wahl zu stellen, die ich Ihnen seinerzeit brieflich mitgeteilt habe, habe ich inzwi schen aufgegeben. Ich glaube, die Stellung eines Kirchen vorstandsmitglieds durchaus mit meinem Gewissen ver einigen zu können. Ich bin mir keiner Feindschaft gegen die evangelische Kirche bewußt, und die heimische Cune- walder Kirche ist mir sogar ans Herz gewachsen. Daß ich in unserer gegenwärtigen Kirchenverfassung noch immer vieles reformbedürftig finde, kann und will ich nicht leug nen. Doch während ich früher annahm, daß dafür die Geist lichkeit persönlich verantwortlich zu machen sei für den Mißstand, habe ich mich inzwischen davon überzeugt, daß weit mehr die unglückliche Entwicklung an unseren gegen wärtigen unerquicklichen Zuständen schuld ist und daß die Laien mindestens ebenso anzuklagen sind für den Notstand wie die Geistlichen. Ich fühle aber durchaus nicht den Be ruf und das Zeug in mir, diese Reformation, von der ich allerdings glaube, daß sie früher oder später kommen muß, etwa selbst zu beginnen. Sollte sich in dieser meiner jetzigen Stellung zur Kirche einmal etwas ändern, so würde ich keinen Augenblick zaudern, meinen Austritt aus dem Kirchenvorstande anzumelden." Und daß er auch dem politischen Gegner Achtung ab rang, bestätigte der sozialdemokratische Abgeordnete Sinder- mann, als er äußerte, es sei ihm eine Ehre gewesen, mit Wilhelm von Polenz die Klinge zu kreuzen. Über sein son stiges Leben berichtet das „Literarische Echo" im Oktober 1960 biographisch: „Fernstehende wundern sich manchmal, wie man die Literatur mit der Verwaltung eines großen Gutes ver einigen und auch noch Zeit zur Arbeit im Dienste der All gemeinheit erübrigen könne. Die Sache ist furchtbar ein fach: Einteilung heißt des Rätsels Lösung und unverdros senes „bei der Sache sein" —. Ein wichtiges Hilfsmittel für den, der mit vielseitiger Tätigkeit gesegnet ist, bleibt allezeit frühes Aufstehen. Ich schreibe fast nur des Mor gens, wenn der Leib ausgeruht und einem durch den Brä- sigschen Hofjungenärger, Sen es auch hierzulande gibt, Sie Stimmung noch nicht verdorben ist. — Ich bin Mitglied von einigen 20 Vereinen und Korporationen, muß Reden halten bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten und werde in Komitees gewählt; kurzum, von den Plagen des öffentlichen Menschen bleibt mir keine erspart, meine Erholungen sind Jagen und Reiten — ich rauche nicht, trinke ungern Bier und spiele keinen Skat, dafür habe ich andere Liebhabereien, z. B. schreibe ich Dramen; schade, daß sie niemand gern aufführen will. Es sind seit meiner Schülerzeit mindestens zwei Dutzend — Politik als solche ist mir ziemlich uninteressant, nur, wo sie ins soziale Ge biet eingreift, schenke ich ihr Beachtung. — Im stillen hege ich so manche kühne Hoffnung für mich und mein Volk: Eine starke deutsche Flotte, einen zufriedenen Arbeiter stand, Erfolg einiger meiner Dramen auf der Bühne und wohl der tollkühnste aller Wünsche: ein deutsches Volk, das Bücher liest und kauft." Mit seinen genannten Standardwerken Polenzscher Er zählerkunst aber ist seine Dichtung noch nicht erschöpft. Er widmet 1892 dem ehemaligen Klassen- und jetzigen Dichter genossen Georg von Ompteda seine Skizzen „Die Unschuld" und andere Federzeichnungen, 1894 „dem Grünen Deutsch-