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vielleicht in diesem Falle sprechen. Mehr Freundlichkeit, mehr Verbundenheit mit Sem Leser, das ist das angenehme Zeichen jener Tage gegen unsere Zeit. Handschriftliche Notizen weist dieser vorliegende Ge schichtskalender leider nur spärlich auf. Am 22. Jänner steht dahinter „tagewache". War das Ouartierwache oder Feuerwache? Wer weiß cs? Vielleicht war es irgend eine Schutzwacht, eine befohlene „Schicht Wache". Am 19. März kehrt sie wieder. Wieder ist es ein Mittwoch. — 9 Märzen nebel sind angemerkt. Am 8. Mai steht „das erste Ge witter". Die astronomischen Erläuterungen sind mit „Calenöer- Praktika auf das Jahr 1823" überschrieben. Neu ist nach den „Tariffa-Tabellen" eine umständliche „Resolvirungs- Tafel", betreffend: Die Thaler zu Gülden und die Gül den zu Thalern. Die Umrechnnngstafel half wie ein Rechen- oder Meßknecht. Die Sache war nämlich nicht so leicht, wenn 7 Thaler — 8 Gulden, 12 Thlr. — 13 Fl. (Gul- ben) und 18 Groschen bedeuten! Umgekehrt: 199 Fl. — 87 Thlr. 12 Gr.! Die Kaufgeschäfte müssen gar nicht schnell gegangen sein wie heute, wenn innerhalb von Deutskyland so viele Münzsorten galten! 21 Groschen war nach der Tafel 1 Fl., und 1 Thaler war 1 Fl. 3 Gr., demnach mußte 1 Thaler gleich 24 Groschen sein! Diesen Wirtschaftsfragen folgen jetzt Verse, Geschichten und Erzählungen. Wie immer, fast nie erzählt uns ein alter Kalender von der Heimat. Es ist nichts darin, das auf das „Meißner Land" Bezug hätte. Die weite, fremde Welt wollte der Verfasser bringen. So ging es Jahr für Jahr mit langjährigen Fortsetzungen! Wer da die Kalender nicht aufhob und sammelte, wußte das nächste Jahr kaum noch den Anfang oder das Vvrhergegangene einer Ge schichte. „Der türkische Staat mit besonderer Hinsicht auf Griechenland", so betitelt ist die erste Geschichte. Was inter essierte einen damaligen treuen „Meißner" Einwohner die Türkei, 814 Seiten lang? Oder weiter „Leben und Tod des Ali Pascha von Janina". — „Die Einnahme von Tripo- litza". — „Beschreibung von Constantinopel" (414 Seitens? Gewiß, man las mit Spannung und Abentcuergefühl, mit gesteigerter Sehnsucht nach allen fernen Ländern — aber das Vaterland lernte man nicht kennen, nie die Schönheit der Heimat. Höchstens politische nüchterne Ereignisse von zu Sause. 3 schöne „Kupfer" schmücken die Geschichten, die alle die letzten Begebenheiten schildern, von 1821 und 1822. Der „merkwürdige Kirchenzug in Constantinopel" ist im Text am 28. Febr. 1821, auf dem „Kuvfer" aber am 28. Febr. 1822! Endlich bringt der alte „Meißner" die üblichen teils „ernsten", teils heiteren Anekdoten, beginnend mit einer von einem Pariser Bürger. Schließlich eine vom anhal- tischen Grafen auf seiner asiatischen Reise. Auch August der Starke wird am Schlüsse bedacht. Mit dieser fürstlichen Anekdote schließt der liebe über hundert Jabre alte Geschichtskalender von Meißen. Zwei Blätter scheinen abgetrennt zu sciu, dann hält der rote Buchrücken sein Heft zusammen. Es hat auch noch keine Nummern auf den Seiten, ebenso kein Inhaltsverzeichnis. Beides war auch nicht notwendig, weil man gar bald die und jene Stelle „von allein" fand. Der Kalender war ja die rechte Hand des Hausherrn in Wirtschaftssachen. Mehr heimatlichen Wert für unsere Gegend zeigte der Neustädter Kalender, besonders durch die Notizen. Er war mehr Familienbuch als der von 1823. Er war so geführt, wie es heutzutage erneut erstrebenswert ist: Ein Kalender sei dir Begleiter durch ein langes Jahr, sei dir ein Freund und deinem Hause ein Kleinod! Arthur Grünewald, Schmiedefeld. Werbt für dis Gberlaufiher Heimatzeitung! Uraufführung eines Oberlausitzer Volksstückes in Lawalde Am ersten Weihnachtsfeiertage fand in Lawalde die