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Leibes- und Lebensstrafen im mittelalterlichen Zittau Vortrag des Herrn Referendar Mitter im Geschichts- und Museumsverein Der geschätzte Redner modifizierte sein am 18. Januar im Ratskellersaale behandeltes hochinteressantes Thema in dem Sinne, daß er über die mittelalterlichen Grundsätze des Strafvollzugs sprach, die vom materiellen Strafrecht nicht zu trennen sind. Damals waren Rechtsprechung und Urteilsvollstreckung auf der sogenannten Vergeltungs theorie aufgebaut. Der Zweck der Strafe war ein drei facher. Sie sollte erstens den Verbrecher mit gleicher Münze das entgelten lassen, was er selbst begangen hatte, zweitens ihn unschädlich machen und drittens durch die Art der Strafe und ihres Vollzugs auf andere abschreckend wirken. Um dieses letzte Ziel nicht hinfällig zu machen, mußte die Urteilsvollstreckung in allen Fällen öffentlich erfolgen. Freiheitsstrafen im Sinne unserer Zeit kannte man damals noch nicht. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Anschauungen vollständig gewandelt,- die heutige Rechtsprechung bekennt sich grundsätzlich zur Besse rungstheorie, die auf den verurteilten Verbrecher nicht mit körperlichen, sondern mit geistigen Mitteln wir ken will. Es soll ihm die Möglichkeit nicht entzogen wer den, nach Verbüßung der Strafe wieder ein vollwertiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden. (Daß dieses humane Ziel wirklich in allen Fällen erreichbar wäre, ist freilich wohl nicht über jeden Zweifel erhaben.) Von ganz außerordentlichem Interesse ist der Ver gleich, in welchem Verhältnisse sich die der Nachwelt über lieferten Kriminalfälle auch auf die einzelnen Gattungen von Rechtswidrigkeiten verteilen. Nach chronistischen Zit tauer Aufzeichnungen entfallen in den Jahren 1414 bis 1526 auf 100 verübte Verbrechen nicht weniger als 62 Fälle von Mord oder Totschlag. Dieser ungeheure Anteil der Verbrechen gegen Leben und Gesundheit der Mitmenschen ist im wesentlichen auf den Umstand zurückzuführen, daß bis zum Jahre 1635 jedermann in Zittau bas uneinge schränkte Recht des Waffentragens besaß. Soweit sich die Herrschaft des Zittauer Stadtrats erstreckte, waren Bürger und Bauern sogar verpflichtet, Waffen zu besitzen. Daß der Chronist die Gefährlichkeit dieser Zustände durchaus er kannte, beweist seine Anregung, die in Betracht kommen den Gemeinden möchten die in ihrem Bezirk notwendigen Waffen in behördliche Verwahrung nehmen. An zweiter Stelle standen die Eigentumsvergehen. Zur Zeit des 30- lährigen Krieges ging die Zahl der schweren Diebstähle vesonüers stark in die Höhe. Da bas im Umlauf befind liche Bargeld durch die Kipper und Wipper im Wert? empfindlich vermindert war, richtete sich das Trachten der Herren Spitzbuben namentlich auf wertvolle Gebrauchs gegenstände des alltäglichen Lebens und auf Kirchengeräte. Bevorzugt wurden natürlich die aus Edelmetallen be stehenden Dinge. Verhältnismäßig selten dagegen hatte sich die Rechtsprechung mit den sogenannten intellektuellen Verbrechen sBetrug, Urkundenfälschung und dergleichen» zu befassen. Stärker aber waren die Verstöße gegen die Sitt lichkeit vertreten. So entfielen zum Beispiel auf Ehebruch in 300 Jahren 400 bekanntgewordene Fälle. Die schuldig befundene Frauensperson wurde in den frühesten Zeiten mit dem Tode bestraft. Später wurde dann auf Pranger stehen erkannt, was oft mit barbarisch harter körperlicher Züchtigung verbunden war. Die erste Staupsäule wurde in Zittau um die Mitte des 15. Jahrhunderts errichtet. Noch später, zu Anfang des 17. Jahrhunderts, wurden diese Vergehen unter dem Drucke religiöser Anschauung der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen und dem System der Kirchenstrafen unterstellt. Die des Ehebruchs über führten Personen