Volltext Seite (XML)
Geschichte eines Bauern Von Theodor Schütze, Hainitz (Schluß) „Der Vater kann ja Heuer gar nicht mehr richtig mit!" sprach Georg, während er mit der Sense mächtig unter den zitternden Kornhalmen aufräumte, zu Kurt, der hinter ihm abraffen mußte. „Wir haben ihn schon paarmal eingeholt heute; er tut ja fast, als hätte er wenig Lust." Ja, der Bauer hieb zwar noch kraftvoll genug mit der Sense drein, aber er hielt doch auffallend oft inne, wischte sich den Schweiß und holte schnaufend Atem. Der Mutter, seiner Abrasferiu, kam das auch zu langsam vor; aber sie hütete sich dennoch, ihn anzutreiben; sie würden ja ohne hin bald fertig sein mit dem Feldchen. Das Korn stand dünn, so wie man es hier nicht anders gewöhnt war auf dem mageren Sandboden; doch war Gott sei Dank wenig stens kein anderes Unglück dreingekommen, keine Dürre, kein Hagelschlag; man mußte zufrieden sein. Da stand er schon wieder und wetzte umständlich die Sense. Drüben auf dem Wege fuhren jetzt auH ihren Rädern zwei katholische Landfrauen vorbei, vielleicht nach der fernen Stadt unterwegs. Der Bauer verfolgte sie mit seinen Blicken, wie sie so in ihren ungeheuren Hellen Kopf tüchern und ihrem bis oben geschlossenen Gewände gemäch lich im grellen Sonnenschein weiterglitten, bis der Kiefern wald sie aufnahm. Er wandte sich nach der Bäuerin um und sagte: „Katholisch möchte ich auch sein." „Na aber," entgegnete sie verwundert, „das hat man doch von Dir auch noch nicht gehört. Was wird denn Dir in Deinen alten Tagen noch eiufallen?" „Ich denk mir das schön," fuhr er fort, da gibts für alles einen Heiligen, und man kann zu jedem beten; Hilst der eine nicht, so hilft vielleicht der andere. Beichten kann man auch gehen, da wälzt man sich so schön alles vom Her zen ab, was da schwer draufliegt, und kommt leicht wieder nach Hause." „Das ist auch so wie's ist," sagte sie nun, „mir würde es schwer fallen, so einem Priester alles in die Ohren zu flüstern. Der Priester ist auch bloß ein Mensch. Aber wenn Du ehrlich zum Abendmahl gehst, da kannst Du dem lieben Gott auch alles sagen, was Dn auf dem Herzen hast, und das gibt so viel Trost. Und gar so ein böses Gewissen hat doch unsereins auch nicht." Bei diesen Worten guckte sie ihm iauernd gerade ins Gesicht. „Nein, nein!" antwortete er hastig und begann die Sense wieder zu schwingen. In diesem Augenblicke kamen auch Georg und Kurt vorbei, um hinter den Eltern wieder anzufangen. Sie wiesen nach dem westlichen Horizont, wo sich blanschwarzes Gewölk ganz im Stillen sammelte, wäh rend die Schwüle fast zur Unerträglichkeit anwuchs. Das Gespräch hatte nun ein Ende, alle arbeiteten heftiger, ob wohl ihnen der Schweiß in Strömen raun. Der Bauer blickte sich nicht mehr nach seinem Weibe um; er kniff die Lippen zusammen und dachte mit Erschrecken darüber nach, ivie nahe er vorhin daran gewesen war, sich zu verraten. Der Wunsch, seine Frau zur Mitwisserin seiner heimlichen Pein zn machen, hatte sich in den letzten Wochen verstärkt und ihn heute plötzlich gedrängt. Aber es war nur bei einem kleinen Ansatz geblieben, und schon das denchte ihm jetzt zu viel. Auch ohne das Dazwischenkvmmeu der Söhne hätte er das Gespräch sogleich wieder abgebrochen; denn er batte gespürt, wie es ganz unmöglich war, die Worte über die Lippen zu bringen, die etwas von seinem Geheimnisse dem Tageslicht preisgeben sollten. Wie hinter sieben un zerstörbaren Siegeln lag dieses Geheimnis tief in ihm verborgen. War gerade das Weib da fähig, es zu erfahren, es mit zu tragen? Auch die Bäuerin schwieg und verrichtete verdrossen und eilig ihr Werk. Was der da in letzter Zeit für Ge danken hatte, der Alte! Sie wußte doch ganz genau, es steckte etwas