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Wunden", und bey den Worten: „Schau her, hier lieg ich Armer", fielen sämtliche hier wohnende Orts-Geschwister auf ihr Angesicht, und weihten dem Herrn — so heißt es in einem Bericht von der damaligen Zeit — „diese Stätte zu Ehren Seines Sterbens und Blutens. Den darauf folgen den Sonntag, den 2. July, kamen alle auswärtigen Ge schwister zusammen und beteten auf dem neuen Saal die 1. Kirchen-Litaney." Das Gedächtniß dieses festlichen Tages erneuern wir in diesem Jahre mit herzlichem Dank gegen unfern lieben Herrn. Noch Einiges von der Geschichte der ersten 50 Jahre soll hier vermerket werden: 1. Unsre Kirchenfreiheit blieb ungestört, unser Saal vor allem Unglück bewahrt. Unsre Versammlungen und Predigten wurden auch aus der Nachbarschaft zahlreich besucht, so daß im Jahre 1802 der Saal bedeutend vergrößert werden mußte. Im Jahr 1764 hatte er einen Thurm und eine Schlaguhr bekommen. 2. Der Anfang unsers Gottes-Ackers fällt schon früher ins Jahr 1756. Die Gelegenheit dazu war, daß der Bru der Nils Randrup auf seiner Reise nach Suriname hier heimging. Man begrub ihn in dem damals dort befind lichen Birkenbusche, zäunte bald eine Stelle ein und pflanzte eine dahin führende Linden-Allee. Die hiesigen und aus wärtigen Geschwister brachten Bäume dazu, und jedes setzte den seinigen selbst. 3. Am 10. August 1765 wurde das jetzige ledige Brüder- Chor-Haus bezogen. Die Aufführung deßelben an einer Stelle, wo herrschaftlicher Eichenwald gestanden hatte, war mit vielen Schwierigkeiten verbunden gewesen, wobey der sel. Br. Langerfeld viel Treue bewies. 4. Schulen für Knaben und Mädchen wurden früh zeitig angefangen und unter vielfachen Veränderungen für Einheimische und Fremde fortgesetzt. Sie wurden mit den in der Folge entstandenen Anstalten zusammengeschlossen. Die Knabenanstalt bekam im Jahr 1778 und die Mädchen anstalt 1781 ihr eigenes Haus. Diese beiden Häuser wurden in der Folge durch Anbau vergrößert. 5. Im Jahr 1778 wurde auch ein Diaspora Haus ge baut, zur Bequemlichkeit der mit uns verbundenen aus wärtigen Geschwister. In der Ober- und Nieder-Lausitz konnte man sich ihres Gedeihens freuen. In letzterer Gegend hatten sie lange Zeit Druck und Verfolgung aus- zustehen: sie wuchsen aber in der Zeit an Zahl und Gnade und der Heiland schenkte ihnen wieder Stille und Ruhe. 6. Am 7. März 1767 entschied unser lieber Herr durchs Loos, daß die hiesige Gemeine ganz nach dem Muster der übrigen Gemeinen zu behandeln sey. 7. Im Äußeren bewahrte der Heiland unsern Ort in Gnaden vor Schaden und Unglück. Bey den gefährlichsten Aussichten im 7 jährigen Kriege nahm Er uns in seinen Schutz. Am 1. July 1760 verbreitete Angst und Schrecken ein Vorposten-Gefecht, bey welchem ein Preußischer Husar er schossen wurde, sonst kam niemand zu Schaden. 8. Ohne des Herrn unermüdete Hirtentreue wäre der innere Gang der Gemeine schon bald nach ihrem Anfang in den jammervollsten Abweichungen zu Grunde gegangen. Mit Recht nennen wir bas Jahr 1760 eine schmerzhafte Sichtungszeit. Der Schaden war so groß, daß man sich ver anlaßt fand, in einer allgemeinen feyerlichen nnd mit un zähligen Thränen begleiteten Versammlung über die ganze Gemeine eine Absolution im Namen deßen auszusprechen, der da sagte: „Welchen ihr die Sünden erlaßet, denen sind sie erlaßen." Die Zahl der damaligen Gemeine findet sich nicht aus gezeichnet. Beym Schluß des Jahres 1750 bestand sie ans 98, am Schluß des Jahres 1807 mit