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Johann Adam Hiller Ein Gedenkblatt zu seinem 200. Geburtstag Von M. Gondolatsch- Görlitz „Die spätere Geschichte hält nur diejenigen fest, welche Epoche machten, schwerlich die, welche sie verbreiteten; jene werden berühmt, diese verdienten es zu sein." Diese Worte aus dem Nachruf, den vor mehr als 100 Jahren Rochlitz seinem ehemaligen Lehrer Hiller widmete, sind nur zu wahr. Unser Hiller ist kein berühmter Mann geworden in dem Sinne, daß sein Name in aller Munde ist, daß man ihm Denkmäler errichtet und Straßen nach ihm benannt hat. Und doch ist seine Bedeutung auch heute noch groß ge nug. Ich habe im eben erscheinenden „Neuen Lausitzischen Magazin" lBd. 104) seine Bedeutung für unsere Zeit unter Aufführung zahlreicher Belegstellen aus den Werken ver schiedener Musikwissenschaftler zu beweisen versucht und kann daher hier nur kurz andeuten, daß er als Komponist, Dirigent, Lehrer und Schriftsteller Unvergängliches ge leistet hat. Er hat deshalb ein Anrecht auf unsere Dankbar keit, und wir wollen uns heute in der OHZ. ein wenig mit seinem schlichten Lebenslauf beschäftigen. Johann Adam Hiller ist am 25. Dezember 1728 im Kantorhause zu Wendisch-Ossig seine Meile südlich von Görlitz gelegen) geboren. Seinen Vater, der Schulmeister und Gerichtsschreiber war, verlor er im 6. Lebensjahre. Zunächst nahm sich der Amtsnachfolger seines Vaters, Abra ham Berndt, seiner an, indem er ihm neben dem Schul unterricht auch die Anfangsgründe der Musik vermittelte. Mit 12 Jahren schickte ihn die Mutter trotz ihrer sehr be schränkten Mittel auf das Görlitzer Gymnasium, das da mals in Rektor Baumeister einen sehr bedeutenden Leiter hatte. Warme Menschenfreunde, vor allem der Schulkollege George Rothe, sorgten für ihn. Rothe gab ihm freie Woh nung und erwirkte Schulgelöbefreiung. Da Hiller wegen seiner brauchbaren Diskantstimme die Stelle eines Chora- listen erhielt, die ihm auch einige Freitische einbrachte, war für seinen Unterhalt gesorgt. Er legte hier in den Jahren 1740—45 den Grund zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung und erweiterte im Collegium Musicum, das an der Schule bestand, seine musikalischen Kenntnisse und Fertigkeiten. Um bald selbst etwas zu verdienen, verließ er 1745 die Gör litzer Schule und nahm eine Schreiberstelle bei dem Rats kämmerer in Sprottau an. Dort war aber seines Bleibens nicht lange; nach einem Jahre gab er seine Stellung auf und wandte sich nach Dresden, um seine Schulbildung ab- zuschliehen. Seine musikalische Begabung verschaffte ihm eine Freistelle auf dem Alumnat der Krenzschule, wo Gott fried August Homilius, ein Bachschüler, sein Lehrer wurde. Nach dem er die berühmte Schule durchlaufen hatte, bezog er 1751 die Universität Leipzig, um Jura zu studieren. Hier machte er die Bekanntschaft Gellerts, dessen Vorlesungen er gern besuchte, und widmete jede freie Stunde — wie schon in Dresden — seiner geliebten Musik. Durch Vermittlung Gellerts erhielt er 1754 eine Hofmeisterstelle bei dem jün geren Grafen Brühl in Dresden, dem Neffen des bekann ten Ministers. Das gräfliche Haus war der Sammelpunkt der Dresdener künstlerischen Welt, und Hiller hatte hier Gelegenheit, die Werke zeitgenössischer Komponisten, vor allem die Opern Hasses, mustergültig zu hören. Nach vier Jahren begleitete er seinen Schüler auf die Universität nach Leipzig und von nun an blieb sein Schicksal mit dieser Stadt verbunden. Nachdem er 1760 seine Stellung beim Grafen Brühl aufgegeben hatte, lebte er als freier Schrift steller und Musiker weiter. Er gründete damals die erste deutsche Musikzeitung, ließ seine ersten Ltedersammlungen erscheinen und schrieb theoretische Werke. Seine wichtigste Arbeit lag aber auf dem Gebiete des Konzertwesens. In Leipzig hatte nämlich seit 1743 das s ogenannte „Große Concert" bestanden, das in den Unruhen des siebenjährigen Krieges eingeschlafen war. In der konzertlosen Zeit hatte