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kel der reichen Barockfassadcn an Schönheit nicht mit dem gebauschten Gefältel der Spitzen und Krausen an Blusen und Miedern schmucker Wendinnen? Ehrerbietig öffnet der rvuchtige Nikolaiturm sein dunkles Tor der wendischen Matrona, die nach dem wendischen Nikolaifriedhof schreitet. Zwischen den Strebepfeilern des altehrwürdigen Petri- doms hocken an Markttagen wendische Frauen. Sie brach ten Knieholz und Maiensträuße aus der Heide herein. Verstohlen lugt der stolze Fürst von seinem Platz auf dem Marktbrunnen nach ihnen hinüber, hätte er nicht ein stei nernes Herz, er würde mit ihnen plaudern; denn es sind ja seine Leute, Wenden aus dem anderen Sachsen, das ihm für treue Kriegsdienste zugesprochen wurde; noch hält ers schwarz auf weiß in den Händen. Dergleichen Trachten sind keine Seltenheiten, man braucht kein Sonntagskind zu sein, um den Hochzeitsbitter zu sehen. Oft fährt er durch die Straßen nach den Wenden dörfern hinauf, geschmückt mit Dreimaster und bunt bebändertem Stab. Des Sonntags kommen noch wie vor Zeiten die Wenden vom Lande zur Stadt herein zum Kirchgang, da gehen sie zur Michaeliskirche, und in der Kirche unserer lieben Frauen neigen sich Bänder und Rad hauben im Gestühl andächtig zum Gebet. Ostern ziehen die Osterreiter auf hochgezäumten Rossen in bunter Pro zession singend durch die Gassen. Was an Trachten, an gegenwärtigen und vergangenen, die Oberlausitz aufzuweisen hat, das wird dies alte Bu- dissin auf Straßen und Märkten zum kommenden Trachten fest am 3. Juni d. I. in Vielgestaltigkeit und Buntheit ent falten: Bautzener Stadtsoldaten, die einstens die Stadt be wacht. Von Neusalza und Weißenberg her ziehen die Schützen mit ihren Bären Mützen zu den Toren herein. Vom Mönchswald sind die Mönche herniedergestiegen, die in Bautzen ein Kloster gründeten. Troßknechte gaben schwerbeladenen Kaufmannswagen Geleit durchs Land, denn Raubritter lagern an Wegen und Straßen. Wenden kommen in bunten Scharen zum Tanz, Dudelsack und alt wendische Geigen spielen auf dazu, Bautzener Volkstanz gruppen werden sich in edlem Wettstreit mit ihnen messen. Die Sohlander lassen auf einem Festwagen in alter Lau sitzer Bauernstube einen Handwebstuhl klappern. Laden mädchen aus Bad Schmeckwitz zeigen sich in ihrer niedlichen Tracht. Altlausitzer Spielscharen treten an. Bieleboh und Czorneboh werden höchst eigen zu diesem Feste in die Stadt kommen. Der Eierjokel wird erscheinen wie am Ostersonntag zum Eierschieben. Urnen aus alter Zeit wer den von der Vorgeschichte der Lausitz erzählen. Schirgis walde wird an seinem Teil beweisen, daß das alte Lausitzer Handwerk noch immer in Ehren steht. Das Hexenhäusl, ein Wahrzeichen der romantischen Stadt, darf nicht fehlen. Biedermeier werden das Bild mit Farben füllen. Und zum Zeichen dafür, daß alte und neue Zeit hier brüder lich beieinander wohnen, wird auch der Sport mit Hoch rad und Biedermeier zu seinem Rechte kommen. Buntestes Leben wird die Straßen füllen. Bautzen wird an diesem Tage erneut beweisen, wovon es immer schon erzählte: daß es die Stadt der Trachten ist. Sie Karsen-Mark Zum 100. Geburtstage einer Herrnhuterin Von Thekla Wenzel Am 4. Juni 1882 wurde in Herrnhut Marie Christoph geboren. Ihr schlichtes Leben spricht heute noch zu Herz und Seele, drum sei etliches daraus wiedergegeben. Als Schwester im Schwesternhaus in Herrnhut wohnend, dort nennt man sich Schwester und Bruk'er, ist sie überall be kannt gewesen und beliebt. Sie hat in der Lausitz eine ganz seltene Mission ausgeübt. „Man dient mit der Gabe, die einem gegeben ist"; mehr wollte sie nicht sein und nicht vor stellen. Und so zog sie, mit ihrer Harfe über der Schulter, es