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sitzcr Schrifttum? Das war für manchen Athleten des „Nuten Geschmacks" ein entsetzlicher Gedanke! In dieser Hinsicht ist glücklicherweise während der letz ten zwei Jahrzehnte eine gründliche Wandlung des Ge schmacks eingetreten, und wir haben heute die Aufäuge eines mundartlichen Heimatschrifttums, das einen Vergleich mit dem des Platt oder des alemannisch - bajuvarischen Idioms durchaus nicht zu scheuen braucht. Fragen wir uns zunächst einmal, welche Gründe bei uns für die kritische Ablehnung unserer sächsischen Mundarten in der Literatur bestimmend gewesen sind. Auf viele mag das unzweifelhaft schiefe Bild abstoßend gewirkt haben, das Edwin Bor mann und seine Nachfolger auf dem Gebiet der sogen. B l i e m ch e n l i t e r a t u r von sächsischer Eigenart gaben. Auch die heutigen „Größen" dieser Richtung, z. V. Lene Voigt, brauchen durchaus nicht jedermanns Geschmack zu sein, obwohl wir uns gewiß alle diebisch freuen, wenn das biedere Philistertum ein wenig auf die empfindlichen Hühner augen getreten wird. Aber das war bestimmt nicht die ein zige Ursache. Vielfach begegnete man auch dem Einwand, unsere Lausitzer Mundart sei so rauh und ungehobelt, daß sie sich schlimmsten Falles zur Einkleidung kurzer Anek doten oder eines kleinen Zötleins eigne, niemals aber dazu, die ganze Skala menschlicher Empfindungen bis zum tief sten Herzeleid zum überzeugenden Ausdruck zu bringen. Dieses völlig unzutreffende Argument ist inzwischen durch geradezu erschütternde Stimmungsschilöernngen unserer Besten, Wilhelm Friedrich, Rudolf Gärtner und Richard Blasius, gründlich widerlegt worden. Ein wei terer Einwand stützte sich auf die an sich durchaus zutref fende Tatsache, daß beinahe jede Siedelung unserer Ober lausitz starke mundartliche Eigentümlichkeiten besitzt, die selbst bei unmittelbar benachbarten Orten zu ganz wesent lichen Abweichungen führen. Man meinte, daß dieser Um stand die Mundart zur Verwendung im Schrifttum völlig ungeeignet mache. Im plattdeutschen Sprachgebiet, wo ähn liche Verhältnisse obwalten, haben sich Reuter und andere Mundartdichter durch das sogen. „Missingsch", eine vermit telnde Dialektform, geholfen, tünch bei uns ist dieses Hemm nis auf ziemlich einfache Weise überwunden worden; die einzige Schwierigkeit besteht in der lettcrnmäßigen Wieder gabe der ost weit anSeinandergehenöcn Lautunterschicde. Wenn man mit Recht sagt, daß eines Volkes Seele seine Sprache ist, so gilt das erst recht von der Mnnd- a r t. Aus i h r ist die allgemeine Schriftsprache, in nnserm Falle das Hochdeutsch, hervorgcgaugen. Aber zwischen Schriftdeutsch und Umgangssprache bezw. Mundart besteht doch noch ein Unterschied, der uns oft nicht ohne weiteres bewußt wird. Wenn wir unsere Gedanken schriftlich oder durch Buchdruck festlegen sollen, sind wir ohne Zweifel in der Wahl unserer Ausdrücke, sei es aus Gründen der Zweckmäßigkeit oder meinetwegen auch des guten Tones und der Wvhlanstäudigkcit, ungleich vorsichtiger, als im persönlichen Umgang. Wenn wir auch nicht dem beipflich ten möchten, daß die Sprache dazu da ist, nm die Gedanken zu verbergen, so steht doch das eine fest, daß das, was wir schreiben, beileibe nicht immer der genaue Ausdruck unserer Empfindungen ist. Natürlicher und echter wird meist das sein, was mir in kursfähiger Mundart von uns geben: sie liefert das getreuere Spiegelbild unserer Seele! Damit kommen wir zur zweiten Kardinalfrage, nämlich: Weshalb ist Pflege und Erhaltung der Mundart als eines Volks- und Kultur gutes eine Notwendigkeit? Es kommt dabei im wesentlichen darauf an, wie wir uns zu der Frage stellen, ob wir überall, soweit die deutsche Zunge klingt, unsere Landsleute als einheitliche Nvrmaldeutsche — etwa nach Berliner Schnittmustern — wünschen oder ob wir grund sätzlich für die Erhaltung und den Schutz der Eigenart aller unserer deutschen Gaue iu Bezug auf Sitten, Gebräuche, Trachten und