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In dieser alten Zittauer Fastnachtskurzweil, die in vielen Volksbräuchen Mitteldeutschlands Entsprechendes findet, haben wir dieselben Tatsachen vor uns wie beim Jagen des wilden Mannes. Die Überdeckung ist geschicht lich: Die Zittauer Bürger stürmen in grotesker Weise eine Burg. Der Sinngehalt ist viel älter: Die Belagerten sind wie der wilde Mann Vorfrühlingsdämonen fim Maris felder Kreise wird die Burg im Walde errichtet), deren Lebenskraft durch Wasserguß geweckt und gesteigert wird. Dieses alte Zittauer Fastnachtsspiel hat sich bis in die Gegenwart erhalten. Die Jugend zu Niedercunnersdorf bei Löbau übt es an der Nachkirmst aus. Dort ist das Haus des Königs im Vogelschießen verbarrikadiert. Ein schwerer Bauerwagen steht vor der Haustür; Latten und Bretter sind zusammengenagelt und bilden ein Gerüst bis unter das Dach des Hauses. Oben auf dem Gerüst hält ein Stroh mann Wache. Alte Kleider, uniformartig, sind prall auS- gestopft. Drohend sieht er herab. In seiner Nähe hängt hinter einem Sacktuche versteckt ein Eimer, bis zum Rande mit Wasser angefüllt. Ein Strick ist an dem Eimer befestigt. Er reicht bis auf die Erde. Mit seiner Hilfe kann das Ge fäß wie eine Glocke in schwingende Bewegung gesetzt wer den. Zum Hause des Königs zieht der Zug der Jugend. Vor der Musik tragen zwei Burschen den Königsadler. Der Adler wird dem König verehrt und wird von nun an die Giebelseite seines Hauses schmücken. Die beiden Burschen, die den Adler tragen, sind als Zimmerleute verkleidet. Sie stürmen die Barrikade, das feste Haus, und reißen es ein. Sie töten den Strohmann mit wuchtigen Axtschlägen. Da bei werden sie mit dem Wasser des Eimers übergossen. Nach dem Einreißen des Baus tritt der König schärpengeschmückt aus dem Hause. Auch im Leben des Alltags kann ein Mensch unter be sonderen Umständen zum Wachstumsdämon werden. So geht es zum Beispiel dem Pferdeknechte in Hochkirch, der mit der ersten Fuhre grünen Klees vom Felde kommt. Biegt er in den Hof ein, stehen schon einige mit Kübeln und Wassereimern bereit; und ehe er sichs versieht, wird er von oben bis unten mit Wasser übergossen. Der Bursche, der das erste Grün vom Felde bringt, ist im Augenblick zum Vertreter der Wachstumskraft deS Kleefeldes gewor den. Das Übergießen mit dem befruchtenden Naß soll wei tere Fruchtbarkeit gewährleisten. Wasser gilt im Volksglauben selbstverständlich als Fruchtbarkeit fördernd. Wir erinnern uns des verschiedenen Brauchtums mit dem Osterwasser. Während wir bis jetzt Bräuche anführten, die auf Er zielung von Fruchtbarkeit ausgehen, müssen wir nunmehr das Brauchtum betrachten, das Bekämpfung der Mächte, die der Fruchtbarkeit schädlich sind, bezweckt. So wie die Fruchtbarkeit als von Dämonen erzeugt betrachtet wird, so gibt es auch Dämonen, die ihr feindlich sind. Im heu tige» Volksglauben der Lausitz sind dies die Hexen. Sie halten an besonderen Lostagen ihren Umzug: in der Öfter zeit, Walpurgis, am Johannistage, in den Zwölfnächten. Ihrem Treiben muß durch irgendwelche Mittel abgewehrt werden. Eines der beliebtesten Mittel ist der Lärm: Tüchtiges Schreien, Knallen mit Peitschen, Schießen. Wirksamer ist das Feuer. Wir kennen in der Lausitz Walpurgis- und Johannis feuer. In der Niederlausitz sind auch die Osterfeuer bekannt. Der Ursprung dieses Feuerbrauchs ist nicht einschichtig. Einmal muß es als Sonnenzauber gedeutet werden, ent sprungen dem primitiven Gedanken: Wenn ich jemandem etwas vormache, wird er es nachmachen. Wenn ich der Sonne Feuerschein und Wärme vormache, wird sie aus den Wolken treten und zeigen, daß sie es noch besser kann. Der bronzezeitliche Sonnenwagen von Trundhom auf Seeland