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falls wund und wehe geschlagen war, und das Mädchen zum Gruß die Hände reichten, verstanden sie einander ohne Umschweife und schlossen sich stumm zusammen wie zwei aufgescheuchte und verfolgte Tiere des Waldes. Tanner führte Agnes zu einem Sessel nahe dem seini- gen, wo er den Arm um ihre Schultern behalten konnte. Nach einer geraumen Weile drückenden Schweigens kamen erleichternde Worte über ihre Lippen. In bewegten Wor ten beklagte sie das harte und ungerechte Schicksal, das den Bischof unbarmherzig fortgerissen hatte und immer noch umherstieß. Gedankenvoll nickte Tanner und hielt ihr trübe ent gegen: „Wenn durch die Wirren der Zeit und ihrer Men schen sogar ein toter Heiliger keine Ruhe mehr hat und seine Gebeine in ängstlicher Flucht hin und her geschleppt werden, wie es mit unseres Kirchengründers und Schutz patron St. Bennos Gebeinen geschehen ist, so braucht sich ein lebender Bischof nicht zu grämen, wenn ihn dasselbe Schicksal ereilt." Das war ein dürftiger Trost für Agnes, aber einen besseren hatte Tanner auch für sich selber nicht. Zaghaft anklagend, denn sie erkannte, daß sie selbst, ge messen an dem Bürgermeister, weit weniger Recht zu zür nendem Groll hatte, begann Agnes von des Bischofs schwäch licher Haltung während aller Ereignisse der letzten Monate zu erzählen. Tanner blieb ihr die Antwort schuldig. Er wollte nicht noch mehr Bitterkeit in des Mädchens Liebe mischen. Erst recht wollte er kein vernichtendes Urteil fällen über Johannes von Haugwitz, den er immer noch in der Beständigkeit seines alternden Herzens unwandelbar liebte. Er begriff, daß dem jungen Bischof nicht zur Schuld gerech net werden dürfe, was ein Versagen seiner begrenzten Kräfte war. Verstohlen musterte der Bürgermeister das Mädchen. Ihr Mund war nicht mehr lächelnd geschwungen und ihre blasse Stirn querte eine ganz feine Falte. Ihre Schönheit wurde dadurch nicht gemindert, aber der Anblick rührte den Bürgermeister. Ob er ihr etwas von der Andeutung verriet, die der Bischof ihm in seinem Briefe gemacht hatte? Er legte Agnes Hand auf seine Knie und streichelte sie, als er ihr mit der Zartheit eines Vaters zusprach: „Set nicht so bekümmert, Kind, vielleicht bist am Ende du allein die Gewinnende. Denn nun ist dir der Bischof nicht mehr unerreichbar." Agnes hob fragend die Augen. Es fiel Tanner nicht leicht,- doch angesichts dieser bangen Augen rang er sich die Worte ab: „Agnes, ich habe Grund zu vermuten, daß Jo hannes von Haugwitz zur lutherischen Lehre übertreten wird." Sein Atem ging schwer: „Dann steht eurem Ehe bunde nichts mehr im Wege." Agnes verlor die Fassung und war keiner Silbe mäch tig. Feurige Lettern sah sie wirbelnd vor den Augen tan zen: Nichts mehr im Wege — nichts mehr im Wege. Tanner ließ ihr Zeit, ehe er sie gramvoll fragte: „Denkst du, Kind, daß es dir schwer fallen wird, deinen Glauben auch zu wechseln?" Sie sah ihn verständnislos an. Er strich ihr gütig die Stirn glatt. „Geh nach Hause, Agnes, werde geruhig und lerne wieder lachen, damit er, den wir beide lieben, an dir seine Freude hat und mich alten Mann darüber nicht ver mißt." Sie erschrak. „Wie meint Ihr das?" „Ich bin müde und überdrüssig der Stadt, ich sehne mich dahin, wo es still und menschenleer ist. Eine Stunde von hier, tief im Walde, abseits allen Getriebes steht die alte Schlieffermühle. Dort will ich meine Heimatstatt auf schlagen. Die Müllersleute sind mir zu Dank verpflichtet und gewähren mir gern Unterkunft. Du weißt also, wohin aus der Weg zu mir führt, wenn du es ja wieder nötig haben solltest, mich aufzusuchen." Er küßte sie beim Abschied