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S6 Gberlausitzer Heimatzeitung Nr. 8 schein Empfinden aber auch über öiese Grenzen nachspüren. Sie spielt auch nicht mit solch gewaltigen Symphonien auf wie der Norden, wo der Frühlingssturm die Meere brau send gegen die Küsten wirft. Ja selbst Landschaften wie die Lüneburger Heide, der Böhmerwald, das Moseltal, die Eifel, um Daun und Manderscheidt, haben vielleicht manches Eigenartige mehr, und dennoch ist sie es wert, von Wande rern gesucht, verstanden und geliebt zu werden. Kurt Arnold Findeisen hat ihr Bild treffend charakteri siert, wenn er singt: „Es liegt, soweit die Hügel ziehn, das Land wie betend auf den Knien bei Hellem und dunklem Wetter." Wenn er dann aber weiter sagt: „Verzaubert schlafen irgendwo um Czorneboh und Bieleboh entthronte Sorbengötter," so gibt er damit auch in dieser Form den Beweis, daß hier nicht allein das Landschaftliche das Klingende und Be zwingende ist, daß vielmehr die Verbindung von Mensch und Landschaft und die sich daraus entwickelnden Formen in Brauchtum und Sitte das Bedeutungsvolle ausmachen. So wird also auch das Wissen um die Lausitzer Frühlings zeichen das Wandern durch den Frühling in der Lausitz viel wertvoller und fröhlicher gestalten. Der Sonntag Latare weiß noch eine bunte Lüft. Da sammeln sich in den Dörfern, die noch nicht verstädtert sind, Burschen, Mädchen und Kinder und tragen ihrem Reigen eine Strohpuppe voran, die dann auf freier Wiese ver brannt wird. Dazu geht eine lustige Strophe um: „Nu treiben wir den Tod aus, nu treiben wir Winter und Not aus, wir schlagen ihn mit Stricken und Trensen, wir jagen ihn über die Grenzen." Überall kann man dann auf Feldern, Wiesen und in Gärten jene kleinen Feuer sehen, die den winterlichen Schutt verbrennen und dem kommenden Frühling ein ge läutertes Land vorbereiten möchten. Natürlich wird in diesen Tagen auch die große Kinderfreude wieder lebendig, die sich offenbart, wenn die Kleinen Himmelreich und Hölle springen, Kreisel peitschen, Murmeln schieben und aus Tonpfeifen jene mächtigen Seifenblasen blähen, in deren hauchfeine, buntschillernde Gehäuse sie all ihre kleinen Sehn süchte versenken, bis sie, übersteigert von Sehnsucht und Freude, armselig zerplatzen. Am Gründonnerstag tragen die Kinder in der Süd lausitz, dort, wo dicht in böhmischer Nachbarschaft am Kott- mar die Spree entspringt, im rollenden Dialekt einen Vettelreim von Haus zu Haus: „Gun Murgn zun Grinn-durscht-chel Gaht merr woas as Battl-sakl! Loßt miech nä zä lange schtiehn, Ich muß a Häusl wedder ziehn. Kimmt ha nä raus, kimmt sie nä raus, Do kimmt a kleener Junge raus Und deelt dü ganzn Brazln aus." Wie an manchen Orten unseres Vaterlandes geht auch hier die Sage, daß sich am Karfreitag Berge und Felsen auftnn, um in Christi Todesstunde reine Herzen mit Gold und edlem Gestein zu beschenken. Und wieder Volkssage ist es suns nur Sage,- denn der Naturwissenschaftler würde sofort lächelnd den Gegenbeweis führen!), daß am gleichen Tage in tiefem Waldgrunde die blaue Wunderblume des Glücks blüht. Schön ist der Brauch, von vier bis fünf Uhr die Glocken zu läuten, daß unter dem Geläut die Menschen hinausgehen zu ihrem Karfreitagsspaziergang. Wer schon im März Wanderwege durch die Lausitzer Heide sucht, kann die Erlösung der Natur aus Wintersnot besonders innig betrachten. In