sum 1000 v. Ehr.) hat solchen Zwecken gedient. In der Geistigkeit des Ackerbauers bedeuten diese Feuer Hagelfeuer. Denn auch der Hagel wird von Dä monen erzeugt. Ein Beleg aus einer alten Chronik mag dies bestätigen: „Da man zalt 1440, wurden ezliche Weiber gen dem Lande zu Sachsen und nämlich zu Wittenberg ge fangen, die da konnten Hagel und Donnerschläge machen, in welchem Lande oder welcher Mark sie wollten. Sie taten Leuten und Früchten großen Schaden. Sie konnten auch machen, daß es im Sommer gefrieren mutzte. Die wurden alle verbrannt." Weitere Nachweise aus dem Sachsenlande können in meinen Sächsischen Sagen, S. 232, nachgelesen werden. Gegen diese Wetterhexen sind die Hagelfeuer ge richtet. In der Geistigkeit des Viehzüchters bedeuten diese Feuer Abwehrmittel gegen Viehseuchen, Sie von Dämonen hervorgerufen werden. Sie werden dann Notfeuer genannt (von althochdeutsch hniotan — reiben, gewaltsam stoßen). Ist der Viehbestand eines Dorfes von einer Seuche befallen, werden alle Feuer gelöscht, und neues, jungfräuliches Feuer wird erzeugt. Denn nach volkstümlicher Anschauung altert auch das Feuer und verliert seine dämonenabwehrende Kraft. Durch Reibung wird das jungfräuliche Feuer er zeugt. Die wendische Überlieferung berichtet: In ganz alten Zeiten ist die Pest dadurch vertrieben worden, daß man alle Feuer im Lande erlöschen ließ. Kein Funke von dem alten Feuer durfte mehr da sein. Dann nahmen die Leute zwei Bretter, ein eichenes und ein fettes fichtenes, und haben so lange mit den Brettern geschoben und gerieben, bis das fichtene anfing zu brennen. Davon erhielten sie von neuen: Feuer, und die Pest hatte sich gelegt. Durch dieses jungfräuliche Feuer wurde der gesamte Viehbestand getrieben. Jeder Hauswirt nahm sich dann einen Brand mit nach Hause. Die letzten Notfeuer in Mitteldeutschland wurden meines Wissens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Braunschweigischen ge brannt. Unsere Walpurgis- und Johannisfeuer beruhen auf de« erwähnten Glaubensschichten. Sie wurden auf gefähr liche Lostage als vorbeugendes Abmehrmittel festgelegt. Betrachten wir zusammenfassend unser Frühlings brauchtum nach seiner Formseite hin, so stellt es sich als gebürdenmäßiger Ausdruck einer Gemeinschaft von Men schen, die tief im bäuerlichen Leben verwurzelt ist. Die Gebärde wird gleichsam als sichtbare Form des Fühlens und Denkens aller herausgetrieben; sie ist sichtbar gewor denes Denken einer Gemeinschaft. Aus dieser Feststellung geht hervor, daß unsre Ahnen „das Problem des Festefeierns", um das sich heute viele bemühen, gelöst hatten. Wir feiern Feste, um das Gefühl der Gemeinschaft zu erzeugen. Das ist, als ob man ein Lebewesen chemisch von außen her schassen wollte. Darum lassen uns unsre „veranstalteten" Feste kalt und unbefriedigt. Die lebendige Gemeinschaft dagegen treibt, wie der Baum die Blüte, Feste aus sich heraus. Und das sind wahre Feste. Doch über das Formale des Brauchtums hinaus scheint mir auch das Inhaltliche dieses Frühlingsbrauchtums be achtlich. Die ewigen Kräfte der Natur sind es, die in diesen Festen umworben werden: Sturm, Wolke, Wasser, Feuer, Erde. Tief sind unsre Ahnen eingebettet in den ungeheuren Rhythmus des Naturgeschehens, in sein machtvolles Aus- und Einatmen. Wir alle fühlen schreckhaft, wie weit wir von diesem mütterlichen Grunde losgerissen sind. Und doch steigen wir aus ihm empor, sinken wir ausgeklungen in ihn zurück. Zweifellos wird sich eine künftige Gemeinschaft andre Formen und Gebärden schaffen, aber ich glaube, daß das Gefühl des Durchpulstseins vom großen Herzschlage des Naturgeschehens der Kraftquell jeder lebensfähigen und lebensadelnden Gemeinschaft der Zukunft sein wird. F. S.