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Gberlausitzsr Hermatzeitung Nr. O 2Sö „'n Abend, Bauer," wiederholt der Förster, „Bauer, es wird ernst, Köhler und Ehlers haben heute verkauft, Bauer, nun seid ihr an der Reihe. Wenn Pietschmann ver kauft, sagte der Notar, wird der Tanz hier losgehen. Pietsch mann! — Haltet euer Land fest, das sage ich euch. Ver handelt eure Scholle nicht, es bringt euch Unglück. Über ein halbes Jahrhundert hat euch diese Scholle genährt und jetzt im Alter dürft ihr sie nicht wegwerfen!" „Ich habe unterschrieben —" sagt der Bauer tonlos, sein wettergebräuntes Gesicht ist fahler und weißer wie die matte Mondscheibe. Sprachlos starrt der Mann im grünen Nock auf den kummervollen, bereuenden Heidbauer. Stumm stehen sich beide gegenüber, der eine furchtbar bereuend, der andere tief erschüttert. Der Förster tritt leise einen Schritt zurück. Da schlägt der hölzerne Schaft seiner Schrotflinte klirrend gegen das spröde Stahlrohr des Raörahmens — ein lautes Echo kommt zurück, die Sirene eines Wächters in den Gruben. Pietschmann wankt grußlos davon,- seine Tiere ziehen freudig an, dem Heidhofe zu, hinter dem sich die gähnenden, schwarzen Gruben ausüehnen. Der andere radelt langsam durch die mondhelle Heide an den Teichen entlang nach der Försterei, er ist ergriffen, daß auch dieser Bauer seine Hei mat vergessen konnte. — Pietschmann schirrt seine Ochsen aus, zündet die Stall laterne an, wirft etwas Futter in die Krippe und geht nach dem Wohnhause herüber, auf dem im gleißenden Mondlicht die schlafenden Störche im Nest stehen. Pietschmann läuft es kalt über den Rücken,- auch der Storch, der das Haus nach alter Regel gegen Feuersgefahr schützt, ist gegen Geld eingetauscht. Auch sein Nest wird in der Schuttmoräne ver schwinden, die sich vor den Gruben herschiebt. — Pietsch mann betritt schwer atmend die Stube, läßt sich am Tisch, auf dem dampfende Kartoffeln stehen, in die hirschledernen Polster des Großvaterstuhles fallen, in dessen abgeschabter, weicher Lehne schon seine Großväter und Urgroßväter eine Stütze fanden und stößt langsam die drei Worte hervor, die schon den Förster erschütterten: „Ich habe unterschrieben." Klappernd entfällt seiner Frau ein hölzerner Eßlöffel. Sie starrt ungläubig und irr zu dem Alten herüber, der gebrochen im Lehnstuhl hockt. „Hast verkauft —ringt sie mühsam aus dem zahn losen Mund hervor, „hast das Land deiner Väter ver schachert — Karl — den Hof, den wir gemeinsam halten wollten, bis man uns gemeinsam hinaustrieb ins Moor?!" Und der Alte keucht gequält die bestätigenden Worte hervor: „Ja, ich habe verkauft, den Hof verkauft, weiß Gott, wie ich mich überreden ließ." Schweigend löffeln die beiden Alten ihre warme Milch suppe aus und verzehren abwechselnd eine aufgebrochene, dampfende Kartoffel, der der herbe, frische Duft der Hei- matschvlle entströmt. — Das einfache Mahl ist beendet. Keines der beiden spricht. Pietschmann steht am Herd und brennt mit einem glühenden Span seine. Pfeife an. Der blaue Rauch beruhigt. Er setzt sich wieder in den Lehnstuhl, schraubt den Docht der sparsam brennenden Petroleum lampe zurück und sucht seine Gedanken zu sammeln. Wie war es denn nur gekommen? Hatte er wirklich unter schrieben? Und dann dreht es sich wieder vor seinen Augen, flatternd und unruhig, wie der Flügelschlag hungriger Lachmöven: Verkauft — verkauft — verkauft. Mitten im flackernden Licht der Lampe sieht er seine Hand auf dem zerzausten Notizbuch des Agenten liegen, mit großen Buch staben seinen Namen unter den Vertrag malend . . . End lich rafft er sich zusammen. Seine Pfeife ist ausgegangen. Zitternd steckt er sie neu an. Seine Frau sitzt ihm regungs los gegenüber, sie sucht aus den wechselnden Gesichtszügen des Mannes