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funden sein, in welcher wir zu Rosenthal die Gottes gebärerin verehren? Allerdings ist es mir bis jetzt nicht gelungen, über das Jahr der Auffindung etwas in Erfah rung zu bringen, noch zu lesen. Aber diese geschichtliche Frage ist nicht von so großer Bedeutung, daß ich es des wegen für nötig halten sollte, mich in trügerische Ver mutungen einzulassen. Dafür, daß sie trotzdem längst und vielleicht vor einer recht ansehnlichen Zahl von Jahr hunderten gefunden worden ist, möge vielleicht auch das zum Beweise dienen, daß ein gewisser Senecio, der 117 Jahre alt 1885 in der Pfarrei Crostwitz aus diesem irdischen Leben geschieden ist, von keiner Zeit wußte, in welcher jenes berühmte Bild unbekannt gewesen wäre. Was nun die Örtlichkeit anbetrifft, ist mir schon da mals, als ich das Kinderkleid noch nicht abgelegt hatte, öfter die alte Überlieferung der Vorfahren erzählt worden, die sich bei den meisten allgemeiner Zustimmung erfreut, daß sie bei Gelegenheit einer Jagd von einem Vornehmen aus der nächsten Nachbarschaft in einer Linde gefunden worden sei. Solch wertvolle Geschenke hat die Jagd der Lausitz gespendet. So hat ja auch die Jagd das „M arten- stern" benannte Jungfrauenkloster eingebracht. Ebenso hat nun die Jagd die M a r i e n st a t u e, jenes köstliche Werkzeug der göttlichen Güte geoffenbart. Und an einem solchen Sachverhalt ist auch nicht im mindesten zu zweifeln. Was nun im folgenden noch beigefügt ist, mag wahr scheinlich sein, entbehrt jedoch einer zuverlässigen Grund lage. Diese hat ohne Zweifel die Kriegsgöttin, die Kein- ! din aller geschichtlichen Denkmäler, vernichtet mit allen ' übrigen Urkunden und Akten dieses hochberühmten Ortes. : Ob es nicht vielleicht in der privaten Familicnüberliefe- ; rung jenes edlen Geschlechtes noch verborgen ist, aus wel- > chem Hause jener seinen Ursprung hergeleitet hat? Wenn > nicht, so haben eben die neidischen Kriegsfackeln, die Zer- i störer ehrwürdiger Zeichen der Vorzeit, auch solche Fami lienaufzeichnungen in Asche verwandelt. Jedenfalls wird die Nachwelt darin ein großes Verdienst erkennen, wenn es jemandem gelingen sollte, aus einheimischen Quellen oder anderswoher eine authentische Nachricht von dem ersten Auftauchen der aufgefundenen Statue ausfindig zu machen. Nun aber will ich in kurzen Worten darlegen, was ich zu Prag aus einer Handschrift gelesen, die ich von einer hochverehrten Person meines Bekanntenkreises erhielt: „Durch die Mühe aller Geschichtsschreiber ist es zu aller Ohren gedrungen, daß dem Kaiser Karl, dem seine hochberühmten Taten den Beinamen des Großen einge bracht haben, mit dem König Wittekind aus dem Sachsen lande Krieg geführt hat,- bis Wittekind endlich, nicht so sehr wegen seiner kriegerischen Tapferkeit, vielmehr wegen sei ner Tugendhaftigkeit zu Bewunderung für Karl hin gerissen und sich ihm freiwillig unterworfen habe. Bald wandte sich Wittekind und das ganze Sachsenland zum römisch-katholischen Glauben und zum Gehorsam unter dem römischen Papste, der Karl den Großen ums Jahr 800 mit der Kaiserkrone schmückte, nachdem das abend ländische Reich durch mehrere Jahrhunderte das Fehlen des Oberhauptes beklagte. Während jenes ungefähr 80 jährigen Krieges war es allenthalben nötig gewesen, je nach Erfordernis der Kriegslage, die Lagerplätze öfters zu wechseln und zu ver legen. Die fast verwischten Spuren davon lassen sich so wohl an mancherlei Orten als auch heute noch besonders in der Lausitz beobachten. Und dazu gehört auch jenes Lager — ich stütze mich auf jenes Zeugnis des Manuskripts —, welches die Kaiserlichen Truppen im Bezirk von Ostro, nahe bei Marienstern, abgesteckt hatten. Dort kann man ein Bollwerk seine Schanze) sehen, in welchem, wie glaubhaft erscheint, jene Statue der heiligsten Jungfrau, die wohl in Frömmigkeit von einem zum Heere Karls gehörigen