treibender Fülle sprießen jene Kätzchen, die der Volksmund treffend „Palmmiezel" nennt, und eine Liebesfeier von seltener Art ist an den Haselbüschen zu beobachten. In hundertfach wiederholten Vertikalen rieseln die kleinen goldenen Ruten der männ lichen Blüten herab, während die weiblichen, scheu und zag haft, aber doch sehnsüchtig verlangend zierliche Bürsten krönchen in köstlichem Purpur herausstrecken. Sie warten der seligen Stunde, da der Frühlingswind die goldenen Ruten streift und goldene Wolken des Glückes auf sie her niederstäubt. Sie warten und zittern, bis endlich dann ein warmer Frühlingsregen herniederrauscht wie ein Segen von Erfüllung und Fruchtbarkeit. Das ist die große Kunde, für die Anton Wildgans diese Worte findet: „Alle Zweige sind golden bestickt. Weidengezttter und Haselgestrüppe: Blühende Lippe an blühender Lippe. Alles Gestämme voll treibendem Most. Unsinnbar und unbeschreiblich. Blütenstäubchen, männlich zu weiblich, Taumeln durch die gesegneten Lüfte, Leben in Leben, Düfte in Düfte, Und die blaugeschatteten Klüfte Sind von stürzender Schmelze durchtost." Ende März, Anfang April stellen sich der Landmenschen freundliche Brüder, die Störche, von fernen Fahrten wie der ein, und es gibt Orte, wo man ihre Wiederkehr fast auf den Tag genau bestimmt. Bald ist des Kiebitzes ängst licher Schrei ums Gelege zu hören, und immer mehr be völkern sich die Teichgebiete mit den wilden Hühner-, Enten- und Gänsevölkern. Die Rohrspatzen schimpfen wie der im Schilf. Die seltene Rohrdommel kommt herbei, und selbst Sie schönen bunten Eisvögel suchen hier ihre Heimat. Und wenn der Frühling hoch im Zeichen steht, ist diese Landschaft zwischen Heide und Teichen ein Paraöiesgarten des gefiederten Volkes. Die Märzenbecherwiesen im Polenztal, am Rande des Elbsandstetngebirges, die Leberblümchenblüte am Rothstein und die silbernen Blütengassen, die der Wasserhahnenfutz durch Seen und Teiche zieht, sind darüber zu ihren Zeiten bemerkenswerte Schönheiten im Bilde dieser Landschaft. Immer erregender rauscht nun der Frühling durch Erde und Geschöpfe, und mit dem Aufbruch der Erde ge schieht jener wundersame Aufbruch der Herzen, mit der Bestellung der Äcker die Bestellung der Seelen zu neuer Freude, Begeisterung und Liebe. Die Burschen geben in der Osternacht Freudenschüsse ab, die Mädchen schöpfen Oster- wasser und lernen dabei das Schweigen — für Tag und Stunde. In Herrnhut begrüßen Bruder und Schwester der frommen Gemeinde den Ostermorgen mit heiligen Ge sängen, und am Tage ziehen die wendischen Osterreiter um Kloster Marienstern, Wittichenau, Crostwitz und Radibor in feierlicher Prozession um Kirche, Dorf und Flur. Die Bautzner Jugend tummelt sich unterdessen, uralter Sitte gemäß, beim Eierschieben am Proitschenberg im Angesicht der wunderschönen alten Stadt und beweist, wie sehr es möglich ist, Bräuche, die von der Zeit und ihrem Ungeist vernichtet zu werden drohten, zu erhalten. Was tuts, wenn an Stelle der Eier vielfach Apfelsinen getreten sind! Haupt sache bleibt, daß der Brauch gerettet wurde und damit dem Volk ein Freude schaffendes und in der Freude verbinden des Moment. Die wendischen Ostergesänge sind nicht lange ver klungen, die Welt steht schon in Blüten, der Frühling ist zum Rausch geworden, da ziehen wandernde Scharen sin gend, scherzend, jubelnd auf Berge und Höhen, um in der