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Turnerinnen zu nennen. Außerhalb des Programms boten die jungen Damen noch eine nette Bauernhochzeit und Herr May sang mit gepflegtem sonoren Baß eine Anzahl ansprechender Lieder. Schließlich sprach Herr Julius För ster-Mittelherwigsdorf den Dank der Gäste für die dar gebotenen Genüsse aus. Bruno Reichard. Geschichte eines Bauern Bon Theodor Schütze, Hainitz lFoitsetzung) Im Wirtshause des Nachbardorfes hatte mau den Bauer noch nie so lustig gesehen. Er lachte manchmal so laut und anhaltend über einen nebensächlichen Spaß, daß die anderen sich wiederum au seinem Lachen ergötzten. Er ließ auch etwas draufgehcn, trank und rauchte nicht nur selbst in erstaunlicher Weise, sondern gab sogar den Zech kumpanen einige Runden aus. Sie fragten ihn wohl, welchen Grund seine Heiterkeit und seine Freigebigkeit hätten, allein er lachte ihnen statt aller Antwort dröhnend ins Gesicht, zwinkerte vielsagend mit den Augen und er zählte ihnen gleich darauf irgend einen derben Witz. Es überraschte alle, daß er plötzlich aufbrach, ehe es noch drau ßen ganz dunkel geworden war, und sich, obwohl sein Gang unsicher und sein Sinn umnebelt erschien, um keinen Preis mehr zurückhalten ließ. * Während draußen in tollem Durcheinander die Schnee flocken wirbelten und ihr kleines weißes Leben im Morast des Hofes schnell wieder endeten, war man drinnen in der Scheune eifrig bei der Arbeit. Das „Klipp klapp, klapp klapp" der Dreschflegel ertönte unermüdlich in den licht losen Winternachmittag hinaus) aus dem knisternden Stroh hüpften die Körner empor wie erschrocken aufwachende winzige Schläfer. Man hörte die laute Unterhaltung der Drescher, die sich mit Reden gern die eintönige Arbeit ver kürzten. Um Dorfwichtigkeiten drehte sich das Gespräch, das die Bäuerin mit ihrer breiten Stimme immer wieder vor- wärtstrieb, und die beiden Bauernsöhne, der l8 jährige Georg und der 18 jährige Kurt, gaben bedächtig ihre Mei nung dazn. Am seltensten sprach noch der Bauer,' nur ab und zu warf er eine Bemerkung ein, und freundlich klang nichts, was aus seinem Munde kam. Doch das verwun derte niemanden in dem kleinen Kreise,- das war nun ein mal stets seine Art gewesen, zu Hause wortkarg zu sein und seine Worte lieber für andere, für Fremde aufzu sparen. Weder das Weib noch die Söhne machten sich viel daraus,- doch hatte die Bäuerin in der letzten Zeit öfters den Kopf geschüttelt und zu allen, die ihr zuhören woll ten, geäußert, der Alte würde immer brummiger, er wäre eine rechte „alte Hummel" geworden,- man spräche am besten gar nicht mehr mit ihm. Doch war sie selber weit entfernt davon, ihre Drohung zu verwirklichen,- dazu war sie zu geschwätzig und verwand es auch rasch, wenn sie sich bei dem Manne eine Abfuhr holte. Der Bauer war allerdings ein Grübler geworden: man sah ihn oft kopfhängerisch und allein dahergehcn, als hätte er über einer schwierigen Rechnerei zu brüten. Wer sich aber die Mühe nahm, ihn genauer zu beobachten, dem hatte es vielleicht auch nicht entgehen können, daß er manch mal vor sich hin murmelte, lebhaft nickte und dann für eine Weile munterer in die Welt sah, bis der alte Trüb sinn seinen Kopf wieder niederzwang. Was hatte er nur? Was war ihm in die Quere gekommen? Ex stand da und starrte in das raschelnde Stroh, während er mechanisch den Flegel hob, schwang und wieder herabsausen ließ, Doch kurz vor der Vesperzeit bekam er einen Anfall seiner besseren Laune, nachdem er einigemal heftig mit dem Kopfe genickt hatte. Während die Jungen das ausgedroschene Stroh von der Tenne räumten nnd die Bäuerin die Körner zusammenzufegen begann, verschwand er ins Haus und erschien