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Maria im SornMag Eine altlausitzer Geschichte von Karl Hennig (Unberechtigter Nachdruck verboten.) Es ist ein hart Geschlecht, das hier oben in dem Wald dorfe haust, und ihre Reden sind rauh wie ihre Hände. Unten im Tale sind die Menschen gut und ihre Herzen freundlich,' denn der Herrgott bescherte ihnen ein fruchtbar Land, daraus alle Jahre aufs Neue der Segen quillt. Hier oben gehen die wilden Stürme ingrimmig über die kargen Äcker. Und vor ihrem eisigen Hauche verstecken sich die zarten Hälmlein und Blättchen und lassen nichts aufgehen, denn eine dünne Hascrsaat und magere Kartoffelstauden. Weil der Acker ihrer Hände Arbeit nicht lohnt, müssen die aus dem Walddorfe nach anderem Erwerb ausschauen. Es zieht in grünem, duftigem Bogen ein dichter Wald um die Hütten, der bis hinauf an die Grenze reicht, so das Land vom Nachbarlande scheidet. Ziehen die Männer des Mor gens hinein in die dunklen Hallen und schaffen das Tage werk, wie es der Wald von den Menschen verlangt. Mit Säge und Axt gehen sie den Fichten und Buchen zu Leibe und bauen die Gefällten fein säuberlich zu Scheiterhaufen übereinander. Es heißt in den Büchern, die sie unten im Tale lesen, solch Tagewerk sei ein fröhliches und lache und juble jedweder vom frühen Morgen bis in die Nacht vor Lust des gesunden Schaffens. Mag solches in andern Wald dörfern sein und ich will es nicht leugnen. Die um mich Hausen, gehen finster und ohne gut Wort noch lustig Singen an ihre Arbeit. Und sind nicht einige so sdenen am Ende das Leven der schweren Blöcke zuviel in den Weg rollte, derentwegen sie jedwed fröhlich Liedlein verlernten), son dern schon den Schulbuben und Mädeln, so ich betreute in vielen Jahrzehnten, glänzt kein Helles Licht im Auge und sie schreiten mit schwerem Tritt einher. Gleichsam als trügen sie vom Anbeginn ihrer Lebensbahn ein Brinklein Erdlast, das sich im Laufe der Jahre auf wunderbare und bittere Weise auswächst zu Bergen Mißmuts, Jammers und Verzweiflung. Sind böse Zeiten, wo in den schwarzen Augen doch ein jähes Leuchten entbrennt! Das ist, wenn ihnen gegen Forstmann und Grenzwächter ein schlimmer Streich gelang. Es mag ihnen seit Jahrhunderten im Blute liegen, daß sie in den Hegern ihre Bedrücker hassen und in ihnen die unbeugsamen Wärter sehen, so ihnen den Ein tritt in das Paradies weigern wollen. Denn wo man den Wald anschaut als ein Himmelreich, darin die Hirschlein und Rehe fröhlich springen und jeder ihnen an Leib und Leben darf, so er eine Büchse zu führen vermag, so ist den Männern der Busch der schönste Aufenthalt unter der Sonne und dem Mond und kämen sie am liebsten gar nimmer aus dem Forste zurück. Haben auch die Heger der einst ein Auge zugedrückt, wenn einmal in verborgenem Grunde ein Schuß fiel und dem Förster der blutige Rasen kundtat, daß wieder ein Stück ans seinem Wildgehege ver loren gegangen sei. Sind andere Zeiten gekommen. Und die Waldhüter lagen Tag und Nacht im Busche und kannten sich aus in allen Listen und Schlichen, also daß den Wilde rern alle Verschlagenheit nichts nützte noch half. Es hatten da die Förster eine gerechte und schnelle Hand. Und geschah es unterweilen, daß man einen dort im Gesträuche fand, der noch am Morgen gesund zu Berg gestiegen war. Seine Mutter deutete und zischelte hinter dem Wilbheger her, wenn er aufrecht und stolz durchs Dorf ging. Aber sie zeigte sich scheu und unterwürfig, wenn er innehielt und zurück blickte. Die Liebste ließ es sich gefallen, daß er ihr die Wangen tätschelte und derbe Worte sagte. Die Mutter schwieg und humpelte mit starrem Auge in ihre Hütte. Dort saß hinter Sprenkeln und Schlingen ihr zweiter. Und vor ihren Flüsterworten trat das jähe Leuchten in des Buben Auge. Es verging kein Jahr, daß wieder draußen im Busche ein heimlicher Schuß fiel. Am