Volltext Seite (XML)
Sie lassen es rufen und bey ihren Nachbarn und Freunden darnach fragen. Inzwischen wird es Nacht, und es ist nirgends anzutreffen. Eine qualvolle Angst bemäch tiget sich der Aeltern. Der Vater geht mit einigen Nach barn in den sogenannten Schreibebusch,' man schreyt und ruft das Kind beim Namen,- man durchsucht den Busch die ganze Nacht hindurch bis an den lichten Morgen; aber vergebens. Den Tag darauf wurden in der Gegend weit und breit alle Brunnen, Teiche und Flüsse aufs genaueste durchsucht; an verschiedenen Orten wurde dann der Ver lust dieses Kindes von den Kanzeln den Gemeinden be kannt gemacht; auch in dem Zittauischen Wochenblatte er schien eine Anzeige hiervon; aber nirgends war auch nur die geringste Spur von diesem Knaben zu entdecken. Da gaben einige gutherzige Nachbarn den Rath: Die Aeltern sollten den Verlust ihres Kindes in den Prager und Leip ziger Zeitungen bekannt machen lassen. Und die Befolgung dieses Nathes führte zum Wiederauffinden des verlohrnen Kindes. Schon seit dreyzehn peinlichen Wochen hatten die jam mernden Aeltern ihr Kind beweint, als sie am 28. Novem ber 1809 die fröhliche Botschaft erhielten: „Der Postmeister zu Zittau sey durch die Prager Post benachrichtigt worden, daß sich das vermißte Kind in einem böhmischen Städtchen, Namens Ezerllacowitz, nicht weit von Brandeis an der Elbe, befinde. Sogleich trafen die hocherfreuten Aeltern die Veranstaltung, daß ihr ältester Sohn mit einem sehr teilnehmenden Nachbar sam 30. Novemb.) nach Ezerllaco witz reisten. Nach drey Tagen kamen beyde daselbst an, und sogleich meldeten sie sich bey der dastgen Obrigkeit, welche blos aus zwey Personen besteht, und von denen die eine der Ober- und die andere der Unterrath genannt wird. Glücklicherweise verstehen diese deutsch, so, daß die Ab gesandten sich ihnen verständlich machen konnten; denn in dem ganzen Städtchen wird nur Böhmisch gesprochen. Die Abgesandten wurden hierauf zu einer alten Frau geführt, bey der sie das verlohrne Kind gesund und munter an trafen. Bey dem Eintritt in die Stube stutzte der Knabe. Da er nun gefragt wurde: Ob er die Reisenden kenne? sagte er: „ja, das ist Steubner!" sSo hieß nehmlich der oben angeführte Nachbar.) Den Bruder aber, der einen Mantel um sich hatte, kannte er nicht. Doch als dieser den selben abgeworfen hatte, fielen sich beide sogleich um den Hals, und weinten voll stummer Freude, ein Anblick, der auch die Augeu der Umstehenden mit Thränen füllte. Der Unterrath erzählte nun Steudnern und dem älteren För ster: „die arme Frau Anna, verehelichte Brezki, habe das vermißte Kind am 22. September auf einer Elbwiese, wo sie Gras zusammengetragen, ganz erstarrt und voll Un reinigkeit, wie es in dieser Lage und in diesem Alter auch nicht anders seyu konnte, angetroffen, und sogleich mit sich in ihre Wohnung genommen. Hierauf habe sie beiden Rächen hiervon Anzeige gethan, und von diesen den Auf trag erhalten, das Kind zu reinigen und bis zu weiterer Verfügung zu verpflegen. Da die Kleidung desselben ganz abgerissen gewesen sey, so hätten sie es aufs neue bekleidet, und daß es dem Kinde an nichts gemangelt hätte, .könnten sie herzlich versichern." Das Werk der Menschenliebe, das beyde Räthe auf diese Art geübt hätten, krönten sie auch noch durch edle Uneigennützigkeit. Denn als die Reisenden fragten, was sie zu bezahlen hätten? so nahmen beyde Räche durchaus nichts an, weder für Bekleidung noch für sonstige Bemühung. Nur die gutherzige, aber arme Pflege frau konnte zur Annahme einer'Belohnung bewogen wer den. — Mit herzlichem Dank gegen diese Menschenfreunde begaben sich hierauf die Abgesandten mit dem Knaben auf den Rückweg. Am 