bald darauf wieder mit einer Flasche Schnaps, die man im Gewölbe für besondere Fälle aufbewahrte, und mit einem Gläschen. „Jetzt wollen wir uns aber einen leisten!" sagte er. Sein Antlitz hatte sich entwölkt, und er schmunzelte, während das Glas die Runde machte. Beim Vespern war er gesprächig wie seit langem nicht. Als nachher der Nachbar zu einem kleinen Schwatz her überkam, standen sie eine lange Weile in dem engen Hofe herum und rauchten einträchtig ihre Pfeifen. Sie sprachen mit langsamen, wichtigen Worten von den Angelegenheiten ihres bäuerlichen Lebens und Wirtschaftens, und es fügte sich gar nicht richtig hinein, daß der Bauer seinem Freunde plötzlich die Frage stellte: „Sag mir doch, wenn Du jetzt nachts irgendwo gehst und es überfällt Dich so ein Strolch und Du schlägst ihn nieder und machst ihn tot: ist denn das ein Verbrechen?" Statt darauf zu antworten, sah ihn der Nachbar groß an und sagte belustigt: „Nun, nun, wie kommst Du darauf, Ernst? Du hast doch nicht etwa einem den Garaus ge macht?" „Nein doch, nein!" rief der Bauer lebhaft aus, und seine Augen tasteten derweil die Hauswände ab, „kein Gedanke dran, ich habe nur so dummes Zeug geträumt vorige Nacht. Aber sag nur mal, käme man da vor den Richter?" „Ich mein's nicht," sprach der Nachbar, „denn wenn mich einer überfällt, verdammt noch mal, da werd ich ihm doch nicht stillhalten und mich in Gott's Namen abmurksen lassen! Ich werd mich meiner Haut wehren, das versteht sich, und kommt's vor den Richter, so wird er mich frei sprechen müssen, das ist klar wie nur was!" „Ja, ja, das denk ich doch auch," nickte der Bauer,- dann begann er rasch von etwas anderem zu sprechen. Bald da nach, als der Nachbar sich verabschiedet hatte, nahm er sich eine Stallaterne und kramte in dem dunklen Schuppen herum, ohne etwas zu verrichten. Seine Gedanken zogen so heftig hin und wider durch sein Hirn, daß er seine Handgriffe tat wie ein Geistesabwesender und oft müßig, die Hände in den Taschen vergraben, vor sich- hin guckte. Sein Sinnen und Grübeln hatte in den letzten Wochen, statt sich zu lösen, zn schwinden, in unlösbaren, unbarm herzigen Kreisen um die Mordtat in der Herbstnacht ge schwungen. Er spürte es selbst, er wurde jetzt eiu ganz anderer als der er früher gewesen,- er, der starke, unemp- flndsame Bauersmann wand sich unter der ätzenden Pein, die ihm ein wundes Gewissen bereitete, und je gröber und härter er sich nach außen gab, desto gebeugter und hilfloser war er in seinem Inneren. Er fühlte, wie das, was er so gern dämpfen und wegstvßen wollte, an seinem Herzen weiter und weiter fraß wie ein heimtückisches Krebs geschwür, und da war keine Menschenseele, der er seine Qualen und ihren Grund beichten konnte. Ja, er hätte das nicht einmal zuwege gebracht,- denn er hatte niemals ge lernt und nie zuvor ein Drängen empfunden, seine Seele in einem noch so kleinen Teile vor irgend jemandes Auge zu enthüllen, Gefühle zu verraten, unbäurische Empfin dungen an den Tag zu legen. Sv schluckte er jetzt alle Bitterkeit und Schärfe seiner ruhelosen Gedanken in sich hinein und hatte daran zn würgen und verstärkte die schwärenden Gifte in sich mit jeder Stunde. An einem der letzten Tage aber hatte doch ein Heller Blitz befreiender Erkenntnis die höllische Finsternis seines Inneren durchleuchtet. Die Worte des Nachbars vorhin waren eine Bestätigung dessen gewesen, was er selber ge funden hatte, und er wunderte sich nun sehr und schüttelte den Kopf, daß ihm der Gedanke, der so nahelag, nicht viel eher schon gekommen war. Jetzt schien doch alles halb so schlimm, jetzt war er ja gar kein rechter Mörder! Hatte der freche Wegelagerer nicht den Kamps begonnen? War