Volltext Seite (XML)
Bergstunden Gruß und Dank an den Löbauer Berg Von Oskar Schwär Ist es mit der Landschaft nicht wie mit dem Menschen? Du mußt den Weg zu ihrer Seele gefunden haben. Du mußt sie lieben. Dann erst wird dir ihre eigentliche Schön heit offenbar. Und dann ist dir jede Landschaft schön,' denn in einer jeden lebt, lacht, klagt eine Seele. „Unser Berg", das ist es. Unser nicht, weil er der nächste ist, und nicht, weil sein Holzreichtum für unseren Stadtsäckel von wohltuender Wirkung ist. Aus Zufall und Nutzen erwächst die rechte Liebe nicht. Unser: weil er mit uns die gleiche Scholle zur Mutter hat, weil er unser natürlicher Bruder ist, und weil wir immer eingedenk bleiben gemeinsamer Erlebnisse. „Weißt du noch", fragt er mich, „wie du als kleiner Knirps aus deinem Dörfchen angewandert kamst, um nach meinem berühmten Goldkeller zu suchen? Wie du enttäuscht warst, als du nur graue Blöcke fandest? Denn du hattest geglaubt, der Schein des Goldes müsse dir wie der Schein eines Schmiedefeuers entgegenschlagen. Und daß mein Zau ber an Tag und Stunde gebunden ist, hattest du kleiner Tor auch vergessen." „Weißt du noch," frage ich ihn, „welchen Schabernack du mir im vergangenen Sommer spieltest? Ich wollte meine jungen, aus der Ferne gekommenen Freunde von deinem Gipfel aus das Lausitzer Land bewundern lassen. Du aber rissest Wolken, Blitz und Donner heran, stülptest deine schauerlichste Maske auf. Und als wir, triefend und Hagelkörner in Kragen, Falten und Taschen, voll Groll nach dem Städtchen flüchteten, da warfst du die Maske weg und lachtest aus dem reinsten Blau hernieder. Ei, du Schelm!" „Weißt du noch?" so fragen wir uns bei jedem Wieder sehn. * Er ist keine Bergmajestät, die ihren Scheitel mit leuch tender Firnenkronc schmückt. Er erhebt sich nicht in elemen tarer Wucht zum Burgfried seines Landes, anstürmenden Feinden ein machtvolles Halt zu gebieten. Er besitzt nicht die grsßartige Wildheit, die die Natur in übersprudelnder Schöpferlaune anderen Bergen verlieh. Es krönen ihn nicht epheuumrankte Ruinen, und weder Ritter, noch Räu ber, noch Mönche haben ihn durch blut- und flammenrote Romantik berühmt gemacht. Mit all dem kann unser Berg sich nicht brüsten. Mag er auch garnicht. Zwar hat er auch seine Geschichte. Er ent sinnt sich noch, in seinen ersten Tagen durch gewaltige Er schütterungen und aufstiebende Feuergarben erschreckt wor den zu sein, als die kreißende Erde seine jüngeren Brüder gebar. Ein Frösteln überläuft seinen Körper, wenn er des kalten Atems, der gläsernen Bläue der Gletscher gedenkt, die über seinen Rücken schliffen. Er könnte von den ersten Bewohnern seines Gaues erzählen, die auf seiner Kuppe Auslug hielten und Schutz suchten. Glasige Schlacken könnte er zeigen, die seine Erinnerungen bestätigen. Aber der Rothstein und der Czorneboh würden ihn einen Naseweis nennen, denn die haben in grauer Vorzeit ganz andere Dinge erlebt, haben in der Geschichte eine viel bedeut samere Rolle gespielt und sind darob von Volk und Dich tern besagt und besungen worden. Da hat unser Berg sich vorgenommen zu schweigen und eine Falte seines grünen Mantels über die Schlackenzeugen geworfen. Er ist ein junger, frischer Naturbursch, dem das Wich tigtun mit großer Vergangenheit nicht liegt. Froh lebt er in den Tag hinein, badet das Haupt in seligblauer Unend lichkeit und macht Frau Sonne den Hof. Vergißt aber da bei seine kleineren Freunde nicht: Blumen, Vögel, Men schen. Ihre Gesellschaft machte ihn glücklich. Wenn um die Osterzeit durch die Vadergasse, über den Markt und Töpferberg