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sein lassen, an diesen: Abend, der sich nicht so bald wieder bot, von ihren Standcsvvrrechten ausgiebig Gebrauch zu machen, und so sah Konrad Häberlein, der sich schüchtern einigen Zunftmeistern zngesellte, ein äußerst glanzvolles, farbenprächtiges Bild, das die damalige vornehme Frauen kleidung bot, vor sich. Wie wohlgefällig hatte er sich zu hause im Spiegleiu beschaut, wie hatte die gute Mutter das „schiene, nvie Wvams", das soviel Geld gekostet, be wundert, hier kam er sich so ärmlich gekleidet vor, daß er sich ans dem Hintergründe nicht hervorwagte, zumal er unter den Ratspersonen den kaiserlich gekrönten Dichter lpoeta laurektns) M. Seidemann, der das Rektorat an der Löbauer Trivialschule bekleidete, erblickte. Es war ihm ein Rätsel, warum ihm, dem armen Stuhlschreiber, der gestrenge Herr Bürgermeister die Anfertigung eines Hul- digungspoems übertragen hatte. Im Verlaufe des Abends sollte er noch die Lösung finden. Jetzt öffneten sich aufs neue die Türflügel. Ein Herold wurde sichtbar und hinter ihm erschien der Landesherr, begleitet vom Bürgermeister, darauf das Gefolge des Fürsten und verschiedene Rats personen. Die Stadtpseifer bliesen einen Tusch, und alles erhob sich von den Plätzen. Da trat in die Mitte der Diele M. Seidemann und hielt in gebundener Rede eine An sprache an den Kurfürsten, in der er die große Freude des E.E. Rates und der Bürgerschaft über den nunmehr zwei ten Besuch Sr. Durchlaucht zu erkennen gab, ihre Ver dienste um das Wohl der Stadt gebührend pries nnd den Kurfürsten der Liebe und Treue von Löbaus Bewohnern versicherte. Johann Georg I. reichte dem darob sich tief verneigenden Magister huldvollst die Rechte, seinen Dank damit und durch leichtes Neigen des Kopfes nach den An- Ivesenden hin zu erkennen gebend. Bürgermeister Zöbiger geleitete ihn sodann zum Thronscssel, aust dem sich Durch laucht niederließ, während sich sein Gefolge und der E.E. Rat zu beiden Seiten stehend gruppierten, nnd nun wurde das an und für sich schon wirkungsvolle Bild durch eine liebliche Erscheinung noch vervollständigt. Anna, des Bür germeisters Tochter, trat, sich tief verneigend, vor den Kurfürsten, bot ihm, uraltem Herkommen gemäß, den Ehrentrnnk in einem kostbaren Becher dar und sprach da bei Häberleins Gedicht so wirkungsvoll, daß sich der Lan desherr sichtlich erfreut erhob und, nachdem er den Ehren trunk getan, der Bürgermeisterstochter eine herrliche Brillantnadel überreichen ließ. Die Stadtpseifer bliesen nochmals einen Tusch, wobei die Anwesenden ihre Freude durch entsprechenden Zuruf zu erkennen gaben, nnd dann begann der Tanz. Dieser hatte mit dem heutigen durch aus keine Ähnlichkeit, höchstens nur mit der Polonaise. Eröffnet wurde der Rnudgang durch vier Zinkcnisten, an deren zwei Musikinstrumenten lange Behänge mit den Stadt- und Landesfarben angebracht waren. Hierauf folg ten der Vortänzcr mit seiner Tänzerin, die bei jedem neuen Tanze wechselten, wobei es nicht ans die Geschick lichkeit im Tanzen, sondern ans die hohe Stellung des betreffenden Paares ankam. An sie reihten sich der lange Zug der darauffolgenden Paare. Dem wilden Drehen von heute würde der E.E.Rat nicht stattgegeben haben. Er schrieb ein ehrbares, züchtiges Einherschreiten „ohne un ziemlich Verdrehen und einziges einspriugen bep Straffe des Gefängnisses" vor. Die Zinken dnrchschmetter- ten jetzt die Diele. Man hatte dein Kurfürsten den ersten Vortanz gegeben. Er ließ sich durch einen Herrn seines Gefolges vertreten. Dieser schritt als Vortänzer mit der Fran Bürgermeister in die Mitte der Diele. Paar ans Paar folgte nnd der Tanz begann. Häberleins Augen suchten Anna. Er war voll Freude darüber, daß sie sein Gedicht so ausdrucksvoll vorgetragen und hätte ihr gern seinen Dank dafür abgestattet. Aber zum Tanze auffor dern, das wagte er sich nicht. Sv hoffte er, einmal beim Borübergehen einen Blick ihrer Angen zu erhaschen, um ihr durch