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führende Brücke, über die heute noch die Wagen in die Stadt holpern, erinnert an diesen gestrengen Herrn, der sie erbauen ließ. Die eigenwillige Inschrift an der Brücke läßt Sinn und Wesen dieses willkürlichen Burg- und Markgrafen erkennen. „Der Wohlgeborne und Edle Her, Her Christof Burg graf von Dohnen, Her auf Königsbrück und Markgrafen- thums Oberlausitz Landvogt: Auf seiner Gnaden Schaffen und Zuthun ist diese Brücke erbauet worden. Haben seine Gnaden mit Ihren eigenen Händen den ersten Grundstein geleget den Montag nach Kiliani, welches der erste Tag des Monats Juli im 1558. Jar." Darüber ist das Wappen mit den beiden Hirschgeweihen angebracht. Heute ist es verhältnismäßig still geworden in der Stadt Königsbrück. Sie hat seit Beendigung des Welt krieges nicht mehr den Fremdenzustrom aufzuweisen, der sich sonst alljährlich, Sommer und Winter, auf „höheren Befehl" hierher verfügte und zu Hunderten, Tausenden die Straßen und engen Gassen mit den weinumrankten nied rigen Häusern belebte und ihr ein frohes, munteres Ge sicht gab. Es ist still geworden auf dem Marktplatz, dessen Buckel pflaster so manchen harten Soldatenschrttt zu spüren be kam, dessen Häuser so manches frohe Fest mit den Sol daten erlebten. Der Nebel drückt die Dächer schwer. Rauchfahnen gei stern an schmalen Giebeln vorbei. Vermummte Gestalten huschen in der Frühe des Wintertages über den Marktplatz und verschwinden hinter einer klingelnden Ladentür eines Krämers. Ein altes Soldatenlied summend — wie oft haben wir es doch vor einer Reihe von Jahren im Gleichschritt durch diese Gassen gesungen — ziehen wir aus dem Städt chen in den nebelgrauen Tag, der gar keine Verheißung birgt, sondern das Land einhüllt, trüb und unheimlich macht. * Man sieht es dem langgestreckten Berg im Südosten der alten Solöatenstadt, der den stolzen Namen Keulen oder Augustusberg trägt, nicht an, daß er einst in Urzeiten ein gefährlicher, alles Leben vernichtender Kraterberg war. Daß er vor Jahrtausenden das Land mit gewaltigen Stein massen überschüttete, tagelang den Himmel mit seinem heißen Ascheregen verdunkelte, neue Berge bildete, um sie mit seinen glühenden Massen wieder zu vernichten im wechselvollen Spiel. Noch heute erzählen die vielen wirr durcheinander liegenden gewaltigen Blöcke und Steine am Abhang des Berges, insbesondere auf Gräfenhainer Flur, von der Gewalt, die einst im Innern des Berges wohnte. Von Gräfenhain aus sind wir auf Sen Berg gestiegen, langsam, Schritt für Schritt. Die Nebelhexen hockten in des Waldes Dickicht, huschten über den Weg in ihren lich ten, blau-grauen Gewändern und versuchten den Tag und den Weg auszulöschen. Und die Regenreiter jagten eine wilde Attacke über den ansteigenden Vergwald, daß die Bäume nur so troffen. Und plötzlich stehen wir aus dem Gipfel des Berges, der schier einem Museum gleicht und von wunderlichen Volksfesten und Vergnügungen der Land leute zu berichten weiß. Der große Wiesenplan vor dem Berggasthofe ladet ja so freundlich zur Rast und zum Fröh lichsein und Spielen und Tanzen mit festlich-frohen Men schen ein. Auf der einen Seite des Berggipfels ragen die Trüm mer eines Jagdschlößchens, das in der Neujahrsnacht 1835 der Sturm abdeckte und zerstörte. Aus seinen Fensterhöhlen hat man an Hellen Tagen eine herrliche Fernsicht. Weit schweift das Auge über unendliche Wälder, leichtwellige Hügel, Heidedörfer, die sich zwischen Wälder verstecken mit niedrigen Häuslerkaten und Kirchen, in denen Wunder blühen. Und in den Dörfern rund um den alten Sagen berg treiben noch heute die Rotkittelchen, die Keulenmänn- chen, kleine