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die mannbaren Frauen jung und alt allhter eine böse Ge wohnheit an ihnen (sich), daß sie den Donnerstag vor Fast nacht sich versammelten und rannten nach dem Semper." Hier wird also nur von mannbaren Frauen gesprochen. Carpzows Irrtum erklärt sich daraus, daß er die erwähnte handschriftliche Chronik gar nicht vor sich hatte, sondern sein Wissen aus Christophorus Manlius lateinisch geschrie benem Commentarium rerum Lusaticarum schöpfte. Man lius übersetzt den Begriff mannbare Weiber mit matronae primariae. Carpzow übersetzt aus dem Lateinischen matro nae primariae mit vornehmste Weiber. Durch dieses dop pelte Übersetzen ist der Irrtum entstanden, der die vor nehmen Frauen Bautzens in schlechten Ruf brachte. Neben dem Ei, der Lebensrute, dem grünen Lätare- zweig, dem Maibaum, dem Bär kennt unsre Heimat auch dämonische Gestaltungsformen der wiedererwachenden Lebenskraft. Der eindrucksvollste Beleg dafür ist der wilde Mann zu Schluckenau. Bis zum Kriege wurde das Wilöemannjagen oder Wildemannhaschcn in Zwischenräumen von zwei bis drei Jahren dort zur Faschingszeit gefeiert. Die Grundlage zur Ausgestaltung des Spiels bildet eine geschichtliche Sage. Sie erzählt: Ein Ritter aus dem Geschlechte der Berken von der Duba hatte einen Knappen mit Namen Knaut. Der verliebte sich in die Kammerzofe Hildegarde. Da er kein Gehör fand, stahl er der Rittersfrau einen wertvollen Halsschmuck und versteckte ihn im Zimmer der Zofe. Dort wurde der Raub gefunden. Das Mädchen kam in den Kerker. Knaut wurde ihr Kerkermeister. Der Gefangenen gelang es, zu entfliehen. In den Wäldern bei Schluckenau brach sie entkräftet zusammen. Ein junger Schluckenauer Bürger fand sie. Er nahm sie mit in sein Haus am Wen zelsbrunnen. Sie wurde seine Frau. Unterdessen war auf der Burg der wahre Charakter des Knappen Knaut erkannt worden. Er wurde mit Hunden von der Burg gejagt. Als Räuber in den tiefen Grenzwäldern hielt er das böhmtgye Niederland und die angrenzende Lausitz in Schrecken. Die Zofe Hildegarde lebte indes glücklich mit ihrem Manne in Schluckenau. Eines Tages ging ihr kleiner Sohn dem Vater durch den Wald entgegen. Da fiel er in die Hände Knauls. Der Räuber wollte den Kleinen eben an einem Baume zerschmettern, als einige Holzfäller und die Eltern des Kindes herbeieilten und ihm seine Beute entrissen. Zu fällig war zu der Zeit der Ritter Berka von der Duba in Schluckenau zu einer Tagung. Er befahl seinen Leuten, den wilden Mann zu verfolgen. Es gelang ihnen, den Wilden zu finden und aus dem Walde in den Ort zn treiben. In der Obergasse stürzte er. Hier wurde er mit dem Schwerte erschlagen. Auf dieser Sage wurde das Spiel aufgebaut. Ritter, Knappen, Bauern mit Dreschflegeln, Narren, versammelten sich in einem bestimmten Lokale der Stadt. Im feierlichen Zuge marschierten sie unter Musik nach dem Markte. Hier verlas der Landvogt ein Schreiben, in dem die Anwesenden aufgcfordert wurden, ihr Möglichstes zu tun, um die Gegend vom wilden Mann zu befreien. Indessen kam ein Handwerksbursche und meldete, daß er den wilden Mann in der Nähe der Stadt gesehen habe. Ein Teil der Ritter, Knappen und der anderen Maskierten brach zur Streife auf. Der übrige Teil veranstaltete einen kurzen Umzug, der von Faschingslust überschäumte. Unvergeßlich ist mir ein Wettrennen mit Kinderwagen. Die Harlekine über kugelten sich vor Tollheit. Dann nahm der Zug wieder Auf stellung. Von der Obcrgasse her lärmte es heran. Die zur Streife Ausgezogenen trieben den wilden Mann vor sich her. Der Bursche war halbnackt, mit Schaffellen behängt, hatte lange schwarze, zottige Haare, trug eine Keule in der Hand. Zwei Knappen schickten sich an, den Wilden mit Seilen zu saugen. Nachdem ihnen das gelungen war, stürzte sich einer auf den Räuber und erstach ihn mit einem