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Nr. 21 (Dberlausiher Heimatzeitung saal geführt. Sie sieht niemand. Die Türe zum Ritter saal wird von unsichtbaren Händen geöffnet und bleibt weit offen stehen. Der unsichtbare Führer zwingt sie durch Druck, in den Saal zu gehen. Das Licht des Handleuchters flackert. Angst treibt ihr Hitze und Kälte im Körper hoch, Schweiß rinnt ihr aus allen Poren. Sie will schreien, bringt aber keinen Laut aus der trockenen Kehle. Sie wist vorwärts in den Saal, kommt aber nicht über die Schwelle. Es ist, als ob Bindfaden vor die offene Tür gespannt ist, den sie nicht sieht und an den sie sich fortwährend stößt. Sie kann steigen wie sie Null, sie kommt nicht vorwärts und fortwährend hält sic ihr unsichtbarer Führer am rech ten Oberarm und zwingt sie, sich mit den Beinen zu be wegen und sich Mühe zu geben, in den Rittersaal ein zutreten. Die Kerze im Leuchter ist schon beträchtlich her untergebrannt. Da endlich läßt sie der Unsichtbare los, pustet ihr aber das Licht aus. Den Leuchter krampfhaft in der Linken haltend, läuft sie nun schreiend nach der Treppe, im Finstern dieselbe hinuntcrstolpernd, während ein lautes Hohnlachcn durch die Finsternis schallt. Ganz verstört und halb tot kommt sie in der Mädchenkammer an. Die anderen Mädchen sind wachgeworden und wundern sich über ihr Aussehen. Sie denkt, sie ist eine Ewigkeit fortgewesen, da schlägt die Uhr eins. Schluchzend erzählt sie den anderen Mädchen den unheimlichen Vorgang. Am linken Oberarm hat sie einen großen, ringartigen, blutunterlaufenen, blauen Fleck. Die Beine sind von den Knien bis zu den Füßen ganz zerschunden und blutig. Sie blieb keinen Tag mehr im Schlosse und war hinterher noch längere Zeit krank. Eines Jahres, am Lichtmeßtage, sollte das Zimmer mädchen Marie K., eine beherzte und zuverlässige Person, abends noch das Wohnzimmer anheizen. Es war kalt und unfreundlich. Marie K. nimmt aus der Küche den Leuch ter, einen großen Arm voll Holzscheite und Kienspäne, hat auch das Schlagfeuerzeug nicht vergessen, und geht hinauf in das Obergeschoß, um im großen Kamin des Wohn zimmers Feuer anznzündcn. Vor dem Kamin legt sic die Holzscheite ab, daneben die geschnittenen Ktenspäne und will den Leuchter auf den Kaminsims sehen. Im selben Augenblicke bläst es ihr am linken Ohr vorbei: hfft! — Das Licht ist aus! Marie K. schimpft und schlägt mit dem Feuerzeug wieder Licht an. Sie sieht sich im Wohnzimmer um —, es ist niemand da,' auch ist nichts Verdächtiges zu sehen. Sie will den Leuchter wieder auf den Kaminsims setzen. Im selben Augenblicke bläst es ihr von hinten neben dem rechten Ohre vorbei: hfft! — hfft! — Das Licht ist wieder aus! Verdrossen schlägt Marie von neuem Licht und sieht sich überall im Zimmer um. Es ist niemand da! Nichts ist zu sehen, weder Hinterm Kamin, noch hinter den Vorhängen, noch sonst, wohin sie auch überall ganz genau nachsicht! Es ist nichts! Vorsichtig kniet sie vorm Kamin nieder, um Scheite und Kienspänc zu schichten und anzu zünden. Eben will sie den Leuchter auf den Fußboden auf- setzcn, da bläst es ihr wieder von hinten neben dem linken Ohre vorbei: hfft! — hfft! — Das Licht ist wieder aus! — Marie K. kniet im Finstern vor dem Kamin! Ihr wird auf einmal gegenwärtig, daß sie es mit dem gefährlichen, bösen und unsichtbaren Schloßgeist zu tun haben könnte. Sie läßt alles stehen und liegen und flüchtet im Finstern nach der Treppe zu. Dort, auf dem oberste« Treppenabsätze, bekommt sie von hinten einen kräftigen Stotz in den Rücken, daß sie die Treppe hinunterflicgt. Sonst geschieht ihr weiter nichts. Das Wohnzimmer hat aber diesen Abend niemand mehr betreten. 