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dächtnis nicht trügt, war es jener Dunghaufen auf meines Onkels Hofe, wo ich ihn verscharrte . . . Das Gewissen hat mir lange keine Ruhe gelassen, und lange konnte ich das Schießeisen nicht ersehen, geschweige denn, es wieder in die Hand zu nehmen. Auf dem Anstaud Jugend vergißt. Und so erholte auch ich mich wieder und gewann langsam die Überzeugung, daß ich trotz jenes Starenmordes noch nicht das verworfenste Geschöpf au'f Gottes Erdboden sei, ja ich brachte es fertig, im Spätherbst einmal gegen Abend mit auf den Anstand zu gehen, als ich gemeinsam mit meinem Vetter von meinem Onkel aus der Stadt aufgefordert wurde. Sogar unser „Gewehr" mußte wieder mit; ich glaube, es war der Desching. Was das Ding eigentlich draußen sollte, wußten wir wohl selbst nicht; es mochte sein, daß es uns einen „würdigen" An strich gab. Wir kriegten sogar einen besonderen Posten für uns, das heißt, der Onkel konnte so unruhige Geister, wie zwei Jungen es sind, in seiner Ecke natürlich nicht gebrauchen. Er steckte uns an eine Stelle, wo das Feld an drei Seiten von Gebüsch umschlossen war, und gab uns genaueste An weisungen für die Beobachtung und Verhaltungsmaßregeln auf Posten. Bon den zwei inneren Waldecken wurde die jenige ausgesucht, die die Richtung des fast unmerklicheu Luftzuges erheischte. Es war schon reichlich spät; jedenfalls meinte der Onkel, wir hätten Glück, wenn wir heute noch etwas zu Gesicht bekämen. Wir zwei waren natürlich von vornherein davon überzeugt, daß alles Bemühen zwecklos sei und verhielten uns danach. Offen gesagt, es gab schon damals bei uns so wenig Wild, daß man es ruhig hätte in die Zeitung setzen lassen können, wenn man einen Hasen sah, ohne sich dadurch allzu lächerlich zu machen. Mithin: übermäßig ruhig waren wir nicht in unserer Ecke. Und siehe da! Wir sollten gar nicht allein bleiben mit unsrer Zappelei. In Laub und Geröll jenes Steinwalles, der sich zwi schen Wald und Feld hinzog, lebten noch andere unruhige Geister. Wir mochten etwa ein Viertelstündchen gesessen haben, da raschelte es in den dürren Buchenblättern nicht weit von unseren Füßen. Ein Mäuschen guckte mit seinen klugen Augen umher. Die Überlegung war kurz: Mäuse sind schädliche Tiere, Mäuse sind jagdbares Wild, wenn man einen Desching bei sich hat; ob wir einen Hasen sehen oder nicht, kann uns persönlich schnuppe sein, höchstens dem lie ben Onkel nicht, aber es ist sowieso mit ueunnndneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir keinen sehen; also los! Ich weiß nicht, gab ich den ersten Schuß ab oder mein Vetter. Jetzt, da ich vom Schießen erzähle, bin ich mir auch wieder unsicher, ob es nicht die Lustbüchse war, die wir bei uns hatten, aber das ist schließlich gleichgültig: irgendeiner von uns beiden gab jedenfalls den ersten Schuß aus irgendeinem der beiden in Frage kommenden „Gewehre" ab und — traf die Maus. Kein Wunder: drei Schritt Entfernung, dazu den Lauf in einer Gabel des stämmigen Gesträuches festgelegt; wenn nicht das Blei, so mußte doch wahrhaftig der Luftdruck des Geschoßeinschlages wirken, vorausgesetzt, daß man nicht ganz ins Blaue ge pulvert hatte. Also — die Kugel saß, und wir saßen bei nahe auch wieder, aber — da war schon das zweite Mäus chen da. Jetzt kriegte der andere die Büchse und — plauz! saß der zweite Schuß ebenso sicher. Schneller aber, als ein Gedanke gedacht ist, guckte jetzt an der gleichen Stelle das dritte Tierchen. Nummer eins kam wieder dran. Das gleiche Spiel, das gleiche Erlebnis. Dann war Totenruhe. Drei kleine Leichen lagen blutig zwischen vermodertem Laub und Steingeröll. Drei niedliche kleine Tänzer, zier liche und