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rundeten Kuppen, bas hochstrebende Jeschkenmassiv und den langen Jserkamm aufblauen läßt, wenn die Landeskrone ihre eckige Gestalt enthüllt und man dort Hinterm Eigen- schen Kreis weit ins Schlesierland sehen kann, dann ist man bedankt für des kurzen Weges reichen Lohn. Man ist aber auch enttäuscht — nach der guten Seite — von dem Ort selbst. Enge verwinkelte Straßen, schmutzig dumpfe Hinterecken, hingeklttschte Häuser, halbverfallene Baracken fehlen. Leichtverständlich! Einmal reicht die Dorfgründung erst bis zur 17. Jahrhundertwende zurück, der Hauptaus bau ist ein Werk vergangener und neuester Zeit. Zudem hatte ja auch das Dorf nicht nötig, sich gequetscht ins Tal pferchen zu lassen. Platz war da, und wo der ist, da reckt und streckt man sich, und so wurde der Ort selbst Weite mit großen Maschen von Licht und Luft. Wie der Talbewohuer seine gedrängte Heimlichkeit, so liebt der Neueibauer seine freie Höhe, seine gedehnten Abstände. Die neueste Zeit hat den Ort zu einem wichtigen Zen tralpunkt des Durchgangsverkehrs zwischen Neugersdorf einerseits und Eibau—Zittau oder Leutersdorf—Spitz- kunnersdorf—Zittau anderseits gemacht. Die saubere, ge pflasterte breite Hauptstraße mit den geräumigen, platz artigen Kreuzungen in der Ortsmitte, mit den gepflegten Fußsteigen verrät, daß die Gemeinde Sinn für die Bedürf nisse einer neuen Zeit hat. Ein zwar kleines, aber äußerst geschmackvolles Ehrenmal steht am rechten Platze und auch der neue Zentralbau einer Post mit Gemeindeamt ist an getan, Fremde bei der Durchfahrt aufhorchen zu lassen über den rührigen Ort. Der Durchgaugshandeksverkehr hat hier ganz gewaltige Maße angenommen, bildet ja die -Haupt straße des Ortes fast die einzige Verbindung der Industrie der Stadt Neugersdorf mit Zittau und den Dörfern der Südlausstz. Lastautos mit Sand rollen fast in stündlicher Folge den Baustoff der Oderwitzer Gruben zu den Enorm bauten Neugersdorfs. Der Sommer hört die Gemüsefuhren böhmischer Händler, aus Zittau kommend, mit ihren Plan wagen großväterisch über das Pflaster rollen. Der Bier-, wagen, der so oft von der Eibauer Brauerei in behäbiger Langsamkeit bergauf keuchte, kommt nur noch selten. Den Kindern unsrer Zeit ist das rote Lastauto mit den rollen den, bauchigen Fässern und den Eisklnmpen und -stangen, die dann vor dem Gastbause in der Sonne spiegeln und tropfen, ein vertrautes Tagesgefährt. -Neueibau hat keinen Bahnhof und doch gehört zu sei nem stillen Sein untrennbar die Bahn. Nur wenige Mi nuten laufen wir die bebäumte Eibauer Straße hinab und wir stehen an einem doppelten Schienenstrang. An stillen Abenden schreckt gar oft der kurze, schrille Pfiff und das gleichförmige Gebimmel die Bewohner der Höhe aus dem Schlafe. Eine wichtige Stelle im Eisenbahnnetz der Süd lausitz ist hier. Unweit der Straße vereinigen sich die beiden Linien von Zittau über Warnsdorf und über Oderwitz zur gemeinsamen Strecke nach Dresden. Kein Wunder, daß die Zahl der täglich verkehrenden Züge eine ganz erkleckliche ist. Die Nicht-Reiselustigen können sich hier sogar den An blick einiger Schnellzüge bieten, wobei allerdings der Nach druck weniger auf dem Schnell liegt. Die doppelgleisig aus gebaute Oderwitzer Strecke ist, da die Straße sie überbrückte, unabhängig vom Verkehr, Anders die Warnsdorfer Neben strecke, deren Schienen die Straße kreuzen. Da der Über gang schrankenlos, so hat er selbstverständlich schon Men schenleben gefordert, löst deshalb bei Zugführer und Kraft fahrern große Furcht aus, die sich in Schneckentempo kund tut, und wird ebenso selbstverständlich von einer „menschen freundlichen" Reichsbahndirektion schrankenlos belassen, weil man solchen Lupus vor einem Menschenalter zwar für notwendig, heute aber für überflüssig erachtet. Die Neu eibauer Ostbewohner sahen Kommissionen über Kommissio nen prüfen, erwägen, abfahren, aber nichts