Einschluß von 59 frem den Pensionairs in den Anstalten, aus 430 Einwohnern. Seit dem Jahre 1751, mit welchem das hiesige Kirchen buch anfängt, sind 69 Ehepaare getraut, unter welchen unsre nunmehr sel. entschlafenen Geschw. Sommers das erste waren, 242 Kinder geboren und 387 Personen heim gegangen. Als Gemein-Arbeiter haben 24 Ehepaare, als Chor- Arbeiter der ledigen Brüder 26 Brüder, als Chor-Arbeite rinnen der led. Schwestern 17 Schwestern und als Chor- Arbeiterinnen der Witwen 4 Schwestern die Gnade ge habt, dem Heiland in der hiesigen Gemeine zu dienen. Ihm sey Ehre zu aller Zeit in der Gemeine, die aus Ihn wartet und um Ihn her ist, von Ewigkeit zu Ewig keit. Amen." Im Wesenitz- und Potenzial Von Martin Weise, Dresden Die weißen Birkenschäfte lassen ihre goldenen Schleier im Winde wehen und schütteln den Tau und Regen ab, der am frühen Morgen gefallen. Der Westwind schiebt große dicke Wolkenballen vor sich her, hinter denen die Sonne Verstecken spielt. Die Wälder, an denen der Zug vorüber gleitet, lodern im Herbstbrand, leuchten wie die bunten Gewänder schöner Frauen auf einem Fest. Die Wiesen da gegen gleichen gelben, schmutzigen Tüchern, flüchtig hinge worfen zwischen dunkle Acker und blau-grüne Felder. In den Waldtälern brodeln noch die Morgennebel; weiße Schwaden wälzen sich durch die Gründe und zer fließen. In Großharthau verlassen wir den Vahnwagen, in dem viele frohe Kirmesgäste in die Lausitz weiterfahren. Jenseits der Bahnlinie liegt das Dorf Großharthau mit der Kirche und dem Schloß mit seinen stattlichen franzö sischen Parkanlagen, in denen originelle Sandsteinstatuen den Frühling, Sommer, Herbst und Winter darstellen. Ein Säulchen im Park trägt eine Sonnenuhr und die sinnige Inschrift: Gleich wie der Sonne Schatten — Schnell und bald vergehen — Alß daß Menschen Leben mag auch nicht lang bestehen — und die Jahreszahl 1752. Bon der Dresdner Landstraße geht ein Feldweg nach dem Dorfe Bühlau, das sich mit seinen Häusern und Müh len im Tale hinzieht und sich hinter Berglehnen und dunk len Büschen verbirgt. Wie prächtige Kulissen erheben sich hinter dem langgestreckten Dorfe der Hutberg und der Butterberg. Ein flüchtiger Gruß gilt den breiten Linden und Kasta nien, die am Eingang des Dorfes die Wache halten, dann folgen wir dem Lauf der Wesenitz und sind bald in einem der lieblichsten Täler. Zu beiden Nferseiten breiten sich Wiesenauen, dehnen sich Hänge mit Obstbänmen und dich ten Waldbeständen. Eine Fabrik nutzt die Wasserkraft der Wesenitz aus und hat sich in das einsame Tal gesetzt, das der Herbst in verschwenderische Farben getaucht. Und ein Stück weiter dreht der muntere kleine Fluß die Näder der Scheibenmühle und der Buschmühle. Schier undurch dringlich ist in ihrer Nachbarschaft der Wald. Wir klettern den steilen Hang empor. Der Wind pras selt in den vertrockneten Brombeerblättcrn nnd der Dorn busch hakt sich in unseren Kleidern fest. Ein Häher lärmt hinter uns, Krähen ziehen mit wüstem Geschrei unter dem bunten Herbsthimmel ihre Kreise. Künden sie Mensch nnd Tier mit ihrem heiseren Schrei schon jetzt den Winter an? Und als wir ans des Waldes Dickicht die Landstraße nach Lauterbach betreten haben und sie unter ihren frttchte- beladenen Obstbäumen ein Stück gezogen sind, steigt ur plötzlich Stolpen wie eine Fata Morgana aus dem Nebel vor uns ans. So mächtig ist der Eindruck nnd so über raschend steht dieses gewaltige Bild tn der Landschaft daß wir unwillkürlich die Schritte hemmen und verweilen.