Volltext Seite (XML)
Staate geführt. Es hat Jahrzehnte tm 19. Jahrhundert ge geben, wo es hieß, nur der Lausitzer habe Aussicht, „etwas zu werden". Das starre Festhalten an einer einmal ge faßten Meinung und Willensentscheidung hat natürlich den Lausitzer auch in den Ruf der Starrköpfigkeit gebracht. Wie weit dieser Lausitzer Granitschädel auf die schwer um ihr völkisches Dasein ringenden Wenden zurückzuführen ist oder auf die starken, energischen Charaktere, die wir bei den eingewanderten Kolonisten vermuten können, läßt sich kaum feststellen, wahrscheinlich hat beides zusammengewirkt bei der Prägung des Lausitzer Stammescharakters. Auch die Sparsamkeit, das zähe Zusammenhalten und Ansam meln von Geld, läßt sich auf jenen Grundzug des Lausitzer Charakters mit zurückführen. Zum anderen ist sie aber auch zu erklären aus der bescheidenen Lebenshaltung, zu der besonders die dichtgesiedelte und frühe der Industrie verfallene Bevölkerung gezwungen war. Aber auch der Bauer, sei er Wende oder Deutscher, gibt das mühsam er worbene Geld nicht so leicht aus wie der viel leichtlebigere Westsachse, besonders der zum lustigen Leben aufgelegte Erzgebirgler. Dem Oberlausitzer ist auch eine größere Zurückhaltung und Sparsamkeit in seinen mündlichen Äußerungen eigen, die Wenden erscheinen sogar manchem verschlossen, ja verstockt. Die letztere Erscheinung mag wohl mit der früheren Stellung des Wenden zum Deutschen und mit seiner besonderen Sprache zusammenhängen. Ob es nicht auch ein Erbteil des Wenden und seines jahrhun dertelang geführten offenen wie heimlichen Kampfes gegen seine deutschen Unterdrücker ist, daß man selbst am deut schen Oberlausitzer einen nicht immer sympathischen Zug bitterer Ironie beobachtet, eine Neigung zum „Hämschen" oder „Hiehnschen", d. h. zu ätzenden, verletzenden kritischen Äußerungen? Im öffentlichen Verkehr fällt dem Beobachter zuerst eine gewisse Rauheit und Poltrigkeit auf, wozu auch die Eigenart der Mundart, deren dumpfe Vokale, und die rollenden R-Laute mit beitragen. Aber trotz Lieser Poltrig keit ist der Oberlausitzer längst nicht so reich an Schimpf wörtern und Flüchen wie z. B. der Vogtländer, bei dem sich darin der starke bayerische Einschlag zeigt. Seine Derbheit zeigt der Lausitzer in vielen Wendungen und Redensarten, die rücksichtslos das Gebiet der natür lichen, aber in guter Gesellschaft verhüllend angedeuteten Lebensäußerungen bezeichnen. Das alte Wort: „Natür liches ist nicht verächtlich", gilt für die Oberlausitzer Aus drucksweise ganz besonders, darin ähnelt er dem Vogt länder und dem Bayer. Er springt auch seinem Nächsten aern ohne Rückhalt mit der Wahrheit ins Gesicht, er ist „geradezu" -is zum Äußersten. Dem zähen Willen des Oberlausitzer Stammes ist eine gewisse seelische Nüchternheit gepaart, ein Überwiegen des Verstandes, der unter Umständen zur Kritik neigt, wie ich schon andeutete. Dieser verstandesgemäße Zug und eine nüchterne Auffassung des Lebens und seiner Erscheinungen tritt selbst bei unserem besten Oberlausitzer Dichter, Wil helm von Polenz, entgegen. In Lessing erreicht diese kri tische Neigung ihren Höhepunkt. Der Oberlausitzer ist be müht, Gefühlsäußerungen möglichst zu unterdrücken, ja er verdeckt Gemütsbewegung wohl sogar gelegentlich durch Ironie und Sarkasmus. Nur nicht sentimental werden oder erscheinen, scheint dem Oberlausitzer Bedürfnis. Ich könnte für diese Herbheit des Oberlausitzer Volkscharak ters mannigfache volkstümliche Äußerungen über Tod und Sterben anführen, die über das Maß dessen hinaüsgehen, was bei primitiven Menschen überhaupt als Ironisierung des Gefühlslebens erscheint. Sehr sympathisch berührt jeden die tiefe Natur- und Heimatliebe des Oberlausitzers. Seine Bergfreude hat sich frühzeitig in dem reichen Besuch seiner Heimatberge, in den seit altersher schon