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Luther-Erinnerungen in der Oberlausitz Der 10. November, der Geburtstag des deutschen Reformators und Kirchengründers, ist wohl besonders ge eignet, seiner in den Blättern der Heimatpresse in dieser oder jener Beziehung zu gedenken. Hat Dr. Martin Luther je den Boden der Oberlausitz betreten? Diese Frage hat bis heute keine befriedigende Lösung erfahren. Sollte es wirklich so ganz unbemerkt und unaufgezeichnet geblieben sein, wenn dieser bereits zu Lebzeiten oft genannte und vielbewunderte Mann mit unseren Vorfahren tatsächlich in persönlichen Verkehr getreten wäre? Keine sichere schrift liche Kunde, kein Zeitgenosse weiß davon zu berichten. Wie sich jedoch um alte geschichtliche Persönlichkeiten von über ragender Bedeutung von jeher ein Kranz von sagenhaften Überlieferungen gebildet hat, so läßt die Volkssage auch Martin Luther an verschiedenen Orten unserer Heimat als Gast und geistlichen Berater weilen. Als solche gelten zu nächst die beiden seinerzeit schon bedeutendsten oberlausitzer Städte Bautzen und Görlitz. Im altehrwürdigen Petridom der ersteren soll der kühne Reformator sogar gepredigt haben. Dies steht nun zwar von seinem Freund und Mitarbeiter Philipp Melanchthon fest, der bekanntlich im Jahre 1659 in Bautzen anwesend war, von Luther selbst schweigt leider die heimische Geschichtsschreibung. In Görlitz kennt man noch heutigen Tages den sogenannten Luther- steg, einen von der Nordwestecke des neuen Friedhofes nordwärts in der Richtung nach Klingewalde führenden aussichtsreichen Fußweg. (Vergl. „Neuer Görlttzer Anz." 1914, Nr. 134, mit Karte.) Von ihm geht die Sage, Dr. Mar tin Luther sei, als er auf seiner Reise nach Schlesien durch Görlitz gekommen und sich daselbst einige Tage aufgehalten, immer da hinaus spazieren gegangen und habe sich von der Höhe herab der schönen Gegend erfreut. Die gerade für Görlitz sehr reichlich fließenden ortsgeschichtlichen Aufzeich nungen erwähnen aber weder die Reise nach Schlesien noch den Aufenthalt des Reformators in der Stadt. Als dritter Ort, den derselbe besucht und an welchem er gepredigt haben soll, kommt das Dorf Bischdorf bet Löbau in Frage. Wenn in der im Jahre 1917 erschienenen, die „Einführung der Reformation in der sächsischen Oberlausitz" überschriebe nen „Festschrift der Lausitzer Geistlichkeit" ein Mitarbeiter schreibt: Endlich wird von dem schon 1227 als Kirchort ge nannten Bischdorf z. T. der einzigartige Vorzug behauptet, daß hier Luther, wahrscheinlich bei einer Kirchenvisitation, gepredigt, auch Melanchthon den Ort besucht habe, so bleibt er uns jedweden Beweis dafür schuldig. <S. 173. Vergl. auch alte „Sächs. Ktrchengalerie" 1840. S. 178.) Mit Bezug auf diese Nachricht und die Sage, nach welcher die mittlere mittelalterliche Bischdorser Kirchenglocke von der seit Jahr hunderten verfallenen St. Georgenkapelle auf dem Roth stein stammen soll, singt ein Oberlausitzer Heimatdichter: „Die Glocke der Kapelle hängt jetzt in Bischdorf dort. Wo Luthers Stimm' einst Helle gepredigt Gottes Wort." (E. Linke, Sagen aus den Heimatlichen Bergen. S. 14.) Anlaß zur Entstehung der Sage gab vielleicht die Tat sache, daß der erste evangelische Geistliche dieses Ortes, namens Bartholomäus Walde, zu Wittenberg ordiniert worden ist, allerdings erst 1553. Seine Ordinationsurkunde wird noch gegenwärtig im dortigen Pfarramt aufbewahrt und trägt die Überschriften von Philipp Melanchthon, Johannes Bugenhagen, Paul Eber, Sebastian Frösche! und Lucas Hetzer. Auch die Südlausitz hat ihre Lutherstätte, freilich hat auch an ihr die Sage hervorragenden Anteil. Es ist der am nördlichen Fuße des Ameisenberges im Zittauer Gebirge, nahe der alten Leipaer Straße im Olbers dorfer Forst gelegene Hungerbrunnen, ein wunder liebliches Plätzchen im Walde, ein Ort, so recht geeignet zum Sinnen und Träumen. Ein