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sv sang ihr zur goldenen Hochzeit am 11. Januar 1921 einer die Verse: Getreu zur Seite aber stand Die Wirtin Heil Luise! — Du Veilchen, das er einstmals fand! Auch dir heut beste Grüße! In Keller, Küche, Hof und Haus Trugst du ein reges Leben, Um zu der Nast manch guten Schmaus Dem Wandrer hinzugeben. Vom Banngeist sprachst du, der im Wald Des Nachts umhergetrieben. Was du geplaudert jung und alt, Es ist von Wert geblieben. Wenn für immer der Name Kalauch mit unserem Czorneboh so eng verbunden ist, dann hat auch Mutter Luise keinen geringen Anteil daran, denn ein Menschen- , leben lang Bergwirtin zu sein, heißt auch all den Freunden der Heimat so manches Opfer bringen. Und sie hat es ge bracht mit frohem Sinn, mit liebevollem Herzen und alle zeit heiterem, freundlichem Gemüt. Das sei ihr besonders gedankt, ihr, der sorgenden Mutter so vieler Wanderer, vor denen sie nun die große letzte Wanderung antritt, die sie zu wohlverdienter Ruhe führt. Minim in der Seide. Von Theodor Schütze, Hainitz Ja, weit hinten liegt sie, und es ist nicht so ganz ein fach, aus unserer „offiziellen" Oberlausitz dorthin zu kom men, in die Kamenzer Heide. Aber ist man dann an Ort und Stelle, so findet man seine Mühe wohl belohnt und den abseitigen Landstrich mancher vielgertthmten, viel besuchten Gegend ebenbürtig, reich an Reizen und offen kundigen Schönheiten. Die Stadt Kamenz selbst sollte niemand gering schätzen. Gewiß, sie ist ein Landstädtchen abseits der großen Aufregungen, abseits der überstürzten Hast' man geht be hutsam. lächelnd durch ihre grauen Gassen. Aber wer etwa aus Unwissenheit ein Verächter dieser tapferen kleinen Lausitzer Stadt war, der besehe sie sich nur einmal vom Hutberg aus an einem sonnigen Mainachmittag. Da hat er das malerische Gewimmel ihrer Dächer zu seinen Füßen, und die Türme blicken so trutzig und ernst darüber hinaus wie treue, sinnende Wächter, die sich im Sturm der Zeiten bewährt und gefestigt haben. Der Hutberg selbst, von den Städtern zu einem wundervollen Park umgestaltet, ist ietzt. zu windstiller stunde, feierlich schön im Schmucke der tausend aufbrechenden Blütenkelche. Die pontischen Azaleen glühen gelb und rot zwischen den fremdländischen Nadel hölzern; die Rhododendronknospen springen vielfarbig aus, die Lupinen recken ihre blauen Kerzen, und von den Roß kastanien winken und schimmern unzählige weiße Lichter. Lösen wir unsere Blicke von der schönen Nähe, so bietet sich uns eine nicht minder anmutige Ferne dar! Gen Süden, Westen und Osten streckt sich das blaue, wechselvoll gestal tete Gebirge; man kann heute den Kottmar, die Landes krone noch erspähen. Im Norden aber ist das Land be sänftigt, eine ebenmäßige Fläche bis hinter zum weiten, zartlinigen Horizont, ein wundervoller, duftender Teppich mit auserlesener Musterung. Au sehr locken diese Llau- arüneu. tausendwtpfeligen Kiefernwälder, diese blinkenden Spiegel der Teiche, diese maifrischen Fluren, die dazwischen gestreuten, halbverborgenen Siedelungen: wir kommen zu ihnen, wir werfen uns ohne Säumen in das übersonnte Meer der Ebene! * Nun ist es Abend. Die Sonne zergeht hinter blau grauen Wolkensireisen. Der Westhimmel färbt sich trüb violett, kreß und hellgrün, und in noch zarteren Tönungen spiegelt er sich in dem schönen, weiten Teiche wider, an dessen Ufer wir aüsruhend sitzen. Es ist der Bi eh la er Größte ich, ein ansehnliches Gewässer inmitten vieler anderer, die ihm an Größe nachstehen. Die schimmernde Wasserfläche breitet sich unberührt vor uns aus bis zu den fernen