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Ar. 3 Oskar Schwär, der Dichter der Oberlausitz Von Hans Christoph Kaergel Wenn wir eine Landschaft in ihrem tiefsten Sinne er leben wollen, genügt es nicht, über ihre Berge zu wan dern, in Tälern zu rasten, im Walde die Stille zu behor chen und mit Blumen und Gräsern Zwiesprache zu hal ten. Das letzte Tor wird uns nicht aufgetan. Da begegnet uns ein Mensch. Schon in seinem Antlitz finden wir in einem merkwürdigen Symbole die eben durchwanderte Landschaft wieder. Nun er aber mit uns spricht, langsam mit uns wandert, wird sein Herz warm und er offenbart sich uns, wie er ist. Und nun wissen wir alles von seiner Erde, seinen Wäldern, Bergen und Tälern, ja sogar von seiner Heimat. Es braucht nicht immer ein Dichter zu sein, aber es muß einer sein, der die Grenzen seiner natürlichen Ein samkeit überschreiten kann, der den Mut noch hat, sich zu verschenken. Das wird der stille Dichtersmann vor allen am leichte sten können. In einem Dichter, der aus seiner Heimat tritt, wird die Heimat sich am reinsten offenbaren. Wer die Oberlausitz mit all ihrer heimlichen Verhaltenheit, mit ihrer Schönheit finden will, die sich nicht nach außen ver schenkt, sondern nach innen leuchtet, der begegne nur ein mal dem Lausitzer Oskar Schwär. Das darf beileibe nicht auf einer belebten Straße sein. Nein, ganz still muß man ihm begegnen und vor allem etwas mitbringen, was die Menschen heut meist verloren haben: Zeit! Wenn man zu den Glücklichen gehört, die noch Zeit haben, soll man zuerst bei Schwär anklopfen. Dann wird es geschehen, daß er anhebt zu erzählen. Ganz schlicht. So, als bliebe er irgendwo auf einem Felde stehen und zeige mit der Hand über weite, aufgerissene, dampfende Acker furchen nach blauen Fernen. Alle Dinge werden sichtbar. Die Welt wird immer wirklicher, immer klarer. Es gibt keine Geheimnisse, keine phantastischen Gesichter, die wie Nebelspuk zerrinnen. Alles wuchtet erdenfest um uns. Und wir schreiten buchstäblich über die Erde. Das Wunder nur bleibt, daß bei diesen ganz klaren Erzählungen hinter uns doch ein unheimlicher Spuk auf steigt. So denke ich eben an „Bastian Krause". Wir sind in seinen alltäglichen Verrichtungen. Hundertmal hat er Holz im Schnee abgefahren. Wir schirren die Pferde mit an. Jeder Griff des Fuhrknechts ist uns vertraut. Und doch geht es in einer uns den Atem raubenden Selbst verständlichkeit in ein Schicksal hinein, das uns mitum krallt. Zuletzt, da Bastian Krause von der einfachen, ihm und uns selbstverständlichen Pflicht erschlagen wird, möch ten wir von dem Unbegreiflichen, was wie ein Schatten hinter uns aussteht, laut ausschreien. Hier bin ich nun bei Schwärs Geheimnis. Die heim liche Macht, die uns nicht mehr freigibt, kommt aus dem schlichten tatsächlichen Miterleben. Bisher galt Wilhelm von Polens in all seiner natura listischen Treue als der Dichter und Verkünder der Ober lausitz, ihrer Erde und ihrer Menschen. Er hat, wie Schwär, jene Verhaltenheit in der Sprache, die ans dem Atem der ansgerissenen Scholle strömt und ihn bannt. Aber man fühlt, daß er sich zur Erde und den Menschen herabbeugt. Er steht mitleidend unter ihnen. Er sieht das zermalmende Elend, er nimmt es und versucht es mit auf seine Schul tern zu nehmen. Der Edelmann Polenz müht sich, unter Bauern, Pfarrern, Förstern, Städtern, Arbeitern ein heimlicher Führer zu sein, ein wirklicher Edelmann, der das Leiden der Menschen mitleidet. Das wird immer das Bild dieses oberlausitzer Edelmannes bleiben. 