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daß es ein Vogelbauer war. Wir hatten zunächst zwar keine Verwendung für ihn, aber der Vogelbauer war jedenfalls da. Plötzlich kam uns eines Tages die Erleuch tung. Es war wohl, wenn ich mich recht entsinne, in der Osterzeit, so gegen Gründonnerstag. Die Luft war erfüllt von jenem regenfeuchten Dunst, der das Grün aus den Wiesen lockt und die Blattknospen schwellen läßt. Der frische Misthaufen auf dem Hofe meines Onkels, des Bauern, dampfte, daß es eine Lüft war, ihn anzusehen. Ein frischer Misthaufen bildet immer einen besonderen Anziehungspunkt, und so hatte denn der Misthaufen auf dem Hofe meines Onkels an diesem Tage vor den Mist haufen auf den Höfen der anderen Bauern etwas voraus. Nicht nur der Hahn mit seinem Htthnervolk stand auf den Wällen dieser qualmenden Bastion, um nach fettem Ge würm, Maden, Larven und sonstigen Fleischwaren zu suchen, sondern auch Schwärme von Spatzen kamen herbei, tu einer Stärke, wie man es nicht für möglich gehalten hätte, und ich glaube, auch etliche Meisen und Goldammern tonnte man ab und zu bemerken. Ein wahrhaft erhabenes Schauspiel, wie man es nicht alle Tage sicht! Wer sollte bet diesem Anblick nicht auf die Idee kom men, sich irgendeinen der Vögel zu fangen, zumal wenn man ein richtiger Junge war nnd zudem einen verrosteten Vogelbauer besaß? — Aber wie? — Auch das war nicht allzu schwierig. Richtige Jungen wissen sich stets zu helfen, auch wenn sie bewußt auf so verwerfliche Mittel wie Schlingen und Leimruten verzichten, und so war es auch hier. Man besann sich nicht lange. Wie, wenn man den Bauer gleich in der Mitte des Misthaufens einbaute, als wäre er ein Teil dieser rauchenden Festung? Wenn man den Boden innen mit Mist überdeckte, mit dem besten, der reichlich mit Larven gespickt war, wenn man zum Überfluß noch einige Getreidekörnchen hineinstreute, wenn man end lich das Fallgitter hochzog und so lose anhing, daß es hin ter dem Eindringling bei geringer Bewegung ähnlich wie bei einer Mausefalle erbarmungslos herabfallen mußte? Ein prächtiger Einfall, ein wirklicher Krtegsplan! Gedacht, getan! Alles so sorgfältig wie nur möglich. Und dann im Hinterhalt gelauert. Nun, das war alles ganz schön und gut: der Bauer stand mitten im dichtesten Qualm des Misthaufens, und wir kauerten in unserm Versteck. Aber als nichts geschah, wurde es uns schließlich langweilig. O, ich will nicht lügen! Einmal geschah -och etwas. Aus irgendeinem Grunde fiel das Gitter Herab. Aber drin —? Drin sah man keinen Vogel. Ich glaube, von den Tierchen war jedes einzelne schlauer als wir beide zusammen. Somit war dieser erste Versuch, kriegerische Lorbeeren zu sammeln, trotz allen Scharfsinns kläglich gescheitert. Wir haben es am gleichen Tage noch vor Sonnenunter gang eingesehen. Der Star Bei jenen Entdeckungsfahrten auf dem Boden meines Onkels, des Bauern, hatten wir auch einen alten Tesching aufgestöbert, nicht minder verrostet als die Stäbe des be rühmten Vogelbauers. Jedoch mit Petroleum, Ölen und Fetten sowie der nötigen Geduld erweicht mau noch ganz andere Dinge als verrostete Waffen, und so war es auch schließlich kein Wunder, daß eines Tages wenigstens die wichtigsten Schrauben und Gelenke wieder funktionierten. Auch die passende Munition wurde angeschafft, und zu nächst übte man sich an der Scheibe ein. Zwar — ganz ge nau war es nicht wegzukriegen, wie man eigentlich zielen mußte, um auch zu treffen, wohin man wollte,' auch war es gar nicht ungefährlich,' denn man mußte gewärtig sein, : daß bei dem wackligen Verschluß die Ladung einmal hinten ! statt vorn hinausging, aber unsre Begeisterung war so leicht nicht zu dämpfen. i Später brachte mein Vetter dazu ein funkelnagel