schwarzen Waldungen. Dann und wann fällt eine Wildente schwirrenden Fluges ein, zieht eine aufspritzende Kiellinie hinter sich her, verschwindet im Schilf. Da schwebt ein gespenstisch großer Vogel über uns hinweg, ein Storch auf verspäteter Heimkehr. Der Kuckuck schreit unermüdlich vom jenseitigen Ufer her. Das Wasser vor uns ruht so still und schwarz und tief, und doch ist es irgendwie unruhvoll, unheimlich, tückisch. Wird nicht im nächsten Augenblick zu unseren Füßen das triefende, grinsende Haupt des Wasser mannes auftauchen? Es fröstelt uns, wir ziehen weiter auf taunassen Pfaden. Immer neue Teiche zwischen Heidewald und moorigen Wiesen. Schlanke Birkenstümme leuchten durch den grauen Schleier, den die Dämmerung spinnt. Aus allen Gräben quillt der Nebel, über die Wiesen wallt er, wälzt er sich in lockeren Schwaden. Wie wundervoll, zu dieser Stunde hier zu sein! Uns wandelt keine Furcht an, und doch, wären wir weniger kundig, hätten wir nicht die vertrauensvolle Liebe zur Natur, so könnte uns manchmal plötzlich ein kalter Schauer der Angst den Rücken herabrieseln. Was ist das für ein seltsam keuchendes Gebell hinter uns? Das ist der Rehbock, den wir mit seiner Ricke vor wenigen Minuten von seiner Äsung verscheuchten. Und was be deutet dies rätselhafte Meckern, das so unerwartet aus dem Bruche zur Linken ertönt? Es ist wohl die Bekassine, die auf Liebespfaden einherwandelt. Doch jetzt, aus finste rer Ferne, läßt sich ein Ruf hören, so sonderbar, so un melodisch, fast schauerlich, daß wir stumm stehen bleiben und lauschen. „Wump, wump!" schallt es, vier-, fünfmal hintereinander, dann eine ziemliche Pause, dann wieder das gleiche dumpfe Aufstöhnen. Ist es ein Mensch? Ein Tier? Oder ein Gespenst? Ein Unglücklicher vielleicht, der im Sterben liegt an einsamem Orte, der mit letzter Kraft der Lungen noch nach Rettung schreit? Nein doch, nein, der Fall liegt harmloser, ungefährlicher. Der dumpfe Ruf kommt aus dem liebevollen Herzen eines absonderlichen, seltenen Teichvogels, der Rohrdommel, die scheu im Röh richt haust, tagsüber still und fleißig ihres Leibes Notdurft zu gewinnen trachtet und erst am Abend die Zeit sich nimmt, gefühlvoll zu werden. Und dann allerdings kommt es gleich mit Macht über sie, oder vielmehr über ihn, den Herrn Rohrdommel, und seine Liebesseuszer fallen nicht besonders zart aus, sondern werden mit unverhohlener Leidenschaft und mit einer schier ochsenhaften Stimme in den friedlichen Lenzabend hinausgebrüllt. Der „Dame seines Herzens" mögen sie süß und lockend klingen, wir aber lauschen ihnen mit lächelnder Verwunderung, und wer arglos durch die nächtliche Teichlandschaft spaziert, den mag vielleicht ein kalter Graus packen und ihn zu ängst licher Eile antreiben. Durch wie viele Sagen und Ge spenstergeschichten alter Zeit mag wohl der Liebesruf der Rohrdommel spuken! Diese ganze feuchte Wildnis hier, sie ist jetzt, zu so später Stunde, noch so übervoll von Leben, voll von Ge zwitscher, Gequak, Gesang und Gezirp, von fremdartigen, seltsam wachen Rufen und Geräuschen, als sollte die ganze Nacht nicht mit Ruhen, sondern mit aufgeregter, festlicher Geschäftigkeit ausgefttllt werden. Ja, Lenz und Sommer währen nicht lang, dieses Leben ist so kurz und verflackert so rasch, wenn der Winter des Todes hereinbricht, drum heißt es jetzt Stunde für Stunde lebendig und tätig sein! * Die Nachtherberge in Wcißig war so schlicht, daß sie einem verwöhnten Weichling gewiß nicht genügt hätte. Jemand sagte, als er zum ersten Mal in das Zimmer trat und im ungewissen Scheine einer ärmlichen Petroleum-