das Unheil abzulesen. Und endlich beginnt er: „Ich war mit dem Gespann am Teich . . . Das vor jährige, geschnittene Schilf einholen. Mühsam lud ich Bund auf Bund auf den Wagen. Plötzlich stand der Agent bei mir . . . „Tag, Herr Pietschmann, saure Arbeit, was!?" hat er gesagt, ich sagte nichts. — Mir wurde Angst vor dem Manne... ich wußte, weshalb er kam. Ich arbeitete und ließ ihn stehen . . . Plötzlich stand der Agent neben mir, hatte die Jacke ausgezogen und warf mir in Hemdsärmeln Bund auf Bund auf den Wagen. Ich litt es, war froh, daß er mir half und merkte nicht, daß mich der Kerl teuflisch überlistete. „Schwere Arbeit," sagte er dann vor sich hin. „'s ist ne Schande, daß sich alte Leute noch so plagen müs sen." Und so kam es dann. Der Agent machte mich unzu frieden, malte mir die Arbeit, die ich fünfzig Jahre freudig getan hatte, so bitter und ungerecht aus, daß ich das erste Mal an ihr irre wurde. Der Agent redete und redete, und alles schien mir plötzlich richtig und wahr zu sein. „Dieser trostlose Sand" begann er dann und ließ eine Hand voll Kies durch seine schmalen Finger gleiten, „scheint eine große Kraft zu haben — an diesem Sand hängt ein Volk nach alter Überlieferung, weil seine Väter hier gehaust haben — und trotzdem gibt es nichts trostloseres als diesen Sand. — Herr Pietschmann! — Können Sie diesen Sand lieben?" Ich sah nur starr auf die Hand des Agenten und glaubte ihm, daß es doch Unsinn sei, an solch einem Sand land zu hängen — sah nicht den Teich und das Moor, die Heide und den Wald . . . Und so kam es dann . . . Ich hatte den Vertrag in der Hand, las mühsam, was alles er für Vergünstigungen aufzählte und — setzte meinen Namen darunter, während der Agent noch immer den dürren Sand durch seine Hand gleiten ließ. Als ich den letzten Strich getan hatte, nahm er mir den Vertrag hastig aus der Hand und ich sah mich erwachend um. Über uns kreiste ein Bus sard, im Teich stand unser Storch. Heide, Teich, Moor und Wald lagen still und mir schien es traurig im Sonnen glanze da. Und neben mir stand der Agent, kühl und ab weisend, sein Gesicht hatte den besorgten Ausdruck ver loren, den er erst für mein Alter geheuchelt hatte — er hatte mich überlistet — ich unterschrieben — der Satan wußte, daß er mich neben den schwarzen Gruben nicht hatte übertölpeln können. Mich packte ohnmächtige Wut. Ich wollte ihm den Vertrag aus der Hand reißen. „Herr Pietschmann, besinnen Sie sich!" rief er zurückspringenö und ich blieb stehen und besann mich, besann mich, daß ich meine Schotte verkauft hatte gegen ein... ruhiges Alter und wußte doch, daß ich ohne sie nicht leben kann. — Der Agent war jetzt verschwunden. Ich stand vor einem Stück zerwühlten Heidebodens — allein, hatte verkauft." Der Alte hat schneller und hastiger gesprochen und schweigt. Die alte Wanduhr haspelt träge zwölf Schläge ab und verstummt. Ein summender Ton schwingt lange in der Stube nach,- der erste Tag auf dem verkauften Hof ist angebrochen. — Es gibt kein Zurück mehr. Die Grube zittert unter den keuchend scharrenden Baggern. Förderbahnen rasseln auf Schmalspurgleisen ent lang. Unzählige Menschenhände wühlen Tag für Tag in dem blutenden, toten Herz des Heimatbodens, reißen neue große Wunden in die noch lebenswahre Scholle. Sie ar beiten nicht freudig und gern, wie der Mann, der die Erde mit seinem Schweiße tränkt und betend eine gute Ernte seiner Saat erbittet, sie arbeiten gehetzt und gepeitscht als bestochene, gekaufte Mörder des Mutterbodens. Sie ar beiten nicht um Brot, wie der Bauer, sondern um Geld und verfluchen den Zwang, den sie sich damit auferlegt haben. — Weiter und weiter fressen sich Spaten und Bagger in blühendes Heideland hinein, verschlingen Wald und Heide, Moor und Teich. — (Schluß folgt.)