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Ihre Beunruhigung entging ihm nichts sie konnte nur in einem schrecklichen Sinne gedeutet werden. So ließ er nicht ab mit Fragen, fragte, immer die Augen dicht vor ihrem Gesicht: „Hast du auch nie jemand andern liebgehabt, wirklich nicht?" Das Nein ihrer Antwort wurde schwächer, je bedrän gender er fragte, und schließlich — Agnes war kein Weib, die ein böses Geheimnis lange mit sich Herumtragen konnte — befreite sie sich von seinen Fragen mit ihrem fürchterlichen Geständnis. Niederschmetternd traf ihn die volle Wucht der Einzelheiten. Er erfuhr viel mehr, als er gewagt hatte, zu fragen. Weinend brach Agnes zusammen. Zitternd vor Angst wand sie sich vor ihm. Denn er sah aus, als wollte er seine bebenden Finger im nächsten Augenblick um ihren Hals krallen. Und doch war ihr so leicht zumute, daß er nun wußte um ihre Schuld, daß sie die Gewissenslast abgewor fen hatte. Willig wollte sie auch seine Strafe tragen, willig sich unterwerfen seinem Richterspruch. Das erste Wort, daß Johannes von Haugwitz mit er stickter Stimme sprach, war: „Wie heißt dieser Mann, und wo kann ich ihn erreichen?" Agnes schwieg. „Du mußt mir den Namen nennen," herrschte er sie an. Sie hob schüchtern den Kopf. „Weiß ich doch selber nicht, wo er sich zu dieser Zeit aufhält, du darfst ihm kein Leides antun,' ich bitte dich um deinetwillen, denn das würde nur neues Unglück heraufbeschwören, über dich zuerst!" „Nenne mir seinen Namen!" Unhörbar flüsterte sie: „Es ist besser, ich allein habe ihn zu vergessen." Da stieß er sie von sich und zermalmte ein häßliches Wort zwischen den Zähnen. Agnes, der es galt, duckte sich wie unter einem Hieb. Dann berührte sie mit ihrer weißen Stirn die harte Diele und begann zu schluchze», als wenn sie in ihren eigenen Tränen ertrinken wollte. Beim Anblick des in Tränen aufgelösten Mädchens, das sich zu seinen Füßen krümmte und Verzeihung erflehte, begriff Johannes erst, welch maßlose Kränkung seiner Liebe widerfahren war. Er setzte sich hin und weinte nicht minder bitterlich. Seltsam, seine heißen, widerwillig tropfenden Tränen wuschen Zorn und Verachtung hinweg aus seinem Herzen und machten einer nachdenklichen Trauer über das Ge schehene Platz. Lag die Schuld so ganz einzig auf Agnes' Seite, daß er sie schonungslos und sonder Erbarmen verurteilen durfte? Zerbrochen unter ihrer Sünde öffnete Agnes die Lip pen nicht zu ihrer Rechtfertigung. Allein die Stimme des Gewissens erhob sich in Johannes von Haugwitz und klagte wider ihn. Deine eigene Schwäche, Bischof, ward dir und denen, die du liebst, zum Verhängnis. Nicht festzuhalten vermoch test du dein Land, nicht festzuhalten die Geliebte, die doch dir gehörte, und dein starker Freund, er geriet in Be drängnis durch dein Schwanken. Diese demütigende Wahrheit hielt den Fluch zurück, mit dem er sich auf immer von Agnes kehren wollte. Wer war er, daß er sich vermaß, da den Stein zu werfen, wo er selbst, unwissentlich freilich, nicht ohne Schuld geblieben war? Nein, verdammen durfte er Agnes nicht. Doch sein reiner Sinn schauderte zurück vor ihrer besudelten Treue. Entscheidung heischend stürmte die Stunde auf ihn ein. Sollte er die Scheidewand aufrichten zwischen sich und Agnes? Ja und abermals ja! Die Achtung vor sich selbst gebot es ihm. War es nicht genug der Großmut seinerseits, daß er die Sünderin straffrei ansgehen ließ? Er heftete traurig schweigend den Blick auf die Kniende. