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Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda llkortützmial Doch der Tag wachte endlich auf, der tobende Sturm legte sich und die Gespenster mußten in ihre Grüfte hinab steigen. Im blendenden Morgenltcht bekam alles frohere Farben. Da gewann es auch Johannes von Haugwitz über sich, die Abdankungsurkunde noch einmal nüchtern prüfend zu überlesen. Mit ruhigen Fingern legte er sie weg. Ja, Meißen war nnn endgültig abgetan. Was war noch zu tun übrig? Wie einst rief er sich den Commissarius zu gemeinsamer Arbeit. Ja, dem nunmehrigen Probst von Bautzen, dem Johann Leisentritt, der an Comerstadts Stelle gerückt war, mußte er noch die Jurisdiktion in den geistlichen Ämtern der Lausitz übertragen und ihn durch den Nuntius des Papstes zum Administrator der Lausitz ernennen lassen. Diese Verfügungen kamen dem Bischof hart an, darum behielt er auch in dem Schreiben an Leisentritt den Ton bei, als ob er selbst noch Herr und Bischof von Meißen wäre. Mußte es gerade jener Leisentritt sein, der ihn höh nisch um einen Teil seiner ehemaligen Macht beerbte? Johannes riß sich zusammen. Genug des Unangeneh men. Und nun hin zu Agnes und in ihrer Süße alles Bit tere austilgen. Sie ahnt nicht, daß ich ihr so nahe bin, weil ich sie überraschen will mit mir selbst und mit der Zukunft, die ich ihr bringe. Dort drüben am östlichen Horizont, dem Auge gerade noch erkennbar, funkelt morgenrotverbrämt im Hermelinmantel frischgefallenen Schnees der Valten- berg. Vielleicht hebt eben jetzt auch Agnes ihre Blicke zu ihm auf. Zu ihr, der Geliebten, um die er manches auf sich nahm, damit er sich nie wieder von ihr zu trennen brauchte. Gleich einem Schwarm silberweißer Tauben schickte Johan nes von Haugwitz seine Gedanken zu dem Mädchen vor aus, als er jetzt in den sonnigkalten Januarmorgen hinein ritt. Vor dem Richter st uhle der Liebe Auf kürzestem, heimlichem Wege von Stolpen her, durch die überbuschte Beyergasse, in der es nie recht geheuer war, der vielen Morde wegen, die dort immer wieder geschahen, sprengte ein einzelner Reiter in die Stadt Bischofswerda ein, die sich nun nicht mehr des Bischofs getreue Stadt nennen durfte. Vor Jakob Birckners Hause machte er halt und ging hinein. Die beiden Männer feierten ein ergreifendes Wieder sehen. Zerbrochen des einen Herrschaft, verödet des ande ren Haus. Deuuoch drückten sie sich männlich die Hände und ihre Augen leuchteten von heiligem, ungebrochenem Lebenswillen. Bald kamen Jakob Birckner und Johannes von Haug witz in ein vertrautes Gespräch. Eine stille Freude war in beiden, wieder beieinander zu sitzen und Rates zu bespre chen wie einst. Aber der dritte fehlte, der sonst die Führung der Unterhaltung zu übernehmen pflegte. Bernhard Tan ner saß draußen in der Schlieffermühle in vergrämter und vergrollter Abgeschiedenheit. Johannes von Haugwitz atmete innerlich auf. So innig er den väterlichen Freund liebte, dem er soviel dankte, es hatte ihm doch gebangt davor, dem Bürgermeister jetzt unter die durchdringenden Augen zu treten. Mit zarter, herzlicher Teilnahme ließ sich der Bischof eingehend von dem häuslichen Unglück Birckners berichten und war ehrlich bewegt über die traurige Erzählung. Nach dem sie beide ihrer Betrübnis Herr geworden waren, fragte der Bischof, was denn eigentlich aus dem Mädchen gewor den wäre, die all das Herzeleid verschuldete? „Sie