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Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (7ortsitzimg) Schlimmer, viel schlimmer, ja mit einem Strahl töd licher Kälte durchzuckte die Erkenntnis sein Herz, daß eine täglich größer werdende Zahl der Einwohner insgeheim jubelte über die Wendung, die die Dinge genommen hatten, daß sie des Bischofs Sache durchaus nicht als ihre eigene betrachteten. Gegen Johann von Haugwitz hegte zwar kaum einer irgendwelchen Groll, allein der Fanfarenruf der Re formation hatte auch in Bischofswerda in vielen Herzen — und nicht in den schlechtesten — Widerhall geweckt. Diese Kreise waren es, die mit Freuden die Aussicht heranrücken sahen, vielleicht an Stelle des Bischofs den evangelischen Kurfürsten August von Sachsen zum Landesherrn zu be kommen. Unter Tanners eiserner Strenge freilich muhte sich alles ducken, was nicht gut bischöflich dem Glauben nach war. Aber man wartete mit Geduld, zumal auch bekannt war, daß der Nächste im Rang nach dem Bürgermeister und zugleich sein Freund, der Kämmerer Jakob Birckner, ebenfalls schon längst überzeugter Lutheraner war. Das war das andere Leid, das während der trüben Winterwvchen an Tanners Herzen fraß, und es zeugte für die Echtheit der Freundschaft der beiden Männer, daß sie über dem trennenden Riß, den der verschiedene Glauben zog, nicht in Stücken ging. Nach außen aber bewahrte Bern hard Tanner seine ungebeugte Haltung, nur seine stähler nen Augen funkelten zornig, wenn er Reden auffing, die seinen Ohren wehe taten. Den neuen Glauben haßte er als seinen bittersten Feind, haßte ihn so, daß er sein Vorhan densein in dieser Stadt ableugnete und zum ersten Male in seinem Leben vor einer Tatsache die Augen schloß und tat, als bestünde sie nicht. Nur aushalten, fest aushalten, sagte er sich. Es werden nicht mehr viele Tage vergehen, und der Bischof kommt mit stattlicher Macht zurück und nimmt sich sein verloren Land und sein verloren Recht wieder mit siegreicher Hand. An diese Hoffnung klammerte er sich, wenn ihm die Kraft zu versagen drohte. Vorläufig aber galt es zu warten und immer wieder zu warten. Eines Tages zog eine Anzahl abgesandter Bürger vors Rathaus, und als der Sprecher vor den Bürgermeister ge lassen wurde, überreichte er eine Bittschrift. Darin stand, daß die unterzeichneten Bürger die Sicherheit und Wohl fahrt der Stadt durch die Carlowitzschen Händel mit dem Bischof Johann von Haugwitz für arg gefährdet hielten und daher vorschlugen, den Schirmherr« Kurfürst August von Sachsen zum Beistand der Stadt und zwecks endlicher Schlichtung des Streites anzurufen. Dieser Weg friedlicher Beilegung erscheine allen Unterzeichneten gangbarer, dem Wohle des geliebten Bischofswerdas dienlicher als der von einem wohledlen Rat und besonders dem Bürgermeister eingeschlagene des bewaffneten Widerstandes gegen einen rücksichtslosen und beutelüsternen Gegner. Soweit hatte Tanner gelesen, die Lippen blutlos hart aneinandergepreßt. Jetzt hieb er mit gewaltigem Faustschlag das Papier auf den Tisch, daß die Draußenstehenden vor den Fenstern den Krach hörten und unwillkürlich zusam menzuckten. „Wahrhaftig," rief er mit schallender Stimme, „es hat doch zu jeder Zeit Bischofswerda an nichts mehr geman gelt, denn an einem guten Rat." Eiligst hängte er sich die Pelzhaube über und ging hin unter auf den Markt, wo die Menge unterdessen zu Hunder ten angewachsen war. Ein Wort aus Tanners herrsch gewohntem Munde schaffte Stillschweigen. Alle lauschten der eindringlichen Rede. „Meint ihr denn, ihr Männer von Bischofswerda, daß der Kurfürst uns zuliebe auch nur den kleinen Finger krümmen wird? Es liegt aus der Hand, daß er mit dem Carlowitz, der doch sein Stallmeister ist, gemeinsame