7. Das Geheimnis -es binnen Salons. Zu Johanni jeden Jahres war der blaue Salon 7 Tage lang verrufen. Da stöhnte, wimmerte und seufzte es in diesem sonst freundlichen Schloßraume zum Steinerbar- mcn. DaS herzzerreißende Weinen, Jammern und Schluch zen Tag und Nacht hindurch war schrecklich anzuhören. Von Tag zu Tag wurden dann die Laute schwächer, bis ein letzter Seufzer den Raum burchzitterte und nichts mehr zu hören war. Der Sage nach ist hier eine Frau, die versucht habe, einen ihrer Angehörigen durch Gift zu beseitigen, auf der Stelle, wo sie überführt wurde, lebendig eingemauert worden. Sieben Tage lang hat diese Frau seinerzeit zu gebracht, ehe sie unter Seufzen und Klagen schrecklichen Hungertod hinter dem frischen Mauerwerk erlitt. Sie war verbannt, jedes Jahr dieselbe Zeit ihre Tat unter Wehklagen und Jammern zu bereuen, bis sie erlöst wurde. 8. Sie Schleifeltante. Recht niederträchtig und gehässig konnte die Schleifel- tante werden. Das war eine sehr alte, dürre Frau mit großer Hakennasse, vielen Falten und Runzeln im blassen Gesicht, in langen Schnabelschuhcn, schwarzem Mieder mit Puffärmeln, langem, faltigem Nock mit Spitzenkrause und steifer, hoher Haube und überall mit vielen, vielen Schlei fen und Schleifchcn behangen. Daher der Name Schleifchcn — oder Schleifeltante, oder nach heimischer Mundart: Schleefeltante. Diese hatte sich für ihre Gastrollen eine ganz eigenartige Wirkungsstätte ausgewählt. Mußte von den Schloßbewohnern jemand einmal auf den Lokus und die Schleifeltante hatte ihre Rolle, dann saß sie auf dem berühmten Örtchen und ließ niemand drauf. Kam der Be troffene nach einer X oder Stunde wieder, saß die Schleifeltante ganz gewiß immer noch drauf. Hatte es der Betroffene ganz ängstlich und suchte den Lokus oben auf, da saß die Schleifeltante auch da. Ging er wieder hinunter und guckte nach, da saß die Schleifeltante wieder unten drauf. Die alte Taute ließ eben niemanden aufs Örtchen. Es blieb dem Gequälten zuletzt nichts anderes übrig, als herum zum Gärtner zu gehen. Diese Possen hat in den vielen Jahrhunderten mancher Schloßbewohner am eignen Leibe erfahren müssen. Die alte Tante^ nahm keine Rücksicht darauf, wems betraf. Unter dieser Unfreundlichkeit mußte zuletzt noch die alte Fxan Grimmer, die die ehemalige Hausmeisterwohnung innehatte, leiden, so, daß sie manchmal sehr darüber ge klagt hat. s. Der junge Page. Seltener ist den Schloßbewohnern der junge Page er schienen. Das war ein schlanker, junger Bursche mit bis auf die Schultern herabwallendem, schwarzgelocktem Haar, mit schwarzen Augen im gebräunten, regelmäßigen Ge sicht, lachendem Munde und mit blitzenden Zähnen. Er trug ein grüngeschlitztes Ledcrwams mit ledernem Leib gürtel, an dem Tasche und Kurzmesser hing, kurze, grüne, gelbgeschlitzte Puffhöschen und lange blaue, enganliegende Strümpfe. An den Füßen trug er fremdländische Schuhe mit langer Spitze. Auf dem Kopfe saß keck und verwegen ein Jagdledcrkäppchen mit dnrchgestochener, langer, grün schillernder Feder. Es war eine prächtige Erscheinung aus dem 13. Jahrhundert. Wenn er erschien, dann war er Schlag 12 Uhr mittags im Schlofihofe plötzlich da und hatte bei sich zwei blendend weiße, nnbeschlagene Schimmel von wundervollem Ban und schönen Formen, voll Feuer und Kraft. Diese beiden Schimmel hetzte er, blank und ohne alles, unter lautem Hussa und Peitschenknallen im Schloßhofe umher, bis die Augen der Schimmel glutrote Blitze schossen, aus den roten Nüstern Flammen und Rauchschwaden schlugen nud die Schimmel in Dampfwolken umhersansten. So schnell und plötzlich der Spuck erschien, war er auch nach kurzer Zeit wieder verschwunden und nur große, dampfende Schaumflocken und zerstampfter Roden bezeichneten sichtbar den Kreis im Hofe, in dem die Schimmel umhergehetzt worden waren. Was diese Erschei nung zu bedeuten hatte, hat niemand erfahren.