war ein leicht tragbares, einfaches Instrument, von Ort zu Ort, dazu die schönen erbaulichen Lieder ter Herrnhuter Brüdergemeine singend. Daher wurde ihr im Volksmunde der Name „Harfenmarte" zuerteilt. Sie lebte überaus be scheiden und anspruchslos und war voll Freude bereit, mit ihrer Harfe t'en Herrnhuter Familien zu dienen. Wenn man diese originelle Schwester im Morgengrauen durch die lautlosen Gassen schlüpfen sah, so wußte man, heute ist da oder dort Geburtstag, eine Jubel- oder Silber hochzeit oder ein anderes Familienfest. Bald ertönte dann irgendwo ihre zwar nicht sehr starke, aber angenehme lieb liche Stimme, begleitet von ihrer weich klingenden Harfe, die sie zärtlich, man kann sagen liebevoll mit den Finger spitzen bediente. Da klang dann aus Herz und Harfe ent weder das bekannte „Lobe den Herrn" oder „Bis hierher hat mich Gott gebracht" und das schöne Herrnhuter Lied „Jesu Lebenssonne, geh mit neuer Wonne ihren Seelen auf". — Man nannte in Herrnhut so ein Ständchen das „Aufsingen". Solches Aufsingen wurde von der Schwester Marie Christoph als ein Dienst im Weinberg des Herrn aufgefaßt und wird deshalb auch manch gute Frucht ge tragen haben. Das sonnige Wesen der Harfenmarie paßte so recht zu ihrer Liebestätigkeit. Da sie ledig geblieben war, konnte sie sich ganz der großen Idee der Harfenmission htngeben. Wie es bei denen, die geistig verinnerlichend arbeiten, öfter der Fall ist, so war es auch bei der Harfenmarie: eine Mode kannte sie nicht. Ihr Mantel und Pelerine blieben immer dieselben. Was kümmerte sie Äußerliches, wenn sie so viel inneren Reichtum besaß? Fröhlich und getrost zog sie ihre Straße und brauchte sich nicht um den Neid und die Mißgunst der Welt zu küm mern, ihr Herz war immer voll Lob- und Danklieder. Nicht nur in Herrnhut, auch in Niesky ging sie „Auf singen". Sie wanderte mit ihrer Harfe etwa sechs Stunden weit durch Wald und Feld zu Fuß und blieb dort bei ihren Verwandten. Sie war auch dort bekannt und beliebt. Bei solchen Gelegenheiten machte die Harfenmarie auch noch Besorgungen für andere und führte auch sonst als rüstige Fußgängerin Botengänge nach Löbau, Zittau und Görlitz aus. Ihre Kleider hatten dazu weite Taschen, in denen sie ihre Einkäufe verbarg, es waren oft zerbrechliche Dinge, wie Porzellan und ähnliches. Unterwegs ruhten aber ihre fleißigen Hände keineswegs, sondern im Gehen knüpfte sie noch Rundschnur. Auch in die Nachbarorte wurde die ltederreiche Harfen sängerin eingelaöen. Zur Kirmes und anderen Festlich keiten mußte sie oft auftreten. Liebevolle Herzen füllten mit reichen Händen ihre Taschen dafür mit Lebensmitteln. Zu den Kinderstunden, wie man in Herrnhut sagt, wahrscheinlich eine Art Kindergottesdienst, begleitete sie die Lieder auf dem Klavier, und zwar so, daß sie die Akkorde alle in Perltönen, das heißt in Arpeggien, anschlug, als habe sie die Harfe vor sich. So sehr war sie mit ihrer Harfe verbunden. Sie lebte nur in und für dieselbe. Im Heimat museum in Herrnhut ist diese alte Wanderharfe aufgehängt und an der Wand noch zu sehen. Eines Tages wurde sie lebendig und hat mir das alles aus ihrer großen schönen Vergangenheit erzählt. Seit Jahr zehnten trauert sie um ihre treue Lebensgefährtin. Trotz, oder gerade wegen ihrer mehr als einfachen, schon mehr spartanischen Lebensweise (sie heizte z. B. nur bei grim miger Kälte ihr Zimmer und wärmte sich die Hände am Kaffeetvpf) hat die Harfenmarie ein Alter von 74 Jahren erreicht. Sie ging am 28. Februar 1906 heim und ruht nun auf dem schönen Friedhof am Hutberg. Bet manchem Lau sitzer klingen ihre Lieder noch in der Erinnerung fort, und so ist sie unvergessen. Dieses Gedenkblatt sei ihr zu ihrem 100. Geburtstag gewidmet.