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen, nur das Haar, das glän- s zenbe, oft gestreichelte Haar, das sie nun in den Staub drückte. Erbarmende Liebe wallte heiß in ihm auf. — „Steh auf, Agnes," flüsterte er, „es tut mir weh, dich so liegen zu sehen." Sie schüttelte den Kopf. „Nicht, bis ich weiß, daß du mir vergibst." Er half ihr selbst hoch. „Komm, sieh mich an, Agnes. Die Größe deiner Schuld sagt dir dein eigenes Gewissen, und Verzeihung mußt du bei einem Höheren suchen. Das, was du mir angetan hast, will ich dir aufrichtig vergeben und ich will auch versuchen, es zu vergessen. Denn ich habe dich lieb, meiue Agnes, und werde nie aufhören, dich zu lieben. Mag es unwürdig scheinen, mein Herz hängt den noch an dir und kann nicht von dir lassen." Ergriffen legte sie den Kopf in seinen Schoß und ver harrte lange so. „Agnes, wollen wir Vergangenes begraben und willst du mir helfen, alles, was dahinten liegt, zu vergessen?" Sie blickte ihn fragend an, ungewiß, wo er hinaus wollte. „Werde meine gute Frau, Agnes, das ist die beste Sühne, die du tun kannst und nicht die schwerste, wie? Du liebst mich doch jetzt wenigstens, wie?" Da schlang sie die Arme um seinen Hals und küßte ihn in seliger Dankbarkeit und heiligem Gelöbnis. Die Sprache versagte ihr vor Bewegung, aber Johannes von Haugwitz war feinhörig genug, den Ton der stummen Gebärde auf zunehmen. „Nun tilge die Spuren der Erregung aus deinem Ge sicht und lächle wieder, es ist alles gut. Komm, laß uns hinübergehen zu Birckner, er wird schon auf uns warten. Wir müssen uns doch von ihm Glück wünschen lassen zu unserem Bund." Das Schluchzen würgte Agnes noch einmal. Jetzt, nach dem ihr gestrandetes Schifflein im schützenden Hafen sich barg, grauste ihr erst vor der schauderhaften Klippe, woran es rettungslos hätte zerschellen können. Sie lehnte sich innig an den Mann, dessen gütige Größe ihr erst offenbar wurde, da sie am tiefsten gesunken war. Wie sie ihn liebte, ja, wie sie ihn liebte! Anders als früher, denn nun ahnte sie deutlich, daß seine Natur nie ganz mit der ihrigen ver schmelzen, sondern ihr manchmal einen unüberwindlichen Damm entgegensetzen würde. Trotzdem liebte sie ihn mit dem Gefühl beglückender Zusammengehörigkeit. „Mein Guter, nun bin ich wahrhaft dein!" „Meine Agnes, lerne, daß der Richterstuhl der Liebe, vor den du dich stelltest, voller Gnade ist." Mit einem Kuß auf ihre Lippen löschte er alle Schuld aus. In ihrem Wesen lag jetzt etwas rührend Weiches, Kind lich-weibliches, das ihr in seinen Augen noch höhere Schön heit verlieh. Sein Herz begann wieder an eine verheißungs volle Zukunft zu glauben. An beiden Händen faßte Johannes von Haugwitz Agnes und rief: „Wie wird uns nach allen Stürmen, die unser schwerbeörohtes Glück doch nicht versehrten, das Leben zu zweien köstlich sein drunten im Schloß zu Ruhetal!" Ruhetal! Abendlichtumflutet, Laumkronenumhegt lud es die müdegelaufene Agnes zu friedvollem Bleiben in wunschloser, alles gewährender Liebe ein. Und weit hinten, ganz am anderen Ende der staubigen, steinigen Straße, die wunde Frauenfüße treten mußten, stand das Kloster Marienstern, darein sich ein anderes lebenzerschlagenes Weib vor der Vergangenheit geflüchtet hatte. lSchluß folgt.) Zu beziehen durch die Geschäftsstelle der Oberlausitzer Hetmatzettung Acht Heimatkarten (Tuschzeichnungen) von Dichard Mättig, darstellend alte Kirchen der engeren Heimat, sowie Schloß Neuhörnitz mit kurzen geschichtliche» Erklärungen, für 2S Psg.