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sie dir im Wege wären! Und wenn einmal, wie in den Winterabenden, Verlangen nach vergangenen Zeiten ist, dann krame sie hervor, auch wenn sie noch so verstaubt wären, du wirst dich gewiß freuen, ja glücklich fühlen, daß dn solche „F a m i l i e n s a ch e n" mit aufhebst. „Ein Kalender von 1808". Zwei alte Jahreskalender — wie viel erzählen sie! Sie sind arg zugerichtet) der eine ist vom Jahre 1808, der andere von 1823! Zerfressen sind manche Blätter, wie ab gerissen manche Ecken, gebräunt von der Sonne, beschmutzt vom Gebrauch, und doch, wie wertvoll sind die zwei Büch lein, wenn auch vom ältesten die ersten Blätter fehlen sdas so Bedauerliche, wie vorher augedeutet). Mit der Zeit läßt sich der Titel schon noch feststelten. Er wird sicher aus hie siger Gegend stammen. „Neust. D." steht auf dem Blatt „Augustus 1808". Ein Neustädter Kalender wird es sein. Es bleibt nur noch die Frage, in welchem Neustadt soder Neustädtel) er gedruckt sein könnte. Aus den Notizen, die leider kaum noch völlig zu entziffern sind, ist ersichtlich, daß kein Schmiedefelder ihn geführt hat, denn unter Junius steht: „Den 2ö. in Niedergerichte wegen der.... der Vieh wege (Vtehweihe?)". Weiter oben kriegt man heraus: „Den 16. wie auch den 7. in Ober-Gerichte wegen der Hofe Knechte (?) und Anordnung der Feuerspritze mit Verlausung des Gemeine Busch . . . ." „Ober" bei Obergericht ist unter strichen. Es kommt also ein Dorf der Umgebung in Frage, das in jenen Zeiten ein Ober- und Niedergericht hatte. Noch einige Notizen: 1806 Junius: Den ersten dieses den Streuzettel lnicht Steuerzettel) abgeholt mit 6 Pf. bey Miß .... Den 7. dieses Lein gesaet. Den 13. auf der Straße bey der Schule.... Was hier «»gemerkt bis zum 12. Juuy 6 Reichsthaler l7 Groschen 3 Pfennige. (Rcgcl- mäßtge Ausgabe, vermutlich Lohn oder Steuern.) Julius. Den 1. dieses 2 gl. (Groschen) vor den abgebrannten Gärt ner (Landwirth) M . . . . in Rugis . . . . ? (walde) Von den einschlagen des Blitzes. Den 27. den Gemeinde-Busch verkauft an den Müller H . . . . Den 28. dieses 1 gl. vor den Dieb in Stolpen entrichtet. (Vielleicht Gerichtskosten, diese gleiche Bemerkung findet sich auch am 21. Nov.) Den 25. das Streuverfahren verbachtct (?) (verboten?). Augu stus: den 1. ös. auf der Straße (?) bey Mehnerts Bruder. 10. die Steuern entrichtet 1 gl. 10 Pfg., und auch die Per sonen (?) Steuer 1 gl. 6 Pfg. September: 7 . . . . auch die Brand-Casse mit entrichtet, von Hundert 2 gl. Den 10. in Niedergerichte. Den 11. in Obergerichte. Den 12. Einquar tierung der Preußen (?). Wegen der Lieferung. Den 11. der Feuermauerkehrer (?) dagewesen mit 8 Pfg. bezahlt zu Hofe Grummet Haun bey der Busch Mühle . . . Gevatter gestanden bey Rußig, Crnmhermsdorff (?) Oc tober: Den 12. in Ober-Gerichte wegen der Lieferungs ausgleichung nach Bischofswerda. November: Den 19. den Walpurgis u. Michaelis-Zinß abgeliefert 3 gl. 9 Pfg Den.... hat der Scheffel gut Korn 4 Thaler auch 20 Groschen in Birna gegolten. Den 30. Einen Neuen Kalen der gekauft vor 3 Gr. die Beylage darzu. Auch den 10. das Gespinst zum Hofe (?) Garn abgehvlt. December: Den 4. dieses die Kayserl. König!. Francöistsche Contriputions Steuer entrichtet mit 1 Reichsthaler 8 Pfg. von jeden . . . 