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Nr. 2 Gborlauflher Helmatzettung es nicht aus bloßer erlaubter Notwehr geschehen, baß der Bauer den Strolch erwürgte? Freilich, wahrhaftig, kein Richter könnte auf solch eine Handlung der Notwehr eine Strafe setzen! Der Überfallene ist unschuldig, wenn unter seinen Händen das Leben der anderen erlischt! Unschuldig, das war das Zauberwort, das dem Bauer nun seit einigen Lagen erlösend entgegentönte und ihm für kurze Stunden etwas von der früheren Festigkeit, dem früheren Gleich gewicht im Inneren wiederbrachte. Doch schon verdüsterten sich die Mienen des grübeln den Mannes wieder; sein Blick schlich furchtsam in den Hintergrund des Schuppens, wo eine kalte Finsternis lauerte. Wenn er schon unschuldig war, warum hatte es ihm sein Gewissen nicht gleich nach der Tat zugerusen? Warum hatte es ihm statt nüchterner Überlegung trügende Furcht geschickt? Warum jenes schaudervolle nächtliche Be gräbnis im Heideteiche? Warum die wochenlange Angst und Unruhe? Weshalb hatte er nicht Leute herbeigeführt zu der Leiche am Heidewege, nicht die Polizei benachrich tigt, nicht an Ort und Stelle jenen Überfall geschildert? Man hätte ihm ohne Zeugen geglaubt, ihm, dem ehren werten, unbescholtenen Bauern; die Sache wäre ordnungs gemäß untersucht, bekauutgegeben, weit und breit beredet worden. Aber er wäre doch frei gewesen, frei nach außen, frei nach innen, und Hütte nicht unter der Last zu stöhnen brauchen, die ihn jetzt beugte. Welch eine Dummheit war dies Begraben gewesen; nie wieder gutzumachen war die übereilte, in sinnloser Bestürzung vollbrachte Tat, zu der ein ungerechtfertigtes Schuldgefühl getrieben hatte! Nur die eine Hoffnung gab es nun noch, daß der verscharrte Leichnam im Teichschlamm unentdeckt bliebe. Aber wenn er gefunden wurde? Nun, keiner würde in dem Bauer den Mörder vermuten. Aber wenn er selbst es nicht mehr aus hielte, sein Geheimnis in sich glühen zu fühlen? — Der schwarze Hofhund, von seiner Kette gelöst, hatte sich eben durch das Schuppentor hereingestohlen und drängte sich plötzlich an die Beine seines Herrn. Der Bauer fuhr- erschrocken herum; sein Gesicht war fahl und er packte fluchend einen Rechen, um das Tier zu schlagen. Es floh nnt einem enttäuschten Winsellaut davon. Der Bauer nahm die Laterne und taumelte hinaus. * An diesem ersten Osterfeiertag waren sie, wie es sich gehörte, vormittags alle bis auf Georg in der Kirche ge wesen. Bald nach dem Füttern und dem Mittagessen be stiegen sie abermals die Räder und fuhren davon, nm in der nahen katholischen Pflege dem Osterreiten zuzuschauen. Der Bauer allein blieb zurück. Er hatte gebrummt, er habe keine Lust, sich auch noch zu den vielen tausend Zuschauern zu drängen; außerdem habe er die alte Sitte schon oft ge nug gesehen. Da wurde er denn von den anderen nicht lange mehr eingeladen, und schließlich war es ja ganz gut, wenn jemand das Haus behütete. Eine Weile stand der Bauer hinter dem Gehöft und blinzelte die Sonne au, die so heiter und hell von dein blaßblauen Frühlingshimmel herabstrahlte. Vielleicht hörte er das unermüdliche Jubilieren der Lerchen nicht und nicht die munteren Vogelstimmchen in dem noch kahlen Geäst der Gartenbäume. Die Saatfelder lagen blank und frisch grün vor ihm; die zarten Hälmchen reckten sich allent halben so sehnsüchtig dem Himmel entgegeen und waren schon so ins Sprießen geraten, daß sie fast alle die weißen Kiesel und die bunten Feuersteine verdeckten, die vor knrzem noch frei zwischen ihnen geblinkt hatten. Der Bauer kehrte durch die Scheune in den Hof und ins Hans zurück. Er ging mit müden, schleppenden Schrit ten, wie ein Kränkelnder, nnd warf sich drin in der halb dunklen Wohnstube ächzend auf das alte harte Sofa. End lich war er ganz allein, brauchte sich keinen Zwang mehr anzutuu, konnte sich, von niemandem beobachtet, so geben, wie es ihm ums Herz war. Und elend genug fühlte er sich oft, wenn er aus finsteren