entstandenen Berggasthäusern und Aus sichtstürmen offenbart. Die Naturliebe verbindet sich in der Oberlausttz mit der Neigung zum tieferen Naturverstehen, in dieser Landschaft vor allem hat daher der Gedanke Roß- mäßlers, die Volksbildung durch volkstümliche Naturbeleh rung zu fundieren, tiefe Wurzel geschlagen und die höchst segensreich wirkenden Humboldtvereine ins Leben gerufen. Und die Heimatltebe des Oberlausitzers äußert sich nicht nur in dem frischen Leben der Lausitzer Landsmannschaften unserer Großstädte, sondern vor allem auch in einem reichen Heimatschrifttum wissenschaftlicher wie literarischer Art und in dem großen Erfolg der heimischen Mundartdichtung. Die tiefe Heimatliebe, die Neigung, sich verstandes mäßig mit der Welt auseinanderzusetzen, und die Zähigkeit im Verfolgen eines Zieles, diese Eigenschaften des Lau sitzer Stammes treten stark hervor in den vielen eigen artigen Persönlichkeiten, die, in Dörfern und Kleinstädten sitzend, sich in irgendein Wissensgebiet, in manchen Fällen ganz autodidaktisch, etngebohrt und meist Bemerkenswertes geleistet haben. Ich erinnere an den ausgezeichneten Er forscher der geologischen und paläontologischen Erscheinun gen der Kreideperiode, Hermann Ändert in Ebersbach, an den Erforscher der Kleinschmetterlinge, Schütze in Rachlau, an den Fliegenforscher Kramer in Oderwitz und andere, auch unser Löbauer Schöpfer einer großartigen Heimat sammlung, der Fabrikant Emil Berndt, gehört zu diesen zähen wissensdurstigen Naturen. Durchaus eigenartig ist das Verhältnis des deutschen Oberlausttzers zur Musik. Während das Wendentum in der Lausitz sich eines reichen Schatzes an Volksliedern und auch Volkstänzen erfreut, haben unsere Volksforscher nur wenig von diesem alten Volksgut beim deutschen Oberlausitzer gefunden. Er singt im allgemeinen längst nicht soviel wie der Wende und auch der Erzgebirgler, und doch hat die Oberlausitz eine Reihe bedeutender Musiker hervorgebracht: Johann Schicht, Friedrich Schneider, Edmund Kretschmer, Heinrich Marschner, Hermann Zumpe. In der Oberlausitz finden wir noch allenthalben einen starken religiösen Zug und stark kirchlichen Sinn. Das jahr hundertelange Neben- und Durcheinanderwohnen von Katholiken und Protestanten hat aber auch ein gesundes Toleranzgefühl entstehen lassen. Diese wohltuende Ein tracht zwischen den Bekenntnissen offenbart sich am schön sten in dem Simultancharakter des Bautzner Petri-Domes, der den Katholiken ebenso eine Hauptkirche ist wie den Evangelischen. Auch die Tatsache, daß sich in der Ober lausttz allein noch auf sächsischem Boden Klöster und kleine zusammenhängende katholische Gebiete erhalten haben, ist bezeichnend. Der kirchliche Sinn auch in den protestantischen Gemeinden mag mit auf die starken Zuflüsse zur Bevölke rung durch die glaubenstreuen böhmischen Exulanten zurückzuführen sein. So gibt das Herrnhutertum in der Südlausitz doch einen recht bezeichnenden Einschlag im kirch lichen Leben. So erkennen wir im Oberlausitzer Stamm einen pro vinzialen Teil unseres deutschen Volkstums von eigen artigem, kernigem Gepräge, und die obenbezeichneten Cha rakterzüge finden wir auch in den Geistesgrößen wieder, die dem Oberlausitzer Boden entstammen: in Lessing, dem Kamenzer Pfarrerssohn, die Verstandesschärfe und uner bittliche Kritik, in Fichte, dem armen Bandweberkinb aus Rammenau, die unbeugsame Willenskraft und das starke Vaterlandsgefühl,' in Jakob Böhme, dem theosophischen Schuster in Görlitz, die tiefbohrende religiöse Betrachtung der Weltzusammenhänge und die sinnierende Versenkung in das Wesen des Göttlichen. Das Dezugsgeld für dis „Heimatzeitung- ist stets im Voraus oder zu Beginn eines jeden Vierteljahres zu entrichten. Die Einzahlungen können an die Geschäftsstelle oder aus Postscheckkonto Amt Leipzig Nr. 275.L4 erfolgen,