4 gl Conföncivns Steuer. (!) — Fühlt man da nicht, wenn man das liest, wie vielerlei Nöte das traurige Kriegsjahr 1806 unsrer Gegend brachte? Und wie viele Notizen sind nicht mehr zu entziffern, beim Dezember ist die ganze rechte Seite ins Papier eingelau fen! Was mag da noch erzählt sein? Saat und Ernte, Blitz schlag-Sammlung, schwere Einquartierungen, Lieferungen, Zinsabgaben, feindliche Besatzungskosten! So viel Sorgen, so wenig Freudiges. Wie rührend darunter die wenigen Zeilen: „Gevatter gestanden bei Rußig..." Gibt nicht der hoffnungsvolle Hinweis ans den Pirnaer Kornpreis zu denken. War nicht der Kauf eines neuen Kalenders eine wichtige Begebenheit, wenn er besonders erwähnt wird? Hinterm Spinnrad faß man in den November- und De zember-Tagen! Mit der Gemeinde war man verwachsen, wenn Gemeinde-Busch verkauft wurde, um eine Feuer spritze zu beschaffen. Wie bedeutungsvoll war da ein Gang ins Niedergericht oder Obergericht, um in Versammlungen Neuigkeiten zu hören oder zu beschließen! Blättern wir weiter. Daß ein solcher Kalender „Ge schichte" selbst erzählt, haben wir jetzt erfahren. Nach den Monaten kommen die üblichen „Tariffa", wie Hoch ein Pfund komme, „wenn der Ccntner für 1, 2, 3 und mehr Thaler eingekauft". Wie merkwürdig: Kostet 1 Centner 1 Thaler, kommt das Pfund 2 Pf. 1 Hl., bei 14 Thlr. (pro Ctr.) ein Pfd. 3 Kr.! usw. — „Tariffa, wenn das Pfund fiir 3, 9, 21 Gr. oder Thaler eingekauft wird, wie hoch das Loth komme." Kostet 1 Pfd. 1 Thlr., kommt das Loth 9 Pfg.! (nun rechne weiter!) Die Jnteresse-Rechnung (Zins- Rechnung auf Jahr, Monat und Woche) fehlt auch nicht. 5 und 6 von Hundert ist Prozentsatz. 5 von 100 von 1 Thlr. macht jährlich Gr. Pf. Hl.: 1.2.0. Von 10 Thlr. im Ihr. 12 Gr. 1 Hl. Zinß! Wie muß da einst ein „Schulrechen- Luch" ausgesehen haben! Nun folgt ein Calender-Anhang auf das Jahr Jesu Christi 1808. Dann ein amtlicher Abdruck des Kurfürsten Friedrich August vom 30. Oktober Auuo 1773. Diese 1)4 Seiten lange Verordnung betrifft „Ihrer Churf. Durchl. zu Sachsen etc. etc. Mandat wegen des Verkaufs und der Stempelung derer Calender in Dero gesammten Landen." Interessant berichtet dieses Schreiben von den Kalender verboten und Stempelgeldern von 1708, 1718 und 1774/75. Die neuen Bestimmungen jedenfalls setzten unter anderem fest, daß 1. sämmtliche in Chursächsischen Landen zu Debi- tirende in- und ausländische Calender zweymal auf dem Titelblatt und „wo sich der Monat December schließet", roth und nicht schwarz, in Leipzig zu stempeln seien. 2. Daß Käufer oder Verkäufer ungestempelter Kalender um 1 Thaler von jedem Stück bestraft würden. 3. Daß niemand als denen Buchdruckern und Buchbindern in Städten der Calenöerhandel gestattet sei, aber dargegen solcher denen Hausirern, Rahm- und Butterkrämer die Debitirung aller und jeder Calender bei Confiscation dererselben und Fünf Thaler Strafe, oder, nach Befinden, Gefängniß und „ande rer nachdrücklichen Bestrafung" hiermit gänzlich untersagt und verboten sei! Unser vorliegender Kalender „scheint" auf dem No vemberblatt gestempelt zu sein. Der aber von 1823 weist deutlich den „rothen Stempel" auf besagten Blättern auf, nur nicht mehr leserlich. Nach diesem kurfürstl. Schreiben steht vom treuen Chronisten der Abschluß: „Die Ausgabe, was hier im Calender angemerkt ist, beträgt sich auß 10 Rthl. 20 Gr. 9 Pfg. mit Steuern, mit allen und jeden Ab gaben, alles was hier angemerkt ist." Da vergleichen wir betrüblichen Herzens nachdenklich unsere heutigen Jahres steuer- und Abgabensummen! Und nennen die Zeit vor über 100 Jahren eben immer wieder „die gute alte Zeit". Was bringt das historische Büchlein nun zur Erbauung und Belehrung? Da steht es: „Neunte Fortsetzung der Natur-Geschichte, besonders der Löwe und die Löwin, in gleichen die Fortsetzung der Beschreibung von Egypten, dieses weiland so berühmten Landes, wie auch Übersicht der politischen Merkwürdigkeiten in Sachsen vom achtzehnten Jahrhundert. Nebst der Darstellung der feyerlichen Sal bung und Krönung des Kaisers von Frankreich Napoleon, und seiner Gemahlin, zu Paris am 2ten December 1804. Nebst einem Kupferstich." Der Kupferstich zeigt die Pariser Feierlichkeit. 8 volle Seiten erzählen von dem Bedrücker des Deutschen Landes, wie von einem Freunde des Vaterlandes, alle Einzel heiten! Zuletzt folgen lustige Erzählungen und Gedichte im kurzen Anhang. Ein „Punschlied" beginnt: „Trinkt,