possierliche Dingerchen, mit einem feinen schiefer blauen Kellchen, mit clfenbetnwetßen Zähnchen, fast über ¬ zarten Pfötchen und —. Die klugen, zutraulichen Augen, so arglos, so treuherzig, so kindergut —: wie lange würden sie mich wieder verfolgen? Wie jener schwarze Vogel, wie . Schon jetzt ließen sie mir keine Ruhe. Eben noch war uns das Schießen ein Spiel gewesen, ein Spiel —, ein grausames Spiel, solches Spiel mit dem Leben; und jetzt wuchs wieder das Gespenst des Mordes ans dieser umgeschlagenen Freude, wuchs groß, schaurig und drohend, und das Grausen schlich durch den abendlichen Wald in meine Seele und mit ihm die Reue. Ich sah es ein: nie würde ich dazu berufen sein, mit der Waffe durch Wald und Feld zu streifen. Der Schuß nach dem Eichelhäher Der Mensch macht gar zu gern Versuche in den Din gen, wo er ein Stümper ist, zumal in der Jugend traut er sich das Unmöglichste zu. So ging es mir auch. Eines Tages nämlich war es so weit, daß ich einmal das Jagdgewehr probieren sollte. Das war zu einer Zeit, da es verhältnismäßig viele Krammetsvögel oder Ziemer, wie wir sie nannten, bei uns gab. Also eine wirkliche Büchse und ein wirkliches jagdgerechtes Wild! Da stehen einem doch die Ohren noch einmal so steif als dem gewöhnlichen Sterblichen! Aber wie oft kommt es im Leben so ganz anders, als man denkt! — und das sollte auch mir nicht viel besser ergehen. Denn erstens bekamen wir keinen Ziemer zu Gesicht. Es war wie verhext; alle Ebereschen- ' bäume waren leer, und in jeder Buschecke kreischten die I Eichelhäher, „Nieser", wie sie in der Dorfsprache genannt i wurden. Jeder Junge kennt sie wegen ihrer wundervollen kleinen Flügelfedern, die wie aus schwarzen und emaille blauen Porzellanplättchen zusammengesetzt aussehen. Na ja, ich fand mich schon im stillen damit ab, daß ich statt der erhofften Ziemer am Ende unsres ergebnislosen Rund ganges einen der scheuen Häher aufs Korn würde nehmen müssen. Und dann, ja — es kam noch viel schöner! Mir schien es, als seien selbst diese Biester heute scheuer als an ande ren Tagen, und es war ein Wunder, daß ich überhaupt den Kerl, der endlich einmal sv gnädig war, nicht fort- zufltegen, durch die vielen Bäume hindurch sehen konnte. Also denn! Kolben vorschriftsmäßig fest in die Schulter! Ziel! — Halt! Die große Birke paßt vortrefflich als Stütze für die Hand. So! Noch einmal von vorn! Atem ruhig! Jetzt sitzt —, nein, noch nicht! Aber jetzt, sv —! Noch ein bißchen tiefer! Jetzt sitzt er drin. Abzug! Plauz! Die Mün dung fliegt in der Gegend herum und beschreibt eine Kurve wie ein Zirkel, dessen fester Fuß beim Beginn des Zeich nens aus dem Mittelpunkt springt. Mir war in diesem Falle der „feste Fuß" aus der Schulter gesprungen und hatte mir eine derbe Ohrfeige versetzt. Ich prustete wie ein Halberstickter. Raus mit der Luft! Das war höchste Zeit! Nun konnte man wenigstens wieder anständig atmen! Aber eine Weile sah ich überhaupt nichts als das Wölkchen von dem „rauchlosen" Pulver, dessen Rüchlein mir in die Nase stieg, und lauter Mündungen in der Luft, die ganz selt same Kurven zusammenfuchtelten. Endlich kriegte ich weg, daß der Eichelhäher nicht mehr auf dem Baume saß, son dern von irgendwoher aus der Ferne frech und höhnisch „meckerte". Man sieht, es ist nicht so leicht, den ersten Schuß aus einem wirklichen Gewehr abzufeuern, und, wenn er auch nur ins Blaue gejagt wird. Jedenfalls war ich nach aller Anstrengung stolz auf die Leistung, überhaupt losgedrückt zu haben. SU In Nr. 2 der „Gbsrlausißer Heünatzsitung" lag sine Zählkarte für dis Dszishsr bei Wir bitten, dieselbe zur Begleichung der seht noch ausstehenden Dezugsgebühr zu verwenden. 8 > Geschäftsstelle der GHA.