in ihm, und es verbitterte sie nun nachgerade, daß er nie mit der Sprache herausrücken wollte. War sie denn nicht seine Frau seit langen Jahren? War es nicht seine Christenpflicht, auch seine Sorgen mit ihr zu teilen? Das Wettergewölk kroch heimtückisch höher und höher am Himmel und fraß die strahlende Sonne in seinen fin steren Rachen hinunter. Die Schwalben jagten tief über die Kornfelder hinweg und kamen den vier Arbeitenden oft so nahe, daß diese sie geschwind mit der Sense hätten tref fen können; fast angstvoll flitzten die Tierchen dahin mit abgebrochenen Rufen, als hätten sie auch schnell noch eine kleine Ernte zu bergen. Als die vier Leute die ersten Puppen stellten, begann der Donner langhin über den verdüsterten Himmel zu rollen, und die Blitze brachen immer rascher und feuriger hinter den schwarzen Kiefern wäldern nieder. Die Luft war «och heiß und wie abwar tend still. Der Bauer hatte uicht Muse, das unheimliche Durch- einanberwallen der heraneilenden Wolken zn betrachten. Er öffnete den Mnnd nicht einmal, doch dachte er un unterbrochen: „Wie wohl wäre es getan, wenn mich jetzt solch ein göttlicher Blitz erschlüge!" Aber das hatte er sich ja so ost schon gewünscht in diesem Sommer und hatte es doch wieder zitternd abgeschworcn, wenn der sengende Strahl irgendwo in seiner Nähe niederstürzte. Und Gott, der die Blitze schlendert, hatte ihn immer noch erbarmungs voll — oder verächtlich? — verschont. * Der Herbst war an diesem Nachmittag schon deutlich spürbar. Der Wind blies scharf und rauh von Nordwest und trieb dunkle Wolkenreihen über den Himmel, so daß die Sonne nur auf kurze Stunden in tröstendem Glanze hervortreten konnte. Uber den kleinen Heideteich eilten flinkfüßig die Wellen und zerschlugen sich glucksend am Ufer. Das Walser hatte eine grünblaue, frostige Färbung. Auf dem Teichdamme stand der Bauer schon eine ge raume Weile und war wieder in seinen schweren Grübe leien versunken. Dieser Ort zog ihn mit einer unheim lichen Kraft immer wieder herbei. Wie oft hatte er bei Himmel und Hölle geschworen, nie mehr diese verschwie gene S'tellc zu besuchen! Ebenso oft aber hatte er den Schwur nachher schwachmütig gebrochen und sich plötzlich an dem kleinen, stillen Heideteich wiedergesunden! War es Furcht, das stumme Gewässer möchte durch irgend ein Zeichen sein Geheimnis unberufenen Augen vfsenbaren? War es die sühnefordernde Stimme des Toten die ihn so herbeizwang? In den nächsten Tagen, vielleicht morgen schon würde man mit dem Teichfischen beginnen; wenn Gott es wollte, wie leicht könnte er jetzt das Geheimnis enthüllen! Das hatte der Bauer schon längst überdacht, und Vor stellungen, die ilun ansmalten, was ihn erwarten könnte, peinigten ihn oft. Eine unmutige Stimme hingegen, die ihm vorwarf, er wäre geradezu töricht gewissenhaft nnd ängstlich wie ein Hase, konnte nicht das Übergewicht ge winnen in seiner Seele. Gewissenhaftigkeit dieser Art war zu tief gegründet in ihm, ste war Erbteil von einer laugen Reihe von Vorfahren, deren Namen er zunächst nicht kannte, die aber gleich ihm als Heidebanern auf karger Scholle gesessen, gleich ihn: ihr Besitztum in mühsamer Kleinarbeit zusammengehalten, gleich ihm ohne Blick ins Weite in der Heide ihre engbegrenzte Welt gehabt batten. Sie waren sicherlich ehrenfeste Männer gewesen ihr schlich tes Leben hindurch; er selbst hatte nicht anders zu leben gewußt, und nun hatte solch ein Geschehnis ibn aus der geraden Bahn hinausgeschlendert. Ach, er wünschte immer sehnlicher, zurückzukehren, zn büßen, zu vergessen. An diesem Sonntagnachmittag kam der Bauer nun mit einem festen Entschlüsse zum Hetdeteich. Ja, er batte stch durchgerungen, er wollte nicht länger tn seiner Ratlofig-