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Augen, der in unfern Zusammenhang zu gehören scheint. Dort in Zittau wurde die Fastnacht in ähnlich seltsamer Weise begangen. Von den Bürgern wurde auf dem Markte ein hölzernes Haus aufgebaut. Eine Abteilung Bürger (viele junge Leute waren darunter) besetzte das Haus. Eine andere Abteilung zog heran, um das Haus zu stür men. Sie warfen mit Töpfen, schlugen mit Stecken, nannten solange dagegen, bis es genommen und niedergcrissen ward. Die Besatzung des Hauses wurde gefangen genom men und in den Röhrkasten (Wasserkasten), der auf dem Markte stand, geworfen. Die Freude war groß, wenn die Gefangenen tüchtig naß wurden. Diese Kurzweil blieb so lange in Übung, bis einige Personen davon Schaden nah men, ja sogar den Tod davon trugen. Diese Unfälle ver anlaßten den Rat, dies Fastnachtsspiel zu untersagen. Diese alte Zittauer Fastnachtskurzweil findet in vielen Volksbräuchen Mitteldeutschlands Entsprechungen. Beson ders der Mansfelder Kreis ist reich daran. So wurde in Bornstedt die alte Burg gestürmt, um den Raubrittern die Prinzessin abznjagen. In ändern Dörfern, wo es keine Burg gab, war es Sitte, aus Holz und Stroh ein Haus zu bauen. Burschen besetzten das Haus, eine andere Ab teilung stürmte dagegen. Der Anführer der Stürmer ries den Belagerten zu: „Elender Ritter, gebt Ihr mir meine Prinzessin nicht heraus, so stürme ich Eure Burg und ver heere sie mit Feuer und Schwert." Dann fügte er, zu sei-i nem Haufen gewandt, hinzu: „Ihr Karle, ho ich's nich gut gemacht?" Der Anführer der Gegner aber erwiderte von oben: „Elender Ritter, ich gebe dir die Prinzessin nicht heraus, die ich mir ritterlich erobert habe!" Seine Genossen aber fielen höhnend ein: „Schoofzipfel, kummt und probierts!" Die angeführten Belege zeigen uns, daß das Nieder- cunnersdorfer Brauchtum im engen Sinnzusammenhange mit ähnlichen Volksüberlieferungen Mitteldeutschlands steht. Die Niedercunnersdorfer Jugend führt an der Nach- kirmst die Kurzweil aus; der Zittauer Bericht und die andern angeführten nennen die Fastnacht oder wenigstens einen Frühlingstag (neben der Fastnacht Himmelfahrt und Pfingsten) als Tag der Aufführung. Stichhaltige Gründe machen es gewiß, daß die letztgenannten Überlieferungen den Sachverhalt richtig treffen. Wir gewinnen als sicheres Ergebnis: Das Niedercunnersdorfer Brauchtum ist ur sprünglich eine Fastnachtsbelustigung. Ein wesentlicher Zug der Fastnachtsbelustigungen besteht darin, ernste Werktagsarbeit ins Komische hinüberznwenden. Wenden wir diese Ansicht einmal auf unser Brauchtum und fragen: Könnte in der Arbeit der Zimmerleute, im Stürmen des festen Hauses oder der Burg, ein ernstes Tun zur Bur leske gestaltet worden sein? Die Antwort auf diese Frage drängt sich uns ohne langes Nachdenken auf. Zittauer Bürger stürmen ein festes Haus! Haben das die Bürger des mittelalterlichen Zittaus nicht genugsam getan? Viele Burgruinen in nähe rer und weiterer Umgebung der Stadt zeugen von diesem wehrhaften Bürgergeiste, der sich selbst zu helfen wußte, als ihm der Landesherr nicht half! Es ist kein Zweifel: Das Stürmen des festen Hauses an der Fastnacht ist eine burleske Nachahmung des Stürmens einer Burg oder eines festen Hauses lUnwürde, Crostau waren feste Häu ser) durch das mittelalterliche Bürgerheer. Mit dieser Einsicht haben wir ein neues Ergebnis ge wonnen: unser Fastnachtsbrauch wurde in den Städten ausgebildet. Von hier wanderte er aufs Land. Da die Träger derartiger Veranstaltungen in den Städten meist die Zünfte waren, ist es möglich, daß den Zimmerleuten beim Stürmen des festen Hauses eine besondere Nolle zu kam. Die Ausführung des Brauches in Niedercunners dorf würde jedenfalls aus eine Zuiiftveranstaltnng der