4. December langten sie mit ihm in Zit tau an, bis wohin ihm seine Geschwister entgegen gekom men waren, die ihn unter Thränen und Liebkosungen empfingen; — und noch an demselben Tage um 6 Uhr trat der Knabe nach einer 14 Wochen langen Abwesenheit in die Wohnung seiner schmerzlich auf ihn harrenden Aeltern. Und welch ein Schauspiel! Keine Feder vermag es zu be schreiben; nur von Aeltern, die ihre Kinder zärtlich lieben, und sich vielleicht einst in ähnlicher Lage befanden, kann diese Mittheilung ganz gefühlt werden. — In der Stube und im Hause waren mehr als 60 Menschen zugegen; Vater und Mutter weinten vor Schmerz und Freude; man hörte nichts als Schluchzen und mitunter den Vater ausrufen: „Gott, dir sey Dank! Ich habe mein Kind wieder! Gott seegne jene Menschenfreunde in Böhmen, die mein ver- lohrnes Kind ausgenommen haben!" Alle Anwesende waren gerührt; kein Auge blieb trocken. Drey volle Wochen also, vom 31. August bis zum 22. September, hat dieser Knabe ohne alle menschliche Hülfe und ohne Obdach gleichsam in der Irre gelebt! Wie er nach kindischer Art ausgesagt hat, so ist sein Aufenthalt größtentheils in den Waldungen, und Buschbeeren und Feldrüben sind seine Nahrung gewesen. Abends habe er sich, wenn es recht finster geworden, unter einem recht großen Baum, wo das Reißig bis auf den Boden gehangen, niedergesetzt; geschlafen habe er nicht; und wenn es wieder Tag geworden, sey er im Busch herum gelaufen, habe sich viele Beeren gepflückt, sie gegessen, und immer seine Mutter gesucht, damit sie ihn heim zum Vater führen solle; aber nirgends habe er sie gefunden. Endlich habe ihn Frau Anna, die Laub und Gras gesammelt, an getroffen; habe ihn mit sich in ihre Stube genommen, ihn ausgezogen und gereinigt, und auch seine Hosen gewaschen; daun aber habe ihm ein reicher Vetter neue Kleiber ge geben. — Der Knabe erzählte ferner: „er sey einst auf Händen und Füßen auf einen großen, großen Berg ge krochen, und auf dem Bauch wieder heruntergerutscht; da habe er recht große Hunde (vielleicht Hirsche oder Rehe) herumspringen, und recht viele große Schweine (vielleicht wilde Schweine, deren es in jenen Gegenden viele giebt), Herumlaufen gesehen, die recht garstig gegrunzt hätten, aber weder die großen Hunde noch die großen Schweine hätten ihn beißen wollen; sie wären alle nur um ihn herumgelaufen." — Die Steinklüfte, worauf das Kind auf allen Vieren herumgekrochen, nennen die Böhmen jener Gegend Schloßbesen. Sie sind von besonderer Steile und Höhe. Und alle diese Gefahren hat dies fünfjährige Kind glücklich überstanden! Wer muß nicht glauben, daß es ein guter Engel umschwebt, und es durch tausendfache Gefah ren, die seinem Leben droheten, glücklich der Menschenliebe, und, durch diese, dem Vater- und Mutterarm wieder zu geführt habe? * Ist das erwähnte Rettgendorf das heutige Radgen dorf? Bemerkenswert ist Schreibebusch, heute Scheibebusch. Ezerllacowitz nach dem Andreeschen Atlas Celakowitz. x« Sem -sttlUtl „ver rerchenbtfg «»a res« 8a»»lrstir" von Oswald Gebauer, Neueibau („Oberlausitz. Hcimatzeitung", II.Jahrg. Nr.4 vom 16 2.1938.) Die Erklärung des Namens „Lerchenberg" bei Eibau scheint mir viel einfacher zu sein, als die bisherigen Aus deutungen. Meiner Ansicht nach hat der Name weder mit „Lehre" noch mit „Lauer" noch mit dem Vogel „Lerche" etwas zu tun. In der heimischen Mundart heißt der Lärchenbaum: Liehrboom (Lührboom). Man hört dieses Wort jetzt allerdings nur noch bet alten Leuten- Wahrscheinlich haben früher „Ltehrbeeme" darauf gestanden» daher „Liehrbar g", auf hochdeutsch: Lärchenberg. Die auf den amtlichen Kartenwerken angewandte Schreibweise Lerchenberg wäre demnach falsch. Rudolf Gärtner, Hellerau