neues Luftgewehr aus der Stadt mit. Es unterschied sich weniger in der Treffsicherheit von dem alten Tesching — oder sollten in diesem Punkte die Schützen maßgebend ge worden sein? —, als vielmehr dadurch, daß man nur mit Blei schoß, nicht mit Pulver und Blei wie bei der anderen »Waffe". Allmählich wurden unsre Wünsche und Pläne kühner. Die Scheibe, leere Konservenbüchsen oder sonstige „tönen de" Gegenstände genügten uns nicht mehr. Die tatendursti gen Geister verlangten nach neuen Reizen; das wahre Jägerblut schien sich bemerkbar zu machen. Im Garten unsres Onkels stand ein alter Birnbaum. Auf dem trieb sich zuzeiten allerhand Gevögel herum, und in uns regte sich das Gelüstchen, dort einmal unser Heil zu versuchen. Nun gut, es ging denn auch los. Von einem Kanimerfenster im ersten Stock aus schossen wir auf wenige Armlängen Entfernung zahllose Löcher in die Luft, ohne daß sich unsere Ausdauer gemindert hätte. In unsrer Phantasie sahen wir angeschossene Vögel, sahen die durch Streifschüsse losgelösten Federn nur so in der Luft Herum wirbeln und erhofften natürlich durch einen Kernschuß die Krönung unseres wahrhaft „heroischen" Eifers —, in Wirklichkeit aber taten die Vögel gar nicht dergleichen, als ob da jemand in der Nähe wäre, der gegen ihr Leben etwas im Schilde führte. Ja, sie blieben so ruhig und un verfroren sitzen, als wollten sie uns mitsamt unfern Büch sen verspotten. Wir setzten natürlich die „Übung" fort; denn wie jeder weiß, ist Gleichgültigkeit des Gegners nur ein Mittel, um einen ehrgeizigen Angreifer anzustacheln. Und ehrgeizig waren wir als junge Schützen natürlich, ehrgeizig und unvernünftig. Ich weiß heute nicht mehr, welches von den beiden Mordwerkzeugen ich bediente, aber plötzlich sehe ich da drüben auf dem Birnbaum einen Star taumeln, einen prächtigen schwarzen Kerl, ein paarmal mit den Flügeln schlagen und dann wie einen Stein zur Erde fallen. Aller Mut und Eifer waren mit einem Male wie weggeblasen, das Schießeisen entglitt meinen Händen, und ich saß eine Weile reglos auf der alten Truhe. So also war es einem nun zumute, wenn es erreicht war, jenes Ziel, was einem erst so herrlich erschienen: einmal etwas Lebendiges vor den Lauf zu bekommen und zu erlegen! So war es nun, das Hochgefühl eines Siegers, das herr liche! „Mörder, Mörder!" schrie es in mir, „Mörder, Mör der!" schienen die leeren Zweige des Baumes zu rufen; denn auch die anderen Vögel waren geflohen, „Mörder, Mörder!" rief drohend der Himmel, an dem ich die Sonne nicht mehr sah. Da besann sich mein Vetter und fing an zu reden. Ihn berührte es wenig; denn der „glückliche" Schütze war ja ich. Er hatte recht: wir mußten etwas tun. Kaum hatte der Gedanke Wurzel gefaßt, folgte auch das weitere. Die Treppe hinunter, in den Garten, umgeschaut, ob auch nie mand in der Nähe uns bemerkte, und dann . Nein, wie er aussah! Was für ein wundervolles Kleid! Diese Federn, die von weitem so einfach schwarz erschienen, schillerten jetzt blau und grün, in allen Schattierungen der Perlmutterfarben. Dazu der wetßgesprenkelte Leib! Und wie groß! Auf dem Baume hatte er so klein ausgesehen, jetzt wuchs er vor meinen Augen so ungeheuer, als müß ten ihn alle Leute sehen, den leblosen Körper da in Gras und Blumen. Und wieder war es mir, als ob sie mit Fingern auf mich zeigten, auf mich, den Mörder. Da sah ich mich noch einmal um — ich mußte wissen, daß mich nie mand beobachtete —, nahm das Tier, rannte um Haus und Garten und verbarg wie ein Verbrecher den Leichnam irgdenwo, damit ihn keiner finden sollte. Ich weiß es noch, es war kein ehrliches Begräbnis, wie wir es ihm viel leicht bereitet hätten, wäre er bei anderer Gelegenheit von uns tot aufgefunden worden, ja, wenn mich mein Ge-