Kobolde, ihr Wesen mit den Bauern und Knech ten und Mägden, machen sie reich, versprechen ihnen alle Herrlichkeiten der Welt, spielen aber auch ihren Schaber nack mit ihnen. Neben dem hohen Aussichtsturme steht ein Bismarck denkmal, das an einem regenschweren Spätsommertag 1899 mit großer Festlichkeit geweiht wurde. Ihm gegenüber, auf der mittleren Felsenspitze, erinnert ein Obelisk an das 50 jährige Regierungsjubiläum des Königs Friedrich August des Gerechten von Sachsen am 15. September 1818. Dieser Tag, an dem der Berg den Beinamen „Augu stusberg" erhielt, ist wohl der festlichste gewesen, den der Keulenberg jemals gesehen. Und wenn wir heute den Be richt eines Augenzeugen dieser gewaltigen Jubelfeier lesen, so müssen wir sagen, würdiger und festlicher ist wohl niemals ein Jubeltag gefeiert worden inmitten eines si herbstlich färbenden Bergwaldes, in den die Schützen aus vier umliegenden Städten mit wehenden Fahnen und klin gendem Spiele heraufgezogen sind, eine Abteilung Artille rie aufgefahren ist, fünfzig grün und weiß gekleidete Fest jungfrauen neben dem Heere der Sänger standen und das deutsche Lied andächtig erscholl: beim Jubelruf auf deu König 101 Kanonenschüsse den König grüßten, bei der Fest tafel die Becher lustig blinkten und kreisten und am Abend ein großartiges Feuerwerk den Berg wie in Urzeiten in glühende Lichtfinale tauchte und sich bis an den frühen Morgen des nächsten Tages überall frohe Tänzer bewegten und „nah und fern auf Sachsens Höhen himmelansteigende Opferflammen brannten". Ja, sie verstanden es, Feste zu feiern in den Tagen unserer Urgroßeltern. Aber, er ist auch ein herrlicher Berg, der Keulenberg, auch dann noch, wenn er seine Nebelkappe aufgestülpt hat, und wie kein anderer Berg bietet er frohen Menschen Ge legenheit zum Feste feiern auf des Waldes grünem Plan und zum Vergessen trüber Stunden Doch es ist seltsam, die heutige Generation scheint diesen Berg zwischen der alten Soldatenstadt Königsbrück und der Pfefferkuchen- und Töpferstadt Pulsnitz, dessen Linie Musik ist, vergessen zu haben. Er ist heute nicht mehr das Wanderziel, das er in den Tagen unserer Voreltern war, er ist heute nicht mehr der Berg froher Feste. Langsam, wie wir gekommen, steigen wir wieder den Berg hinab, immer unter dem Schutze seiner Tarnkappe. Nur wenige Schritte weit können wir sehen, dann bildet der Nebel eine undurchdringliche Wand, an die große, son derbare Gestalten gewaltige Schatten stellen, die unheim lich wirken und seltsame Bilder erscheinen lassen. * Auf hoher Landstraße steht in dünnem Nebelkleide ein schlanker Turm. Er rückt näher und näher, wird größer und größer und — jetzt gliedern sich auch einige Steilgiebel um ihn: St. Marien sendet uns den ersten Gruß der alten Lausitzer Sechsstadt Kamenz. Am Hutberg baut sich die Stadt auf mit ihren niedrigen, bunten Häusern in der Vorstadt, mit den Türmen und hohen Giebeln der Kirchen, die aus alter Zeit stehen geblieben sind und Kriegsstürmen und wiederholten Feuersbrünsten trotzten. Am „Roten Turm" vorbei, in dem der unglückliche Diakonus Caspar Dulichus, nachdem er 1043 seines Amtes wegen Aberglaubens und Hexerei enthoben, aus der Stadt verwiesen und nach 10 Jahren Umherirrens in der Welt als Gefangener bis zu seiner im Juni 1655 auf dem Markte der Stadt erfolgten Hinrichtung schmachtete, wandern wir durch das Lessinggäßchen nach dem Wahrzeichen der Stadt, der Haupt- oder St. Marienkirche. Der Kirche gegenüber lag einst das Diakonat, in dem am 22. Januar 1729 Sachsens größter Dramatiker und Kri tiker geboren wurde: Gotthold Ephraim Lessing. Eine Feuersbrunst, die im Hochsommer 1842 durch die Gassen