segnend aufs Haupt und ge leitete sie selbst bis zum Haustor. Noch als sie um die Ecke gebogen war, empfand er den Besuch des Mädchens dank bar wie einen letzten scheidenden Sonnenstrahl. Eine Seitentür der Stadtkirche stand einladend halb offen. Agnes folgte einer unbestimmten Regung und trat ein. Das Gespräch, das sie soeben mit dem Bürgermeister geführt hatte, kreiste noch in ihren Gedanken. Gerade dieser Ort weckte erneut die Erinnerung an seine Frage: Wird es dir schwer fallen, deinen Glauben zu wechseln? Nein — es würde ihr nicht schwer fallen. Wenn sie ehrlich nachöachte, mußte sie sich sogar sagen, daß sie dem Unterschied im Glauben gar keine so große Wichtigkeit bei maß. In ihrer jungen, naturnahen Seele rangen einfach noch die großen Urmächte Licht und Finsternis gegenein ander. Das Licht —, ach Swantewit, du lichter Gott, wie soll ich dir näher kommen? Dort stehst du, wo Johannes von Haugwitz ist, und zwischen ihm und mir liegt abgrund tiefe Finsternis. Gedankenverloren stand das Mädchen im Kirchenschiff. Auch an ihren Vater dachte sie und daß sie gerne in den Frieden seines Hauses heimkehren würde. Und eine Sehn sucht faßte sie nach der toten Mutter. Sich bergen können in der Mutter Schoß! Sie sah sich um. Die Heiligenbilder waren meistenteils entfernt. Schonungslos wurden die kahlen Stellen im kalkweißen Gemäuer sichtbar. Nur in der Seitenkapelle St. Katharinen stand noch ein Muttergottes bild tröstlich in seiner Nische. Dort kniete sich Agnes nieder und warf ihres Herzens Unruhe in der Himmelsmutter allumfassendes Erbarmen. Johannes von Haugwitz lehnte abgehärmt und erschöpft im Reisewagen. Übernächtig und hager schienen seine Züge. Von der gebogenen Nase abwärts liefen zwei ttefgegrabene Furchen zu den Mundwinkeln herunter. Er kam von Dresden her und war todmüde von den tagelangen zermürbenden Unterhandlungen. Nun wollte er noch einmal eine Nacht oben auf dem Stolpen ruhen und noch einmal morgens vom Siebenspitzenturm aus die Sonne aufgehen sehen über der Lausitzer Heimat. Die undurchdringlich schwarze Winternacht ließ nichts von der Gegend draußen erkennen, doch er merkte am ächzenden Schleifen des Wagens, daß der Weg steil bergauf ging. Ein Ruck — sie waren vor der Klengelsburg ange langt. Von Hof zu Hof rumpelte der Wagen, durch eines der Tore zum andern. Schaurig gab ein kurzhallenöes Echo sein Gepolter von Turm zu Turm weiter. Vor dem Palast stieg der Bischof aus. Er Hörte die vielen Tore des Schlosses Stolpen alle nach einander dröhnend wieder zufallen. Ein Frösteln überkam ihn. Da blickte er in das gute, ehrlich bekümmerte Gesicht seines Schloßhauptmanns Melchior von Carlowitz. Die Begrüßungsworte zwar blieben dem treuen Diener im Halse stecken. Doch er küßte die Hand seines Herrn und geleitete ihn selbst hinauf in die Zimmer, die für ihn bereit gehalten waren und überzeugte sich selbst, daß nichts mangelte, was einem ermatteten Reisenden zu stärkendem Schlummer nötig war. Dem Bischof tat der sorgende Liebesdienst wohl nach der Kälte, die ihm heute Nacht aus den steinernen Türmen seines Schlosses entgegen zu strömen schien. Er streckte sich zu tiefem Schlafe aus. Aber die Qual der letzten Tage ließ sich nicht abschütteln. Sie kleidete sich in ängstigende Träume und peinigte seine Seele. Während der Sturm draußen zwischen den Türmen eine grausige Musik heulte, traten sie alle drohend an sein Bett heran, die vor ihm hier oben geherrscht hatten. Alle hielten sie die Hand zum Fluche er hoben: Wehe dir, wir bauten auf, und du rissest nieder! Wehe dir, daß du den Krummstab zerbrachst über Meißen! Wehe dir, daß du der letzte Bischof bist! (Fortsetzung folgt.)