sitzt noch in der Büttelei und wartet aus ihre Strafe. Tanner wollte ihr das Gericht mit voller Strenge machen und ihr sogar den Staupbesen nicht ersparen. Sie ist aber ein blutjunges Ding, ganz heruntergekommen von Angst und Gewissensbissen. Ich glaube nicht, daß meiner Donate daran gelegen ist, das Mädchen vollends zu ver derben. Damit wird ja auch nichts wieder gut gemacht. Ich schlage vor, wir lassen Milde walten und das Mädchen mit gelinder Buße davonkommen. Mag sie auf sechs Jahre die Stadt meiden, das ist hart genug für sie, da sie alle ihre Leute in der Stadt hat." Der Bischof war einverstanden. „Ich werde meinen Offizial in Stolpen anweisen, daß er das Urteil noch ab fertigt, ehe die Frist meiner bischöflichen Gerichtsbarkeit abläuft und der kursächsische Rautenstock die Rechtsprechung übernimmt." Eine Weile versickerte das Gespräch in minder wich tigen Dingen. Birckner beobachtete, wie sein Gast eine Frage auf der Zunge wälzte, die auszusprechen, er von einer Minute zur anderen verschob. Gutmütig beschloß Birckner, ihm zu helfen. „So Ihr Agnes von Haugwitz sprechen wollt, müßtet Ihr sie drüben in der Kirche auf suchen. Sie verbringt seit den letzten Tagen auffällig viel Zeit mit Andacht. Ich glaube, es ist gut, daß Ihr kommt, das arme Mädchen hat viel durchmachen müssen." Der Bischof erhob sich eilig und erbat sich ein halbes Stündchen Urlaub, Agnes zu holen, was ihm gern gewährt wurde. Draußen auf der Straße lag blendend, schmerzhaft Hel ler Schnee. Die Luft war dünnkalt und wundervoll durch sichtig. In der Vormittagswintersonne glitzerte die dicke Schneehaube über dem Ziegeldach der Stadtkirche, und überall an Dächern und Häusern hatte der Schnee die Um risse weich nachgezogen, daß auch der kleinste Mauervor sprung, das bescheidenste Erkerchen dem Auge nicht ent gehen konnte. Voll Klarheit blinkt das Angesicht dieses Tages, sann der Bischof im Schreiten, das will ich als ein gutes Zeichen für die nächste Stunde nehmen. Als er die Schwelle von St. Marien überschritt, schmerzte ihn tief der Anblick, der sich ihm bot und auf den er bei allem Wissen und Vermuten doch nicht gefaßt war. Die Altäre fehlten nun auch, und da sie in der kurzen Zeit noch nicht durch anderweitigen Schmuck ersetzt werden konn ten, zeigten sich die Lücken unbarmherzig im grellen Son nenlicht. Es dauerte lange, bis der Bischof es verwand, so ganz verändert die Stätte wiederzufinden, welche den Rahmen seiner geistlichen Herrlichkeit abgegeben hatte. Doch da fiel vergoldend ein freundlicher Sonnenstrahl über den Spruch streifen am Ratsstuhl, darin Agnes damals seinem ersten Hochamt beigewohnt hatte. Er las halblaut die Worte der Inschrift 0^8 6011^8 8I,LI821' UOXXXV. Er spürte göttlichen Trost für seine blutende Seele. Das Wort Gottes bleibt ewiglich, ja, und auf daß es bleibe, das reine Wort, hatte er den Krummstab aus der Hand legen müssen. Die Tür zur anstoßenden Katharinenkapelle war nur angelehnt. Er stieß sie behutsam vollends auf und fand Agnes, die weißen Hände zum Gebet verschlungen, vor dem kleinen verlassenen Marienbild. Er eilte hinzu, hob sie auf und drückte des Entzückens voll die lang entbehrte Ge liebte an seine Brust. Tränen der Freude feuchteten seine Augen, und Dank gegen Gott bewegte seine Lippen, wäh rend er das geliebte Mädchen, in endloser stummer Um armung hielt. „Meine Agnes, daß ich dich nun wiedergefunden habe."