Kriegsmann verehrt worden war, nach dem Abzug des Heeres zurückgeblieben sein mag. Es waren ohne Zweifel die erprobten und von Verrohung fern sich haltenden Hel den des Kaisers, ganz von -er Überzeugung durchdrungen, wie sehr die Verehrung der heiligen Gottesgebärerin bei trägt und mithilft zum Siege. Auch Narses, ein hoch berühmter Feldherr der Vorzeit, schrieb in Dankbarkeit alle Triumphe ihr zu. Auch den ruhmreichen Einzug des Komnenenkaisers hat eine Statue derselben allerseligsten Jungfrau verherrlicht, welche nach dem Siege auf einem Kampfwagen gestellt, von schneeweißen Rossen gezogen, vor dem ganzen siegreichen Heere prangte, vom Kaiser selbst zu Fuß begleitet. (Siehe Baronius zum Jahre 553.)" Eine ähnliche Meinung finde ich in dem zu Brünn am 25. November 1661 vom hochwürdigen Pater Georg Molitor ausgezeichneten Briefe, wo er so anfängt: „Im Alter vorgerückte Männer berichten, wie sie es in fortlaufender Überlieferung von den Groß- und Urgroß vätern erfahren haben, daß die Entstehung dieser wunder baren Statue folgende sei: Ohne Zweifel hatte ein Kriegs führer (den Namen wissen sie nicht) an einem nicht weit von Rosenthal entfernten Orte den Lagerplatz abgesteckt (die Spuren des Lagers sieht man noch heute), zu derselben Zeit gewahrte man zum ersten Mal eine Frau von könig licher Majestät um das Lager und nach Abzug des Heeres dieselbe Frau von himmlischer Schönheit um die Felder und Wiesen gehen. Endlich, als der Edle Herr Luzian von Sernan auf seinen Gründen jagte, erblickte er die selbe Frau. Jener wollte wissen, wer sie sei, gab dem Pferde die Sporen und suchte in schnellem Lauf sie einzuholen. Aber vergebens. Sie blieb in einem bestimmten Abstande von ihm entfernt. Als er sie bis zum Hügel oberhalb Rosenthal verfolgt hatte, dort unter der Linde, die noch jetzt vor der Kapelle der wunderbaren Jungfrau steht, entschwand die Frau seinen Augen. Jener erhob die Augen und sah auf der Linde die Statue der heiligen Jungfrau." So kurz das Bruchstück des von Brünn nach Klein- Prag gesandten Briefes. Die von Ticinus vorgetragene und auf den Brief des P. Molitor gestützte Erklärung über die Entstehung des Wallfahrtsortes Rosenthal ist nur dahin zu berichtigen, daß ein kaiserliches Heer nicht zur Zeit Karls des Großen, sondern Heinrich des Ersten (919—936) bis in diese Gegend vorgedrungen ist. Damit stimmt die Tatsache über ein, die P. Alexander Hitzs chfel in seiner Chronik von Marienstern anführt, wonach die Wenden 931 bei Tätschmitz (in der Nähe von Wittichenau) von Kaiser Heinrich den Hauptschlag erhielten. Der ge naue Zeitpunkt der Auffindung der also in den 20 er Jahren des 10. Jahrhunderts aufgestellten Marienstatue durch den Edelmann Luzian von Sernan konnte bisher nicht festgelegt werden. 1264 wurde neben der Linde eine Gnadenkapelle aus Holz errichtet (siehe Beisel „Wallfahrten zu Unserer Lie ben Frau" S. 384). Unhaltbar ist demnach die andere ver tretene Ansicht, die die Entstehung des Wallfahrtsortes durch eine Wanderung des Gnadenbildes hierher im Re formationszeitalter zu erklären sucht. Dieses soll sich vor dem in einer Kapelle inmitten des großen Taucherwaldes nördlich von Bischofswerda befunden haben und dann nach Uhyst und Göda gekommen sein, von wo es der Pfarrer Temmler mit nach Crostwitz genommen habe. (Siehe Senfs: „Reformationsgeschichte von Stolpen 1719",- ferner Christian Knauthen: „Der Oberlausitz umständliche Kirchengeschichte 1767" u. a.) Diese irrtümliche Meinung, die durch mittel alterliche Erwähnungen des Wallfahrtsortes Rosenthal widerlegt wird, ist zum Teil dadurch zu erklären, daß der Ruf Rosenthals als Gnadenort im 16. Jahrhundert be sondere Verbreitung erfuhr. Es ist auch bezeichnend, daß diese von Senfs und Knauthen geäußerte Ansicht nie Ein gang in das Volk gefunden hat, obwohl ihre Geschichte in deutscher Sprache abgefaßt ist und so den weitesten Kreisen