Karte spielt und ihm nicht eher in den Arm fallen wird, bis jener sein Gelüst befriedigt hat. Und woran sollte jenem räube rischen Draufgänger mehr gelegen sein, als sich in unserer Stadt die Taschen voll zu stopfen mit unfern sauer erwor benen Reichtümern? Hat der Kurfürst nicht auch ruhig zu gesehen, obwohl es gegen sein eigenes Gesetz verstieß, als der schändliche Carlowitz überall im Stolpener Gebiet die Schäfereien und Teiche plünderte? War es nicht himmel schreiende Gewalt, wie er denen zu Rennersdorf ihr Vieh wegtrieb? Haben wir selbst nicht bereits genugsam an unse rem eigenen Gut von der Carlowitzischen Beutegier erfah ren, als seine Horde der Stadt Schafherden bei Geitzmanns- dorf raubte und unsere sämtlichen Hasennetze entwendete? Wo blieb da der kurfürstliche Schirmherr? Könnt ihr euch nun aus alledem eine Vorstellung machen, was uns er wartete, wollten wir dem Carlowitz unsere Tore öffnen und auf die Hilfe des Kurfürsten trauen? Das Fell würde man uns über die Ohren ziehen und den Spott hätten wir oben drein, daß wir, eine wohlbefestigte Stadt, zu feige wären, es mit einer Handvoll lumpigem Raubgesindel aufzuneh men. Ich sage euch, anstatt, daß ihr zum Kurfürsten bitten geht, helft euch selber. Das ist klüger! Legt Hand an, daß die Tore und Mauern verstärkt und verbessert werden, wo es nötig sein sollte. Jeder Mann, der eine Armbrust spannen kann, übe sich fleißig bei der Bürgerwehr. Dann wollen wir den frechen Carlowitz schon von unseren Toren verjagen, falls er es wirklich wagen sollte, unsere Stadt zu berennen. Und vor allen Dingen, wenn ihr oben auf den Wällen steht, vergeßt es niemals: Wir sind des Bischofs Stadt! Gleichwie in vergangener Zeit manchmal die Bischöfe mit helfender Hand eingestanden sind für unsere Stadt, so lasset auch jetzt unsere Stadt in Treue einstehen für ihren Bischof." Kein zustimmender Beifall ward laut zu diesem letzten Aufruf. Aber sonst hatte Tanner für diesmal gewonnenes Spiel. Denn nunmehr sahen alle ein, daß nur entschieden geleisteter Widerstand den Fehder Carlowitz davon abhal ten würde, auch Bischofswerda und seine Bewohner durch Raub und Plündereien empfindlich zu schädigen. Also tat man nach Tanners Geheiß, besserte und wer kelte an den Mauern, und die Bürgerwehr übte und ver vollkommnete sich jeden Tag mit schlichtem Eifer in der schwierigen Fertigkeit kunstgerechter Verteidigung. Veit Umblaufft, der junge Vetter Frau Donatens, hatte eine Art Sturmtruppe ins Leben gerufen, die sich aus lauter wagemutigen, kampflustigen jungen Leuten seiner Freundschaft und Bekanntschaft zusammensetzte. Es waren zumeist Söhne alteingesessener Familien, deren jugendlicher Abenteuerlust der ungewöhnliche, alle eingefahrene Ord nung aus den Gleisen schiebende Verteidigungszustand recht nach Gefallen war. Sie brannten darauf, daß aus dem Spiel, als das sie jetzt noch ihr Hantieren mit Bogen und Kugelschleuder ansahen, endlich Ernst würde und sie ihre Tapferkeit und Geschicklichkeit vor dem Feinde beweisen könnten. „Gesellschaft der guten Schützen" nannten sie sich nach der Waffe, die sie vornehmlich mit großer Gewandt heit handhabten. Sie hatten sich alle untereinander ver brüdert und gemeinsam einen heiligen Eid auf die Hostie abgelegt, für der Stadt Bischofswerda Schutz und Sicher heit jederzeit mit Leib und Leben einzutreten. Donate Birckner kam bisweilen und schaute in Gesell schaft anderer Frauen dem kriegerischen Treiben bei den Mauern zu. Dabei fehlte es nicht an Scherzworten, die zu den künftigen Helden hinüberflogen. Donatens lächelnde Heiterkeit blieb unberührt von der gedrückten Stimmung um sie her. Noch wollte ihr sorgloses Gemüt den Ernst der Lage nicht wahrnehmen. Zuweilen nur kamen Augenblicke,