Volltext Seite (XML)
Nr. 25 Gberlauflhev Helmatzettung 3S1 es un^ ließen ihm ihre Sorge angedeihen. Und während es zu fürstlichen Schätzen kam, die es heute noch besitzt, verarmte das Kamenzer Franziskanerkloster immer mehr. Verarmte, wie auch die Stadt nicht mehr die große Handels stadt ist, die sie einstens war, als sie noch an der uralten Reichsstraße lag. Sn. Gotthold Ephraim Lessing als Schüler der Fürstenschule „St. Afra" zu Meißen Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar l729 in Kamenz als der Sohn eines Pfarrers geboren. Seine erste Erziehung erhielt er in christlicher Zucht und Sitte unter mancherlei Einschränkungen und Entbehrungen von seinem Vater. Außerdem unterrichtete ihn ein Privatlehrer Mylius. Nach einem kurzen Besuche der öffentlichen Stadt schule zu Kamenz bereitete ihn ein Verwandter, Pastor Lindner in Putzkau, zur Aufnahme für die Fürstenschule in Meißen vor. Im Jahre 1741 stellte er sich dann zur Receptivn (Aufnahme). Obwohl er noch nicht das erforder liche Alter hatte (er war erst 12)4 Jahr alt, nach den gel tenden Schulbestimmungen durfte ein Recipiend nicht unter <3 und nicht über 18 Jahre alt sein), wurde er durch ein besonderes Reskript wegen seiner günstigen Zeugnisse über seine Vorbildung doch einberufen. Und so stellte er sich am Morgen des 21. Juni 1741 Schlag 8 Uhr dem Rektor Grab- ner zur Receptionsprttfung (Aufnahmeprüfung). Da der junge Lessing mit der Einrichtung bekannt war, brachte er einen halbgebrochenen Bogen weißes Papier, ein paar scharfgeschnittene Federn und eine lateinische Grammatik mit. An einem Tische von Nußbaumholz begann nun die Prüfungsarbeit. Zunächst diktierte ihm der Rektor einige ; schwierige Sätze, die bis 10 Uhr ins Lateinische zu über- setzen waren. Lessing, der wußte, wie viel darauf ankam, arbeitete mit Emsigkeit. Da er früher fertig war, schrieb er aus eigenem Antriebe einige Sätze hinzu. Um 10 Uhr gab er die Arbeit an Rektor Grabner ab und ging mit ihm zu den bereits versammelten Lehrern (schwarze Kleidung, lange über den Rücken herabhäugende Mäntel, Alongen- perücken) in die Zensurstube. Auch sein Vater war an wesend. Der Knabe war zunächst wohl etwas befangen. Er machte eine tiefe Verbeugung, die er der Wissenschaft und diesen Männern schuldig zu sein glaubte. Der Rektor ging nun mit dem Knaben die lateinische Übersetzung dnrch, Ma gister Weise zerlegte nach Anleitung der Halleschen Gram matik den ganzen Stammbaum des griechischen Verb in Äste, Zweige und Blätter, die der Prüfling wieder zu sammenstellen mußte. Magister Kauderbach prüfte den Kna ben auf seine Rechtgläubigkeit und fand ihn wohlbewandert im Katechismus Luthers. Den Schluß der Prüfung bildete der Mathematikus Klimm, der auch mit Wohlgefallen den Anworten des Knaben lauschte. Der große Prüfungsakt, bei dem zwei Stunden in saurem Schweiße vergangen waren, war geschlossen. Vater und Sohn verließen die Zensurstube, um nach baldiger Rückkehr den Richterspruch der Lehrer zu vernehmen. Mit Freuden hörten beide das Ergebnis: Der Knabe batte in allen Ansprüchen sehr gut genügt und wurde deshalb eine Dekurie höher gesetzt, er kam in die 11. Dekurie, damals die zweite der vierten Klasse. Über die Einrichtung d^er Schule soll am Schluß einiges gesagt werden. Über seine Begabung und Fleiß erfahren wir folgendes: Lessing war mehr Talent als Genie. Ein glückliches und treues Gedächtnis, eine lebendige aber nicht üppige und von Leidenschaft erregte, sondern immer vom reflektieren den Verstand geleitete, daher auch bei Durchführung der einmal gewählten Gedankenbilder gern verweilende Ein ¬ bildungskraft, dazu logische Schärfe, die sich bisweilen auch einen Fechterstreich erlaubte, treffendes Urteil, das sich gern in das leichte, gefällige