Mundart, kurz alles das, was wir als volks mäßige und kulturelle Besonderheit unserer Landschaften und Volksstümme betrachten, eintreten wollen. Es ist dies im wesentlichen davon abhängig, wie hoch wir den Wert der Heimat einschätzen. Jede unvoreingenommene und sach liche Prüfung der Frage wird zu dem Ergebnis führen, daß die volkstümlichen Eigenheiten unserer deutschen Gaue für die Volksgemeinschaft als Ganzes nicht nur keinen Nachteil bedeutet, sondern vielmehr einen starken Aktivposten insofern, als sich jeder Stamm be sonderer Vorzüge rühmen darf, die der Nation zugute kommen. Es ist hierbei zu berücksichtigen, daß die Lebens verhältnisse nicht überall die gleichen sind. Zur Zeit, als der norddeutsche Bund begründet wurde und das sogen. Freizügigkcitsgesetz noch nicht in Kraft war, konnte, namentlich auf dem flachen Lande, von einer Gefährdung der Lausitzer Eigenart noch keine Rede sein. Sie trat erst ein, als die Entwickelung von Handel und Industrie eine so ungeahnte Steigerung des Verkehrs von Gan zu Gau hcrbeiführte. Wir sind natürlich weit davon entfernt, diesen so lebenswichtigen Aufschwung etwa zu bedauern, aber wir wehren uns dagegen, daß durch die an sich segensreiche Wandlung aller Dinge die Eigenart unserer Stämme durch öde Gleichmacherei verwischt werde. Und der stärkste Ausdruck unserer Eigenart ist die Mundart! Wir wol len, und zwar in allererster Linie, gute Deutsche sein, aber wir wollen die Besonderheiten der deutschen Stämme achten und schützen, weil zu befürchten ist, daß in dem Augenblick, wo diese Unterschiede restlos verschwinden, letzten Endes der leider immer mehr sich breitmacyenöen Neigung weiter Kreise zu einem ntopistischen Weltbürgertum ein wesentlicher Vorschub geleistet würde. Wir aber wollen uns die Begriffe Vaterland und Heimat durch keine irgendwie geartete Weltanschauung verk ü m in crn lassen! Wenn die Literatnrfühigkeit der Lausitzer Mundart an fangs vielfach ongezweifelt und bestritten wurde, so ist cs mit darauf znrückzuführen, daß so mancher sich unbefugter Weise berufen fühlte, sich darin zn versuchen. Für den nicht in der Lausitz geborenen Außenseiter, mag sic ihm noch so lieb und zweite Heimat geworden sein, ist es so gut wie unmöglich, sich schriftlich in unanfechtbar echter Mundart auszudrückeu. Er wird günstigsten Falles seine hochdeutschen Gedanken in die Mundart zu übersetzen versuchen, aber wohl niemals das innerste Wesen dessen treffen, was und. wie der geborene Lausitzer empfindet. Er unterliegt nur zn leicht der Gefahr, künstliche Wendungen zu kon struieren, die der bodenständigen Sprache durchaus fremd sind, also wie eine Fälschung wirken. Ich habe diese außerordentlichen Schwierigkeiten am eigenen Leibe erfah ren, als ich einmal notgedrungen zwei ganz kleine Sprech rollen in einem Festspiel in mundartliche Fassung, noch dazu in jambische Quinäre kleiden mußte. Ohne Wilhelm Friedrichs selbstlose Unterstützung wäre ich mit dieser Auf gabe niemals zn Stande gekommen,' aber ich habe damals Blut geschwitzt und geschworen: „einmal und nicht wieder!" Der alte Kampfhahn Bihms Ko ar le hat unbedingt recht, wenn er gegen diese falschen Propheten der Mnndart- schriftstellerei unbarmherzig zu Felde zieht! Er ist der Nestor der Lausitzer Mundartdichter und hat das Verdienst, als einer der ersten den Nachweis erbracht zu haben, daß unsere Edclrvllersprache sehr wohl dem heimatlichen Schrifttum dienstbar gemacht werden kann. Seine Verse wie seine Prosa umfassen den ganzen Gemütsgehalt des Lausitzers,- aber der Humor überwiegt bei weitem, namentlich in dem berühmten „Giftschränkchen", aus dem er manche kräftige Dose verabfolgte,' neuerdings hält sich der nunmehr fast 77-Jährige leider der Öffentlichkeit ziem lich fern. In noch höherem Maße hat Wilhelm Fried- r i ch dazu beigetragen, die poetische Verwendbarkeit unse rer Mundart weit über die Grenzen der engeren Heimat hinaus bekannt zu machen. Wie ich anläßlich seines 60. Ge-