Grübeleien keinen Ausweg fand Dazwischen stellten sich freilich auch freiere und wohlere Tage ein, die in ihm sogar die Hoffnung aufleben ließen, die fortschreitende Zeit würde seine Übeltat mit Vergessen heit überdecken und die Stimmen verstummen machen, die letzt in ihm hin und wieder sprachen. Er schalt sich dann zu ängstlich und gewissenhaft und stellte sich als verzeihenden Richter über sich selbst. Mein Gott, wer wird sich eines solchen nutzlosen und verbrecherischen Strolches wegen so grämen! Er ist eben weg und niemand fragt nach ihm, und die Welt geht sehr wohl ihren Gang weiter, und damit basta! So zwischen Hellen und dunklen Tagen dahinlebend, nichts bekennend, den eigenen Erkenntnissen nicht trauend, hatte der Bauer den Entschluß gefaßt, auf alle Fälle den lieben Gott, der ja doch jeden Mord verboten hatte, zu besänftigen. So wurde er frömmer als er je gewesen. Er hatte, wie ein rechter Bauer, gewiß immer Gott zukommen lassen, was Gottes war, hatte ab und zu die Kirche und jährlich zweimal das Abendmahl besucht; aber jetzt ver säumte er an keinem Sonntage mehr den Gottesdienst. Man wunderte sich in der Familie und in der Nachbarschaft darüber; allein er antwortete auf Fragen und Anspielun gen kurz und barsch, er könne doch wohl tun und lassen, was ihm beliebe. Mit großer Aufmerksamkeit folgte er den Predigten, als sollte ihm von der Kanzel herab einmal plötzlich ein alles beschwichtigender Trost, ein endgültiges Vergeben entgegentönen. Er betete, ohne es sich äußerlich anmerken zu lassen, rechtete mit dem Herrgott oft, wenn er allein war, und legte ihm hundertmal aufs dringlichste seine Übeltat mit all ihren Entschuldigungsgründen vor. Würde ihm denn Gott nicht bald eine Antwort geben, ein Zeichen schicken, daß er alles eingesehen, alles verziehen Hütte, ihm die Last des unruhigen Gewissens abnehmen wolle? Wie oft, zu allen Tageszeiten, war der Bauer wie der an der Mordstätte und an dem kleinen Teiche gewesen; doch nie war ihm dort in irgend einer Gestalt die göttliche Gnade entgegengetreten; stets war alles stumm geblieben um ihn her, so still, daß er die vorwurfsvollen Stimmen des eigenen Herzens um so lauter vernommen hatte und gemartert üavongeflohen war. Zürnte Gott ewig? Zürnte er vielleicht so unerbittlich, daß er schließlich alles enthüllen und vor die Augen der Menschen bringen würde? Je später solch eine Tat aber ans Licht käme, desto schwerer müßte dem Täter die Verteidigung, die Klarlegung fallen. Der Bauer lag mit geschlossenen Augen auf dem Sofa, doch schlief er nicht; um seinen Mund zuckte es, und manch mal hob sich die breite Brust zu einem Seufzer. Sein Ge sicht war fahl und hager geworden; die ehemals vollen Backen lagen jetzt in schlaffen Falten, zwischen denen die schwarzen Bartstoppeln wucherten, und auf der Stirn hatten sich viele Falten eingegraben. Sein hartes, kurzes Haupt haar ergraute rasch, und der Bauer, der noch nicht einmal fünfzig Jahre alt war, sah doch aus wie ein sorgenvoller Großvater jenseits der Sechzig. Die Bäuerin sagte ihm manchmal, wenn sie auch regelmäßig eine grobe Erwide rung erhielt, offen ins Gesicht, er solle sich schämen, immer wie ein Leichenbitter dreinzublicken. Was wäre nur in ihn gefahren? Er hätte doch keinen Grund zum Klagen, er mit seiner hübschen Wirtschaft, seiner braven Fran, seinen wohl geratenen Söhnen! Was für ein Geheimnis schleppte er denn mit sich? Warum täte er ewig so verstockt und böse, als wären sie alle gar nichts mehr wert in seinen Augen? Nach einiger Zeit erhob sich der Bauer vom Lager; er gähnte und wanderte suchend in der großen niedrigen Stube umher. Er nahm von der Pvlza, dem Geschirr schrank, das Gesangbuch herunter und blätterte unschlüssig darin. Dann entdeckte er auf dem obersten Schrankbrert noch ein vergessenes Buch und zog es herunter. Es war ein Schulbuch mit arg beschmutzten und zerfransten Blät tern, eine „Biblische Geschichte deutsch und wendisch", ver«