Hiller die musikalischen Elemente gesammelt und zusam mengehalten, und so übertrug man ihm im September 1763 bei der Wiedereröffnung des großen Konzerts die musika lische Leitung. So ist Hiller zum Gründer der berühmten „Gewandhaus-Konzerte" — wie sie später nach dem Konzert lokal genannt wurden — geworden. Für die Ausbildung in der Kunst des Gesanges war bis zu jener Zeit in Deutschland fast nichts geschehen, italienische Sänger be herrschten den Konzertsaal. Hillers Bestreben war es nun, hier Änderung zu schaffen, und er hatte das Glück, unter seinen Schülern zwei Talente zu finden, durch deren Aus bildung er sich um die deutsche Sangeskunst ein unvergäng liches Verdienst erworben hat: Corona Schröter, die später zu dem Kreis um Goethe in Weimar gehörte, und Ger trud Schmehling, die unter ihrem Künstlernamen Mara weltberühmt wurde. Er richtete damals eine „Musik- und Singschule" ein, die viel Segen gestiftet hat und als das Vorbild der späteren Konservatorien anzusehen ist. Die Früchte seiner praktischen Unterweisungen waren ver schiedene Lehrbücher, die einst sehr geschätzt und weit ver breitet waren. Auch seine Kinderlieber nach den Texten von Christian Felix Weiße und anderen Dichtern machten ihn damals berühmt, so daß man ihn als den „Kinderlieder vater" bezeichnet. Das Liedchen „Morgen, morgen, nur nicht heute" hat sich im Kindermunde bis jetzt erhalten. Hier ist nun auch der Ort, einer andern bedeutenden Tat zu gedenken, die Hillers Namen mit der deutschen Musikgeschichte auf immer verknüpft hat: der Begründung des deutschen Singspiels, das zum Ausgangspunkt der deut schen Spieloper geworden ist. Leipzig war eine der wenigen deutschen Städte, in der außer den fürstlichen Residenzen die Oper gepflegt wurde. Natürlich war es, der Zeit ent sprechend, die italienische Oper, geleitet und ausgeführt von meist welschen Künstlern. Nachdem nun um die Mitte des 18. Jahrhunderts die bekannte „Neuberin" verstanden hatte, der deutschen Komödie in Leipzig den Boden zu gewinnen, konnte in den 60 er Jahren der Theaterdirektor Koch ver suchen, auch das deutsche Singspiel einzubürgern. Nachdem er zuerst als Komponisten seiner Stücke den Musiker Stand fuß gewählt hatte, gelang es ihm, Johann Adam Hiller für diese Arbeit zu gewinnen, und der Erfolg bewies, wie rich tig seine Wahl gewesen war. Die Truppe Kochs hatte nur wenig eigentliche Sänger, und so ergab sich die Notwendig keit, die musikalischen Aufgaben nicht zu hoch zu stellen. Das deckte sich auch mit Hillers Ansicht, daß die Leute aus dem Volke in diesen Stücken nur schlicht liedmäßig singen dürf ten, die Arien aber den Standespersonen zukämen. Nach dem der erste Versuch mit dem Singsptel „Der Teufel ist los" ll. Teil: „Die verwandelten Weiber", 2. Teil: „Der lustige Schuster") 1766 einen großen Erfolg gebracht hatte, folgten kurz nacheinander „Tisuart und Dariolette", „Lott- chen am Hofe", „Die Liebe auf dem Lande", „Der Dorf barbier", „Der Erntekranz", „Die Jagd" und andere, die alle eine beispiellose Verbreitung in Deutschland gefunden und unzählige Menschen mit ihren volkstümlichen Melo dien erquickt haben. Goethe, der damals Student in Leipzig war, ist durch diese Stücke dichterisch angeregt worden. Ihre Bedeutung geht aus einem Werke Richard Wagners her vor, der einmal meinte, man solle die Geschichte der deut schen Spieloper an einer Reihe von vier Abenden erläutern, die von Hillers „Jagd" über Dittersdorfs „Doktor und Apotheker" und Lortzings „Zar und Zimmermann" bis zu seinen „Meistersingern" führten. Die Wirkung der Htller- schen Singspiele beruhte auf den eingelegten Liedern, die heute noch z. T. gesungen werden; eins von ihnen „Ohne Sang und Klang" ist geradezu zum Volkslieüe geworden. Durch seine Lieder ist Hiller seiner Zeit zum Lieblings komponisten der Nation geworden. Anfang der 80 er Jahre trat eine Wendung in Hillers Lebensgang ein, die ihn vor übergehend von Leipzig fortführte. Er hatte die Bekannt-