ändern. Wenn diese geahnt hätten, daß unweit hinter den Fenstern eines Neueibauer Schulzimmers zusehende Kinder weit vernünf tiger urteilten. Beide Bahnlinien blicken wie ein Gruß aus weiter Welt zu der Einsamkeit da nach oben. Wer von hier in die Welt will, muß laufen, 20 Minuten schönen, aus sichtsreichen Weg nach dem Bahnhof Eibau oder Stunden staubige, löchrige Straße nach Oberoderwitz. Daher hat der Ferneörang seiner Bewohner heut eine Wendung erfahren. Das Postauto hat auch diesen Ort erobert und ihm seine beiden Nachbarbahnhöfe Leutersdorf und Neugersdorf näher gebracht denn je. Die Menschen sind bequemer ge worden und so ist es zu verstehen, daß der Ort heute seinen Verkehr zum großen Teil mit Neugersdorf hat, sich dahin auch baulich ausbreitet. Mit Leutersdorf hängt er wohl landschaftlich zusammen und doch scheint dessen Wesensart so ferne, so fremd. Freilich hat das Auto noch nicht ganz zu tilgen vermocht, daß Neueibau eine Tochtergründung Eibaus ist, dessen Glocken noch die Einwohner von der Höhe zu sich ins Tal rufen und die neben dem Gotteshaus Reih an Reih mit den Talmenschen gebettet liegen. Die Schulen beider Orte sind zu gemeinsamer Arbeit verbunden und so sieht die belebte Straße jeden Morgen und Mittag neben den ernsten, gefurchten Gestalten der Arbeit ein heiteres, fröhliches Kinderschwärmen vom Tal zur Höhe. Der Schutz mann, der Kassenbote, Arbeiter vom Elt-Werk Eibau sind vertraute Gestalten dieser Straße und Augenschein dafür, daß beide Orte mehr als nur den Namen gemein haben. Ein Kranz grünen, rauschenden Waldes fehlt, aber dem Einheimischen ist der Kranz duftender, braunscholliger Äcker, lichtgrüner Saaten, polstriger Wiesen und buntbeblumtcr Hänge ein ebenso lieblich, heimatlich Bild, wie dem Be wohner nordböhmischer Dörflein sein reicher Wald. Weit schaut das Auge allseitig über Hänge, Breiten und sanft gewölbte Rücken fruchtbarer, bebauter Flur und gibt denen, die kein Fleckchen mehr ihr eigen nennen und Morgen um Morgen nach den dumpfen Fabriksälen Neugersdorfs, Leutersdorfs, Eibaus pilgern müssen, wenigstens noch ein Gefühl jener Erd- und Heimatverbundenheit unsrer Väter. Es mag gewiß kein Zufall sein, daß gerade dieser kleine Ort eine so stattliche Zahl seiner Kinder nach Amerika aus wandern sah. Ein groß Teil der Einwohner sind Indu striearbeiter in den textilen Nachbarorten, denn im Orte selbst raucht nur der Schornstein einer Weberei. Den Frauen des Orts gibt die Hauptbeschäftigung die Beklei dungsindustrie. Alte und neue Zeit tut sich dem kund, der aufmerksam die Straße entlang horcht. Wohl klappern noch zwei Webstühle ihre großväterische Melodie, aber sie wird übertönt von dem Surren der elektrischen und fußgetrete nen Nähmaschinen in fast jedem Hause. Groß ist die An zahl der Konfektionsfirmen, die ihre Arbeitskleidung im und außer dem Hause anfertigen lassen. Es wird dem Un kundigen auffallen, wie oft Autos vor den Häusern halten — sie bringen zumeist Stoffvertreter — und wieviel Rei sende mit schweren Koffern und Taschen zu aller Tages zeit die Straßen beleben. Sie gehören heute ebenso ins Ortsbild wie der Bauer mit seinen Kühen. Daher, wer hier im Mittelpunkte eine beschauliche Stunde opfert, wird dem kleinen Ort eine Vielseitigkeit nicht absprechen kön nen. Er ist Bauerdorf und zugleich Jndustrieort, seine Bauten sind moderne Zweckmäßigkeit und alte Beschaulich keit, sein Verkehr zeigt wenige Schritte neben Hasten und Drängen und Hupen und Rattern noch jene zeitlose Ge mächlichkeit vorväterischer Tage. Seine Menschen von gestern aber müssen einem Leben von heute bienen, damit sie gestählt sind zu einem Kampf mit dem Dasein von mor gen. So lebt Neueibau zwischen gestern und morgen, die drängende Zeit drückt wohl seinen Menschen und ihrem Schaffen den Stempel auf. Aber trotzalledem wird es noch lange das liebe, lichte, kleine Dörfchen am Hange und auf der Höhe bleiben. Oswald Gebauer, Neueibau.