wurden unter besonderer Namhaft machung gezwungen, in der Reihe der Kommunikanten an letzter Stelle anzutreten. Mädchen, die sich vor ihrer Ver heiratung Verstöße gegen die Sittlichkeit zu Schulden kom men ließen, mußten bei der Trauung einen Strohkranz tragen. (Dieses Motiv hat der kürzlich verstorbene Heimat dichter Wilhelm Friedrich in einem seiner wirkungs vollsten Volksschauspiele verwendet.) Kindesmörderinnen wurden ursprünglich hingerichtet, indem man ihnen einen Pfahl durchs Herz trieb. Doch wurde das Pfählen bei lebendigem Leibe durch die hochnotpeinliche Hals- und Gerichtsordnung Karls des Fünften, die sogenannte Con- stitutio Carolina criminalts, verboten. Mordfälle wurden durch Enthauptung mit dem Schwerte geahndet,- Hinrichtungen durch das Beil sind nicht bekannt geworden. Totschlag konnte durch Buße ab- gelösr werden. In anderen Fällen legte man den Täter in den Stock und entließ ihn nach Zahlung eines Wehr geldes. Gewöhnliche Diebe mußten ihr Vergehen gewöhn lich am Galgen büßen,- Kirchenräuber dagegen verfielen dem Richtschwert und wurden dann gerädert, während der Kopf auf einer neben dem Rade stehenden Stange befestigt wurde. Brandstifter, die den Verlust von Menschenleben auf dem Gewissen hatten, wurden entweder lebendig ge rädert oder auch gevierteilt. Die erstere Art der Straf vollstreckung kam aber um 1600 nur noch ganz selten vor. Über die gesellschaftliche Stellung des Henkers be richtete der Vortragende, daß sein Gewerbe als zünftig und ehrsam galt, solange er ausschließlich als solcher beschäftigt wurde. Es war ein Vorrecht der Fleischer, daß der Posten mit einem der Ihrigen besetzt wurde. Sie gaben dieses Privilegium jedoch sofort auf, als der Henker zwangsweise mit den Geschäften des Schinders oder Kaltschlächters be lastet wurde. Von diesem Augenblick an galt der Henker als unehrlich und wurde demgemäß behandelt. Besondere Weiterungen traten ein, wenn einmal zufällig kein Hen ker verfügbar war. Ein solcher Fall ereignete sich in Zit tau um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Man hatte fünf gefangene Diebe zum Tode verurteilt und wußte sich nicht anders zu helfen, als daß von den fünf jüngsten der Schöppen, die an der Fällung des Urteils beteiligt waren, je einer der Spitzbuben ins Jenseits befördert werden mußte. Anderwärts ist sogar wiederholt der Fall einge treten, daß nach dem Grundsätze „Der Geschädigte hat die Strafe zu vollziehen" Ehefrauen vom Gericht gezwungen wurden, das Todesurteil gegen den Mörder ihres Gatten persönlich zu vollstrecken. Die letzte Hinrichtung in Zittau ist im Jahre 1826 erfolgt. Im letzten Teil seines außerordentlich fesselnden Vor trags erörterte der Redner die Frage, wo sich die Zittauer Richtstätte befand und kam zu dem Ergebnis, daß ver schiedene Örtlichkeiten dafür in Betracht kommen. Die ur sprüngliche Anlage befand sich weit außerhalb der da maligen Stadt in der Nähe des heutigen Neißebades, wo 1366 ein fester Galgen errichtet und 1775 ein „Rabenstein" erbaut wurde. Diese Stätte konnte aber in unruhigen Zeiten aus Sicherheitsgründen nicht benutzt werden, und so wurde dann ein Platz am östlichen Ausgang der Ham- merschmiedtstraße in der Nähe der Friedhofsmauer be nutzt. Adelige Verbrecher wurden auf dem Marktplatz vor dem Rathaus hingerichtet, und auch die Neustadt hat ge legentlich die Rtchtstätte abgegeben. Am Schluffe seiner mit großem Beifall auffgenommenen Darlegungen nahm der Vortragende gegen die Meinung Stellung, daß der Straf vollzug im mittelalterlichen Zittau besonders grausam ge wesen sei. Bruno Reichard. Das Dezugsgeld für die „Heimatzeitung" ist stets im Voraus oder zu Beginn eines jeden Vierteljahres zu entrichten. Die Einzahlungen können an dir Geschäftsstelle oder aus Postscheckkonto Amt Leipzig Nr. 275.34 erfolgen,