Messer. Hoch spritzte das Blut aus der Blase, die der Wilde unter einem Schaffelle trug. Mit gräßlichen Verrenkungen starb er. Er wurde auf einen Wagen geladen und unter Beglei tung aller Teilnehmer ins Gasthaus gefahren. Bis zum Kriege war das Spiel in dieser Form üblich. Seit der Aufführung am 29. Juli 1928 hat man das Faschingsmäßige des Spiels ganz unterdrückt und seine scheinhistorische Seite außerordentlich betont. Man hat das alte Volksspiel unter Nichtachtung seines Sinnes und unter dem Gesichtspunkt der Verkehrswerbung zu einem historischen Prunkspiel umgestaltet. Hatte man doch mit 30 009 Besuchern gerechnet! Der ursprüngliche Sinngehalt des Spiels hat mit Ge schichte gar nichts zu tun. Schilderungen von wilden Leuten treffen wir in der deutschen Literatur seit dem 11. Jahr hundert an. Im wilden Mann vereinigen sich ganz deut lich zwei Gestalten verschiedener Herkunft: einmal ist er ein Bild der grünenden Waldesvegetation, zum andern Abbild der kulturfeindlichen, unwirtlichen und voll Gefah ren steckenden Waldnatur. Das Wilöemannjagen war in früheren Jahrhunderten vor allem in unserm Erzgebirge heimisch. Der Scheiben berger Pfarrer Christian Lehmann schreibt in seiner Sitten chronik, daß die Bergleute ^rm Aschermittwoch das Spiel trieben. Sie brachten zwei wilde Männer, einen in Reisig und Moos, den andern mit Stroh umwickelt, und führten sie als Gefangene auf den Gassen einher. Danach aber auf dem Marktplatze schossen sie nach den Wilden, und die tum melten sich unter den Leuten und bespritzten die Zuschauer aus Blasen mit Blut. Endlich brachte man die Wilden auf Brettern ins Wirtshaus, pfiff eins dabei gar artig auf den Bergledern und war lustig, solange das Bier währte. In ihrer Reisig- und Moosverkleidung zeigen diese wilden Männer noch deutlich ihre Beziehung zum Wachs tum des Waldes. Die Bergleute holen im Borsrühlinge den Wachstumsdämvu in die Stadt. Aber sie behandeln ihn nicht freundlich, sie töten ihn. Das könnte auf die feindliche Un wirtlichkeit unbezwungener Natur, die der Bergmann be wältigen muß, hindeuten. Erinnern wir uns, daß die Berg leute einen schwer zu bewältigenden Ort einen wilden Mann nannten. Auf diese Weise ist die Harzer Bergstadt Wildemann zu ihrem Namen gekommen. Auch der Schluckenauer wilde Mann ist als Wachs- tumsdümon aufzufassen, der im Borsrühlinge aus dem Walde ins Städtchen geholt wird. Da wir dies Spiel vor allem in bergbautreibenden Gegenden finden, ist es wahr scheinlich, daß es auch durch Bergleute nach Schluckenau ge bracht worden ist. Bei Schluckenau wurden in früheren Jahrhunderten eifrige Bergbauversuche getrieben. Der Silberberg erinnert noch an diese Bemühungen. Die oben erzählte Sage ist also nur als eine schetngeschichtliche Über deckung einer viel älteren Begebenheit aufzufassen, und unser Ausgangssatz: Auf dieser Sage wurde das Spiel auf gebaut, ist umzukehren: Diese Sage sucht ein bestehendes Spiel zu erklären, dessen Sinngehalt verloren gegangen war. Geschichtliche Überdeckungen über ältere Anschauungen des Volksglaubens, besonders über seine spielartigen Ge staltungen, sind nicht selten. Im Zittau des 16. Jahrhun derts wurde an der Fastnacht das feste Haus gestürmt. Von den Bürgern wurde auf dem Markte ein hölzernes Haus gebaut. Eine Abteilung Bürger besetzt das Haus. Eine andre Abteilung zog heran, um das Haus zu stürmen. Sie warfen mit Töpfen, schlugen mit Stecken, rannten solange dagegen, bis es genommen und niedergerissen ward. Die Besatzung des Hauses wurde gefangen genommen und in den Röhrkasten sWasserkastens, der auf dem Markte stand, geworfen. Die Freude war groß, wenn die Gefangenen tüchtig naß wurden. Diese Kuzrweil blieb solange in Übung, bis einige Personen davon Schaden nahmen, ja sogar den Tod davoutrugen. Diese Unfälle veranlaßten den Rat, dies Fastnachtsspiel zn untersagen.