nächsten Morgen fanden sie den Förster tot mit einer Kugel in der Brust. Es kamen aus der großen Stadt im Tale viele Hochweise Herren und riefen mich als Verständigen und Wissenden in die Scholti sei. Ist mir, als sei es gestern gewesen. Sie saßen um den runden Tisch mit der rotwürfeltgen Decke, daran am Sonn abend die Bauern von den schlimmen Zeiten klagten und ließen die Zeugen der Reihe nach vorführen. Die erste war die Maria, die Liebste des Burschen, der im Walde gelegen hatte. Gesenkten Hauptes stand sie vor den Herren und wand die Hände umeinander. Ruhig und ohne Stocken gab sie ihr Zeugnis. Sie wußte, daß der Bruder ihres Liebsten nächtlicherweise oft im Busche gelegen hatte, ohne des herben Sturmes oder Schneewirbels zu achten. Sie wußte, daß er öftermalen am frühen Morgen heimgekommen sei, das Gesicht arg verrußt, und müde zum Umsinken. Sie wußte, daß hinten in der Scheuer unter Futter und Gesämc eine blanke Büchse verborgen lag. Hier hoben die Herren die Köpfe. Und der eine, so ohne Freude bisher in das Licht geschaut und mit dem Schreibstift gespielt hatte, setzte sich aufrecht und strich sein Ohr hin nach der Maria. Aber es war, als sei mit einem Male ihr Wissen ausgelöscht. Denn auf alles weitere Befragen klang es eintönig und kurz: Ich weiß nicht! Und auch kein väterlich und ernstlich Zureden des obersten Herrn vermochte ihr ein anderes, wegzeigendes Wort zu entlocken. Solches verdroß die Herren sichtbarlich, denn sie hatten geglaubt, in Maria ein töricht und einfach Geschöpf zu finden, das ihren Winkelfragen und Lockreden nicht ge wachsen sei und ohne Arg ausplaudere, was jenen, den ge glaubten Mörder, an das Beil liefere. Denn es schien ihnen die furchtbare Tat so offen und klar, daß sie nur eines Zeugnisses bedurften, um ihre Meinung als wahrhaft be stätigt zu sehen. Denn weilen im Walddorfe seit alters der Spruch galt: Auge um Auge, Zahn um Zahn!, so war mit Gewißheit anzunehmen, daß der Bruder seinen Bruder ge rächt und dem gehaßten Förster den Tod gegeben habe. Solche Tat schien denen aus dem Dorfe nicht als schlimm und strafenswert. Sahen darin nur Gerechtigkeit des Schick sals, das da spricht: Wie du mir, so ich dir! Aber Maria, die sie als Weib geschwätzig und zungenflink hielten, gab ihrem Wunsche und ihrer Hoffnung keine Erfüllung. So wandten sie sich mit einigem Ärgernis an mich, um über des Mädchens Gemütsart meine Gedanken und meine Kenntnis zu erfragen. Solches Verlangen war mir unlieb. Wohl kannte ich Maria von Kindesbeinen an und war mit ihrem Wesen innig vertraut, dieweil sie in jenen glücklichen Tagen, da noch mein junges Weib an meiner Seite blühte, im Haus halte ab- und zuging und hilfreich war, wo es Not tat. Und als eine schwere Stunde mir mein Weib nahm (das von mir gehen mußte, weil es das Kind, das sie unterm Herzen trug, so verlangte), da blieb Maria bei mir und betreute mein geringes Hauswesen, dessen ich nimmer ge achtet hätte. Ich ward ihres stillen und emsigen Schaffens erst gewahr, da sie vor mich trat und bat, sie gehen zu lassen. Die Leute im Dorfe hatten Arges von mir und ihr gesprochen und ihre flammende Abwehr boshaft verhöhnt. Es stand mir nicht an, sie länger an mich und mein Ge wese zu fesseln. Aber ich fühlte bitter, daß mit ihrem Scheiden mein guter Hausgeist gegangen war, so man solches nach dem Heimgänge meiner lieben Frau reden konnte. All das war in meiner Erinnerung verschlossen, und mochte ich solch verlorenes Glück nicht gern vor kalten Ohren darbieten. In jenen Tagen hatte ich alles erfahren, von Marias Heim und Herkommen. In stillen Abendstunden, da ich über den Heften der Schulkinder saß und manch bitteren Seuf zer ob der harten Köpfe verschluckte, saß sie mir gegenüber und rührte emsig die Hände mit einer Arbeit, die eine Frau gern zur Erholung von harter Tagesfron verrichtet.