Zimmerleute schließen lassen. Mit den eben gewonnenen Ergebnissen scheint unser Fastnachtsbrauch befriedigend aufgehellt zu sein. Und doch sind einige Andeutungen vorhanden, die in ihm noch einen tieferen Sinn vermuten lassen. Warum warfen die Zit tauer Bürger die Gefangenen in den Röhrkasten und machten sie klitschenaß? War dieses Verfahren etwa mit mittelalterlichen Gefangenen üblich? Die Rechtsaltertümer berichten meines Wissens darüber nichts. Aber im Volks brauch ist mit Wasserbesprengen eine iimrnlerj wiederkeh rende Gebärde. Maigraf und Maibraut werden mit Wasser übergossen, der Knecht, der die erste Fuhre grünen Klees vom Felde bringt, die Schnitter mit dem letzten Ernte wagen müssen einen Wassersturz über sich ergehen lassen. Alle die genannten Personen stehen in enger Beziehung zum Wachstum der Fluren, ja, in ihnen wird die Wachs tumskraft der Fluren geradezu verkörpert gedacht. Der Wasserguß offenbart sich in diesem Zusammenhänge als Fruchtbarkeitszauber: Ich übergieße dich, Wachstums träger, auf daß sich die Wachstumskräfte, die in dir liegen, regen und zur Entfaltung drängen! Mit dieser Erkenntnis haben wir unser Fastnachts brauchtum in eine tieferliegende Schicht des Volksglau bens hineingebettct. Die Gefangenen, die im festen Haus zu Zittau gemacht wurden, wurden in einer älteren Über lieferung als Wachstumsdämonen betrachtet. In Nieder cunnersdorf ist der Strohmann der Vertreter der Ver teidiger geworden. Der Wachstumsdämon wurde im Vor frühling gesucht, gefangen und durch Wasserguß lebendig und fruchtbar gemacht. Unser Zittau—Niedercunnersdorfer Fastnachtsbrauch ist ursprünglich ein Vorfrühlingsbrauch. Er ist eingebettet in die Religion des Bodens und der in ihm und über ihm wirkenden Mächte, der unsre Ahnen, die überwiegend Ackerbauer waren, huldigten. Dem Bauer war unser Brauch eine Zauberhanölung, feierlich kultische Gebärde. Vom Lande wanderte das Brauchtum mit dem Ackerbürger in die Stadt, wurde vom Stadtbürger um gebildet, scheinhistorisch überlagert und kehrte von den Städten in zunftmäßiger Aufmachung aufs Land zurück. Heute ist das Brauchtum in unsrer Heimat eine Kirmst- belustigung der Jugend geworden. Sein Sinn ist ihm er storben. Möchten aber seine Träger sich bewußt sein, daß sie zu Hütern uralten Volksgutes geworden sind, und mochte bei aller Lustigkeit, deren sic sich bei seiner Aus übung mit Recht befleißigen, doch ein Gefühl der Ehr furcht von so ehrwürdigem Überlieferungsgut in ihnen lebendig sein! F. S. Ein alliveMcher Fund im Kreise Rothenburg. Obwohl in einigen Ortschaften des Kreises Rothen burg wendisches Volkstum und wendische Sprache sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, war bisher nur ein einziges archäologisches Belegstück für ein frühgeschicht liches Alter der slawischen Kultur dieses Gebietes be kannt, nämlich ein Tongcfäß aus spätslawischer Zeit (11. bis 12. Jahrhundert n. Ehr.) aus Mühlrose, das in der Vorgeschichtlichen Abteilung der Staatlichen Museen in Berlin aufbewahrt wird. Nun ist neuerdings ein zweiter spätslawischer Topf aus Kringelsdorf bekannt geworden und durch Rektor Wollny-Werminghoff der Vorgeschicht lichen Abteilung des Kaiser^Friedrich-Museums (Gedenk halle) Görlitz in dankenswerter Weise freundlichst über wiesen worden. Dieser Topf hat eine gedrungene rund liche Form, weit ausladenden Rand, sowie zwei einfache Rillen auf der Schulter. Er ist auf der Töpferscheibe her gestellt, wie man nicht nur an den feinen Niesen auf der Außenwandung, sondern auch an dem kreuzförmigen Stempel an der äußeren unteren Bodcnfläche erkennen kann. Wie diese spärlichen Funde vermuten lassen, ist das Wendcntum im Kreise Rothenburg erst im Anfang unseres Jahrtausends allmählich bodenständig geworden.