die stumme Sprache der Augen zu sagen, was sein Herz erfüllte. Auch war er begierig, zu erfahren, mit wein sie tanzen würde. Hans war es nicht, das wußte er gewiß, denn der lag infolge seiner Verwundung hoff nungslos zuhause, aber er konnte doch noch einen andern Nebenbuhler haben. Häberlein beruhigte sich bald. Anna wurde bei den folgenden Tänzen von keinem der an wesenden jungen Herren besonders bevorzugt. Zwar hatte auch der Sohn des Herrn Hildreich von Holtendorf mit ihr getanzt, aber das verlangte doch wohl nur die „Kvn- venienz". Oft war sie schon an ihm vvrübergegangen, aber er stand auch zu weit hinten. Sie konnte ihn ja gar nicht sehen, oder wollte sie nicht? Häberlein mußte das wissen. Jetzt drängte er sich vor, sodaß er nun in der zweiten Reihe war. Zwar erregte es den Unwillen der Verdräng ten, aber der Stnhlschreiber hörte cs kaum,- denu eben hatte ihn Anna auf seinen ehrerbietigen Gruß hin freund lich angeblickt. O, wie zogs ihn an ihre Seite. Immer wieder klang es in ihm: „Warum bin ich nur der arme Stnhlschreiber?" Die Hoffnung, einmal Stadtschreiber in Löbau zu werden, war ihm fast vergangen, seitdem er M. Seidemann gehört. O, wieviel Wissen, wieviel Gelehr samkeit fehlte ihm dazu! Aber mußte es denn das Stadt schreiberamt sein? Hatte nicht der gestrenge Herr Bürger meister, der ihm offensichtlich wvhlwollte, sein Bestes im Auge, vorausgesetzt, daß der erhoffte Bergsegcn nicht aus blieb? Da sah er plötzlich den Senator George Grüffner auf sich zukvmmen. Zu ihm kommt er? Doch wohl nicht zu ihm, jedenfalls zum Obermeister der Tuchmacher, Hans Paul, der neben ihn: steht. Nein, der Herr Senator kommt zu ihm und sagt würdevoll, der Substitut des Herrn Stadt schreibers solle zu Sr. Durchlaucht, Hem allergnädigsten Herrn Kurfürsten, kommen. Substitut des Herrn Stadt schreibers? Damit konnte er doch bloß genannt sein. Das besagten ihm auch die verwunderten Blicke der neben ihm stehenden Zunftmeister. Da gabs kein Zaudern mehr. Blitzartig durchzuckte Häberlein der Gedanke: „Das ist vonwegen des Erzfundes." Sv war es auch-, denn der LandeSfttrst sprach zu ihm im leutseligen Tone: „Wir haben soeben von Unserm lieben^ getreuen Bürgermeister gehöret, daß Er einen bedeutsamen Fund gemachet, ct- welcher geeignet sein dürfte, die hierorts durch deu grau samen Krieg gesunkene und zum großen Teil hinweg gefallene Nahrung zu der Eimvvhner Vesten und Auf nahmen in etwas wieöerumb zu erheben und in bessern Stand zn setzen. In gerechter Würdigung dieses erfreu lichen Umbstandes haben Wir soeben bei Uns erwogen, daß es dahero billig und angemessen nnd der Tatsachen entsprechend sein dürfte, es dem Substitut des Herrn Stadtschreibers anheim zu stellen, sich derohalben eine Gnade von Uns ausznbitten." Häberlein mußte nicht, wie ihm geschah. Er blickte befangen zuerst auf den Kurfürsten, dann auf den Bürgermeister, der ihm ermunternd zu- uickte, dann wich die Befangenheit, er dachte an Anna und sagte, sich tief verneigend: „Durchlauchtigster, gnädigster Herr Kurfürst! Euer untertänigster Diener möchte von der hohen Gnade, die ihn zu ewigen Dank verpflichtet, in sofern demütigst Gebrauch machen, als er Se. Durchlaucht uinb Erlaubnis bittet, Jungfrau Anna, die ehrbare Toch ter des gestrengen Herrn Bürgermeisters, zum Tanz holen zu dürfen." „Ho hoh!" lachte darob sichtlich ergötzt der Kurfürst, während äußerst betroffen das Oberhaupt der Stadt auf ibn blickte, .das muß er mit der Jungfrauen selbst abmachen, vorausgesetzet, daß dero gestrenge Herr Vater nichts dargegen hat. svthane Angelegenheiten lassen Wir nnber'Kirt. Da Uns aber fast scheint, als habe Ihm Unser Wohlwollen höchlichst überraschet, so geruhen Wir Ihme hiermit Unserer Gnade weiterhin zu versichern, was maßen Er sväter benutzen möge." Häberlein verneigte sich nochmals tief vor dem Landesherrn, wartete nicht ab, was der hvchmögende Herr Bürgermeister sagen wurde, und eilte überglücklich zu Anna. Der Herr Bürgermeister?