altersgrauer, kleiner Denkstein oberhalb desselben, dicht an -er Straße, trägt die Darstellung eines von einem Rosen- und Blätterkranze um rahmten Brotes und darunter die Umrisse eines betenden Kindes. Von ihm meldet die Sage, daß während einer gro ßen Hungersnot im Jahre 1539 eine fromme Mutter aus Zittau in ihrer Herzensangst mit ihren beiden Kindern an diesen Quell gegangen sei, um hier zu beten. Da sei ihr ein Engel vom Himmel erschienen und habe sie und ihre beiden Kinder gespeist und gesättigt. Was nun den Ort dieser sagenhaften Begebenheit in Beziehung zu dem großen deutschen Reformator gebracht hat, ist der Umstand, daß dieser die Erzählung in seinen „Tischreden", und zwar in der Abteilung „Vom Gesetz und Evangelio" ausgenom men hat. Nach einem Bericht habe der Engel der Frau ver kündet: „Siehe, weil du so beständig glaubest, so gehe heim, da wirst du drei Scheffel Mehls finden, damit du und deine kleinen Kinder in der Teuerung sollen versorget werden." Luther setzt dem noch hinzu: „Und sie soll's also nach sei nen Worten gefunden haben." Welche Bedeutung er dem wunderschönen Vorkommnis beimißt, geht aus seinem an gefügten Nachsatz hervor: Ist es wahr, so ist es ein groß merklich Mirakel und Exempel des Glaubens) ist es aber erdichtet, so ist es ein christlich und künstlich Gedicht, die Leute zum Glauben zn reizen." jNach Moschkau im „Ge birgsfreund" 2. 1890, S. 99.) Von einem Freund und Ver ehrer in Zittau hat Luther jedenfalls Kunde von dem selt samen Ereignis erhalten, von einem solchen ist vielleicht auch das einfache, kleine Denkmal errichtet worden. Am 9. November 1883, am Vorabend des 400 jährigen Geburts tages des Reformators, hat der Gebirgsverein Oybin zur Seite des Steines eine „Luthereiche" als bleibendes Wahr zeichen für spätere Geschlechter feierlich geweiht. Dieselbe hat sich seitdem kraftvoll entwickelt und breitet schützend ihre Äste über das anspruchslose Erinnerungszeichen an dieser heimatlichen Luthergedenkstätte so besonderer Art. O. Sch. Die wendische Oberlausitz Vor 80 Jahren, im Jahre 1848, erschien unter dem Titel „Die wendische Oberlausitz" ein Schriftchen, das der evangelische Pfarrer an der St. Michaeliskirche in Bautzen, E. T. Jacob, unter Mithilfe des katholischen Domkaplans zu St. Petri in Bautzen, I. Kutschank, und noch einiger Mitarbeiter von dem Verein zur Förderung wendischer Volksbildung verfaßt hat. Wenn auch einige geschichtliche Mitteilungen in dieser Schrift durch den jetzigen For schungsstand als überholt angesehen werden dürfen, so ver dient sie noch heute weiteste Beachtung, zumal sie einen ge nauen Überblick über den damaligen Stand des Wenden- tums in der Lausitz und über die Bestrebungen und Wünsche der Wenden gibt. Deshalb soll in vorliegender Arbeit ein Auszug dieses Werkes der Öffentlichkeit übergeben werden. Die heutigen Wenden der Oberlausitz sind Überreste des mächtigen slawischen Stammes, welcher sich im sechsten Jahrhundert im nördlichen Deutschland vom Bober bis zur Saale und dem Fichtelgebirge, südlich von den Böhmen und nördlich von den Lausitzern in der Niederlausitz begrenzt, festgesetzt hatten. Sie hießen Milziener und waren ein freies und friedliebendes, Ackerbau und Handel treibendes Volk und so mächtig, daß sie im achten Jahrhundert unter eigenen Häuptlingen 100 000 Mann ins Feld stellen konn ten. Karl der Große begann, der deutsche König Heinrich der Erste vollendete ihre Unterjochung um das Jahr 928 und errichtete zur Befestigung der deutschen Macht inner halb ihrer Marken die Festen Meißen, Halle und Magde burg. Nach ihrer Bekehrung zum Christentum, welche von da an betrieben wurde, begann man auch an ihrer Ver deutschung zu arbeiten. Als Folge davon verschwand das Wendentum zuerst aus der Umgebung von Meißen und Dresden,' erhielt sich aber an den Ufern der Spree, weil -ie Lausitz später bal- mit Polen, balL mit Böhmen, bald