Gewand des Witzes kleidete, und — wenn wir uns auf seine eigene, sehr bescheidene Erklärung verlassen wollen — weniger schöpferische Kraft, aber ersetzt durch feinen Takt für das einfach Schöne und das sittlich Große. Ein Zeugnis seines Fleißes gab der Rektor Grab ner dem Vater in folgenden derben Worten: „Es ist ein Pferd, das doppeltes Futter haben muß. Die Lektiones, die andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht. Wir können ihn fast nicht mehr brauchen." Der Sinn des klassischen Altertums, der sich in seinen späteren Werken Laokoon, Entwicklungen über das Wesen der Tierfabel und des Epigramms, in seinen Kritiken, An merkungen, Nachbildungen und Übersetzungen offenbart, wurde durch die eifrigen klassischen Studien zu St. Afra in Meißen gewonnen. Seinen griechischen und lateinischen Studien folgten die deutschen. Die Schüler hatten unter dem Namen Pflanzorden einen deutschen Verein, der als Zweig des Palmenordens oder der fruchtbringenden Gesellschaft in Leipzig anzusehen war. Mit Eifer wandten sich die Schüler den deutschen Sprachstudien, besonders der Dicht kunst zu. Lessing waren die Anpreisungen der Franzosen als mustergültige Schriftsteller und Dichter zuwider. Er selbst verschmähte den Alexandriner nicht, seine ersten Er zeugnisse schreiten taktmäßtg in diesem Versmaße fort. Später war er der erste, der in den Dramen den wechsel reicheren und erhabeneren Trimeter einführte. Wertvolle literarische Arbeiten fallen in Lessings Schülerzeit. Wegen Raummangel können sie hier nur summarisch behandelt wer den. Im 14. Lebensjahre (am Ende des Jahres 1742) schrieb er eine Glückwunschrede an seinen Vater, deren klarer Ver stand und logische Konstruktion Bewunderung auslösen. In seine Schulzeit gehören ferner Nachbildungen des Ana- kreon, kleinere Gedichte, Lieder, Epigramme, die er später (1750) unter dem Titel „Kleinigkeiten" herausgab. Von der Frische seiner Anschauungen zeugt das Schulgedicht „über die Mehrheit der Welten". „Ohne Philosophie und Mathematik ist ein Gelehrter nicht viel", soll Mathematikus Klimm oft zu Lessing gesagt haben. Da sein Geist von Natur zu methodischer Forschung getrieben war, können wir uns denken, daß ihm diese Wissenschaft willkommen war und welches Gewicht der wiß begierige Knabe darauf legte. Wie ernst er die mathema tischen Studien betrieb, davon zeugen die Examenberichte, davon zeugt die Beschäftigung mit Euklid, den er bereits auf der Schule zu übersetzen begann, davon zeugt eüie Ge schichte der Mathematik, die er auf der Schule schrieb und den Grund zu seiner Abgangsrede „de mathemaüca bar barorum" bildete. Die Schüler waren in zwei Hauptabteilungen, aber doch in vier Klassen geschieden. Jede Klasse hatte drei De- kurien, die in fortlaufenden Nummern gezählt wurden, also von eins bis zwölf. Bei der Aufnahme kam Lessing in die vierte Klasse auf die elfte Dekurie und ward nach der Herbftprüfung 1741 auf die zehnte versetzt. Im Frühjahr 1742 rückte er in die dritte Klasse auf die neunte Dekurie, nach der Herbftprüfung auf die achte und wieder nach einem halben Jahr in die siebente Dekurie. Im Herbst 1743 ward er nach Sekunda versetzt. Hatte er sich schon bei der Frühjahrs prüfung 1744 besonders ausgezeichnet, so war die Herbst prüfung desselben Jahres für ihn noch günstiger. Sechs Schüler übersprang er und wurde Primus der zweiten Klasse. In dieser Klasse durchlief er die sechste bis vierte Dekurie. Bei seinem Aufrücken in die erste Klasse, im Früh jahre 1745 gelangte er auf die zweite, rückte nach der Herbst prüfung in gewöhnlicher Ordnung weiter und ward im Frühjahr mit einem Alter von 17 Jahren der 6. Primaner auf der ersten Dekurie. Üm seiner Schulzeit zu genügen^ mußte er noch ein Jahr und drei Monate auf St. Afra zu»