und durch den Schatten von Sankt Nikolai gefragt und geantwortet wird: „Wohin?" „Na, nach dem Berge natürlich!", da erwartet er sie schon im festlichen Kleid und mit anmutigster Gebärde. Ein grünes Wehen ist um die weißen Birken- und die schwarzen Buchenstämme, zu deren Füßen silbrigschim- mernde Saaten wogen. „Ach, wie schön das ist!" rufen die Leute, und das ist ein herzlicher Dank an den Berg. Drin in den Gärten und Anlagen der Stadt grünt es doch auch. Ja, aber es ist nicht das. Da stehen die Mauern dahinter, da legen sich Rauch und Staub darüber. „Am Berge ist das ganz was andres!" Der Berg weiß schon, daß es sehr lieb gemeint ist, wenns auch so alltäglich klingt, und er vergilt den Leuten ihre Dankbarkeit, zeigt ihnen zarte Buschwind röschen, duftige Maiblümchen und läßt sie in die blauen Augen der ersten Veilchen blicken. Und Finken, Drosseln, Zeisige geben Festkonzert. Da sehen und lauschen die Leute! Dann gehen sie in den „Hontgbrunnen" und in das Berg hänschen, trinken ihr Kännchen Kaffee und stippen den mit gebrachten Kuchen hinein. Dabei häkeln und sticken die Frauenhände, die Männer diskutieren die Weltlage, und die Kinder machen ein Rätselspiel. Wenn dann die Wald musikanten verstummen und die Blumenkinder ihre Augen schließen, da kehren die Leute heim. „Nun, woher?" „Vom Berge natürlich. Auf unserm Berg ists wirklich schön. Nein wirklich, so schön!" So stehen sie zueinander, die Löbauer und ihr Berg. Jeder Tag schließt das Freundschaftsband enger. Heiter ist das Antlitz, Anmut und Frische ist das Wesen unseres Bergburschen den ganzen Sommer hindurch. Vogellied um schwebt ihn wie der Duft seiner Buchen und Fichten. Auf dem Grunde hat sich in ganzen Völkern duftiger Wald meister aufgestellt, und Lungenkraut bietet sich als Blnt- verjünger an. Im grünen Gedämmer aber hütet der Berg die zarte Unschuld des „Rühr mich nicht an!" und die duf tigen Blüten seiner Märchen um den Goldkeller und von der Zauberblume, die in der Johannisnacht leuchtet. Herbst. Die Vögel werden stille. Die Blumen haben in leisen Melodien den Preis ihres Berges gesungen, Samen bereitet, auf daß ihr Geschlecht auch im nächsten Lenze zu freudespendendem Dasein erwache, und sind dann wie die Zauberblume verschwunden. Aber der Rinnelbruu- nen klingt desto Heller und lauter. Und seiner lieben Fran Sonne, die in stillem Leuchten fern und ferner rückt, jubelt der Berg in Gold und Purpur zu. Als leidenschaftliche Liebesschreie lohen aus dem Tiefdunkel des Fichtenstandes die Flammen empor. Freundlich dankt die Sonne und scheidet. Novemberstürme blasen die Flammen aus. Graue Schwermut hüllt den Berg ein. Aber nie lange. Eine Nacht macht ihn zum Märchen. Am Morgen er wacht er in einem Kleide, das weiß und rein ist wie das Linnen, das im Sommer auf den Wiesen der nachbarlichen Weberdörfer bleichte. Mit Glitzerperlen und Spitzen ist er reich behangen. Und silbernes Gelock ziert seine Schläfen und Stirn. So thront er als stummes, feierliches Märchen über dem weiten weißen Meere, das von Nord und Süd heranwallt. Und wieder macht sich aus der Stadt alles auf, das Wunder zu schauen. Der Vater zeigt mit dem Spazierstock nach Bäumen, die im Rauhreifglanze gegen einen blau grauen Himmel strahlen. Die Kinder erstaunen über gro teske Bilder: da ist ein Baum, der genau aussieht wie der Koch in dem Märchen von Dornröschen, und ein Strauch, genau wie ein zweihöckriges Kamel. Aber noch andere Freuden gibt der winterliche Berg der Jugend. Mit Rodeln strömt sie an. Wenn sie sansend zu Tale fliegt, flattert das Lachen hinterdrein.