43 Anders Oskar Schwär! Er hat gar kein Mitleid, er neigt sich zu niemanden hinab. Er führt nicht. Er ist ein fach der Bauer selber. Er ist Bastian Krause, der sein Leben eher wegwirft, als die Pflicht zu verletzten. Er rächt seine Schuld, wie der Bauer im „Auszug". Er ringt selber als Vater um seine Freiheit wie der alte Freibauer in den „Alten". Und die „Selige Magd" ist kein fremdes Weib, das er in feiner Heimat schaute, sondern seine Sehn sucht selber, die durch dienende Liebe den Himmel er werben will. Schwär will nichts sein, er ist der einfache Mensch seiner Heimat. Und das ist die herrliche Macht, die von all seinen Schriften ausgeht. Man tritt ganz persönlich dem Menschen gegenüber. Man fühlt es auch, ohne es zu wissen, daß der Dichter ein Dorfkind ist. Er ist kleiner Leute Kind. In Dürrhennersdorf, in Lübaus Nähe, steht das kleine Haus, in dem er am 11. Januar 1890 den ersten Schrei tat. Hier krückt sich noch heut, auf dem krummen Rücken die Last, der alte Vater als Handelsmann durchs Dorf. Und was ein oberlausitzer Dors an Menschen be schert, gab es auch für ihn. Er verbiß sich die Freuden und wurde mit den Sorgen auch fertig. Von hier aus, von diesem ganz schlichten bäuerlichen Mtterleben geht seine Welt. In diese enge Stube trat Gott nicht im Paradies kleide, sondern kam als Arbeitsmann. Die Pflicht, für den anderen zu leben, war die einzige Gottesoffenbarung. Kein Wunder, daß es in seiner Welt nur diesen ein fachen, klaren Weg zu Gott gibt. Er ist in seiner Erde, in Tieren und Menschen. Er geht keine krummen und dunk len Wege. Er hat nur einen Weg: Tue deine Pflicht! Wenn man sich nur einmal aufmacht, um in Schwärs ein fache Welt zu wandern, wird es einem immer bewußter, wie unmittelbar das Wort zu einem spricht. Mit den „Mummelswalöer Geschichten" begann er. Hier war er von seinen eigenen Geschichten noch zu abgerttckt. Die Ver haltenheit, sagen wir die wahrhaft bäuerliche Scham, die das Letzte im Menschen nicht offenbaren will, hielt ihn zurück. Es sind schon echte Gestalten, aber er selber bleibt draußen. Bis er sich in seinen Novellen „Der Vater" und „Mothig" ganz seiner Heimaterde in die Arme wirft und als Kind dieser Erde sich selber offenbart. Freilich, was das Leben aus ihm gestaltete, das wuchtete er erst in seinen schollentreuen Romanen in die Welt. „Die selige Magd", oder, wie er seinen Roman in der dritten Auflage nannte: „Zum geharnischten Ritter", ist sein schlichtes Menschen- und Glaubensbekenntnis. Wie diese Magd in Überwindung all ihrer persönlichen Sehn sucht und Anforderungen an das Schicksal einfach aus höch ster Liebe dient, und dienend sich opfert, das konnte nur einer mit so leidenschaftsloser, völlig erdhaften Ergeben heit gestalten wie Schwär, der auch den Sack des Schick sals vollgestopft auf den Rücken nahm und trug. Wer diese Magd nicht liebt, dem ist nicht zu Helsen, der weiß nicht, daß in jedem Menschen, auch im einfachsten, der Himmel anfängt. Ich liebe es als ein schlichtes Bekenntnis eines zum Höchsten berufenen Menschen. Mit dieser Magd ging Schwär den geraden Weg, der zur Offenbarung des Göttlichen führte. In der Sammlung „Im Banne der Scholle" stehen die Menschen, die Kreuz träger dieser Idee wurden und seine kleine Erde ins Weite wuchteten. Bastian Krause und der Bornkandlerbauer sind in ihrer Schicksalsverkettung symbolische Menschen gewor den, die die Schwere ihrer Erde tragen. Man muß an die russischen Menschen Tolstois denken, die allein diesen erd geketteten Menschen gleichen. Diese Angleichung des ober lausitzer Menschen an den Mythos der Erde ist eigentlich erst durch Schwär uns bewußt geworden. Sie ist so stark, daß der Mensch sein Leben oder sein Schicksal ohne Er schütterungen in einer Verbindung mit dem Kommen und Gehen in der Natur gestellt hat. Oderlaufitzer Helmatzeltung