Erstaufführung des mundartlichen Heimatspieles „Bann Sündersteene" von Gustav Bayn-Lawalde durch Mitglieder des Turn- und des Obstbauvereins statt. Es ist zum ersten Male, daß der Verfasser des Stückes mit einer seiner Dichtungen vor die Öffentlichkeit tritt In drei Akten spielt sich ein echtes Stück lausitzer Volkstums ab. Im Mittelpunkt einer ergreifenden Handlung, in deren Verlauf schwere Schicksale die Personen bis an den Rand der Verzweiflung führen, steht ein alter Granitblock, der „Sünöerstein". Das tragische Geschick zweier alteingesesse ner Bauerngeschlechter rollt sich in der Nähe dieses Steines ab. Verknöcherter Haß eines starrköpfigen Vaters, der mit seinem Granitschädel jedes Gefühl für Gerechtigkeit und die seelische Überwindung eines Unrechtes im Laufe der Zeit verloren hat, kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen die junge Liebe seiner Tochter. Die Weltanschauung des Geschlechtes der Vorkriegszeit erwehrt sich mit zähem Wil len, die alten Traditionen heilig zu halten, der freieren Geistesströmnngcn, wie sie die letzten zwei Jahrzehnte ge boren haben. G. Bayn hat mehrere Probleme angeschnitten, die im Kernpunkt der Erörterungen unserer Zeit stehen und versucht bewußt, den Widerstreit der Meinungen zu einer glücklichen Lösung zu führen. Das geschieht zwar noch nicht bis zu den letzten, idealen Höhen, aber der Anfang ist gemacht, die überlebte Vergangenheit unserer Großeltern über mannigfache Wirrsale zu einer geläuterten Gegen wart zu führen. Ererbter, ungebrochener Bauernstolz und -trotz bäumt sich auf gegen den Feuergeist der jungen Gene ration. Über Religion, Haß und Liebe, Krieg und Frieden finden starke, gut durchdachte Auseinandersetzungen statt. Während ein Stück Dorfgeschichte vorüberzieht mit Dorf klatsch und Aberglaube, mit Menschen, denen Schollengeruch anhaftet, tritt der verflossene grausame Weltkrieg mit all seinen schlimmen Auswirkungen noch einmal lebendig vor die Seele des Theaterbesuchers. Hungersnot, Zwangswirt schaft, Kommunalisierung, seelische Niedergedrücktheit und körperliche und geistige Zerrüttung, wie sie der Krieg als seine Gefolgschaft mitbrachte, treten mahnend vor die Er wachsenen, warnend vor die zukünftige Generation. Nicht propagandistisch, sondern aus tiefster Herzenserkenntnts heraus, ist Bayns Werk ein wertvolles Sinnbild der Anti kriegsstimmung. In den handelnden Personen typisiert er teils Originale seines Heimatdorfes Lawalde, wie sie aber ebensogut in jedem anderen lausitzer Dörfchen sich zahlreich befunden haben und vereinzelt noch jetzt vorkommen, teils schildert er gewisse Charaktergruppen der Bevölkerung unserer Heimat. Es ist ihm eine beachtenswerte Gabe eigen, Eigentümlichkeiten, seien es Schwächen oder Stärken der Volksseele, drastisch zu stilisieren. Das Werk verdient weit über die Grenzen der engeren Heimat hinaus Verbreitung und Verständnis. Wie die Volksstücke eines Wilhelm Fried rich berechtigte Begeisterung gefunden haben, wie die No mangestalten eines Oskar Schwär oder die Novellen eines Schindler und Blasius die Herzen ergreifen, so darf auch die Hoffnung ausgesprochen werden, daß Gustav Bayn mit seinem Erstlingswerk seiner lausitzer Heimat durchaus wertvolles Volksgut übermitteln will und Eingang in die Gemüter und Seelen findet. Bei der Uraufführung war der Saal des Kretschams in Lawalde bis ans den letzten Platz gefüllt. Gespielt wurde flott und frisch. Die Personen wurden lebenswahr und ein drucksvoll auf die Bühne gestellt. Kostüme und Bühnenaus stattung waren den Verhältnissen der Dorfbühne und des Laienspiels entsprechend sehr vorteilhaft gewählt. Die Auf führung wurde ein voller Erfolg für den Dichter und seine Spielerschar, in deren Mitte er durch anhaltenden, stür-