Volltext Seite (XML)
Mit ausgebreiteten Armen ging er auf Agnes zu und führte sie zu einem der Polster an den teppichbekleiöeten Wänden. Lange, lange gönnten sie sich das verliebte Kosen in traulicher Geborgenheit. Agnes glühte und bebte zu gleich. Die Mädchenangst wurde endlich in ihr übermächtig, daß sie sich loswand und einige fiebernde Schritte tat, ehe sie Johannes gegenüber stehen blieb. „Ich will dir nicht wehe tun, Agnes, sei ganz ruhig, du hast nichts von mir zu fürchten, mein Liebling." Sacht streichelte er ihr das Haar. Ihre Lippen zuckten und waren fest geschlossen. Aber aus ihren dunklen Augen, die er so liebte, daß er sie immer hätte küssen mögen, traf ihn ein Blick, ein Blick, den er nicht enträtseln konnte. Sprachen diese abgrundtiefen Augen eine andere Sprache als ihr Mund? Schlaff ließ er die Hände sinken und zögerte. In diesem Augenblick trommelten knöcherne Finger aufgeregt gegen die Tür und die schreckheisere Stimme des Dieners rief: „Um Himmels willen, rettet Euch, gnädiger Herr! Der Carlowitz ist mit seinen Reitern in der Burg. Sie wollen Euch fangen. Flieht, flieht, so schnell Ihr könnt, aber nicht nach der Stadt zu, dort lauern die Carlowitz- schen. Flieht!" Nach der ersten Benommenheit verstand Johannes blitz schnell die furchtbare Lage, in der er sich befand. Den rohen Gegner erwarten mit kampfungeübter Hand? Unmöglich! Aber die Schmach seiner Gefangennahme mußte er um jeden Preis verhindern. Darum konnte wirklich nur schleunigste Flucht ihm dienen. „Ich muß fort," stieß er heraus. „Du mußt fort?" wiederholte tonlos das Mädchen. Nicht einmal zu einem letzten Kuß blieb ihnen Zeit. Der Bischof hastete über versteckte Stiegen und entkam durch einen engen, sonst unbenutzten Ausgang in den Tier garten. Seinen Feinden war er entronnen. Ohne Aufent halt floh er weiter und ließ seine Liebe, sein Schloß Stol pen und sein Hochstift Meißen dahinten. Bor ihm lag die Zukunft wie eine brodelnde, unergründliche Tiefe. Agnes lehnte schwindelnd gegen den Tisch in der Mitte des Saales. Vor Schreck und fürchterlicher Verwirrung war sie nicht fähig zu denken und zu begreifen. Das arme Mädchen hätte sich am liebsten in einen Winkel verkrochen und laut geweint. Von draußen aus dem Hofe Herauf hörte sie rauhe Stimmen rufen: „Sucht ihn! Ich sah ihn noch soeben! Er muß noch in der Burg versteckt sein!" Dann wurden klirrende Schritte auf der Treppe laut, näherten sich der Tür. Agnes lauschte gequält. Was um Gottes willen sollte aus ihr werden? Sie mußte sich zu sammen nehmen und wenn es ihre letzte Kraft kostest?. Schon sprang die Tür unter jähem Faustschlag auf, und ein Mann, den Degen in der geballten Faust, erschien im Türrahmen. Scharf ließ er seine Blicke durch den prunk vollen hohen, düster erleuchteten Saal gleiten, bis sie in sichtlicher Überraschung an dem jungen Weibe haften blie ben, bas blaß und stolz keinen Schritt vom Platze wich. »Ihr, Fräulein von Haugwitz! Was habt Ihr hier zu suchen um diese Zeit?" Agnes hatte ihre Fassung wieder gewonnen: „Mit besserem Rechte könnte ich die Frage an Euch stellen, Hans Krähe," antwortete sie abweisend. „Doch wenngleich Ihr als Räuber hier eingedrungen seid, nehme ich trotzdem an, daß Ihr als Edelmann einer Dame, die zufällig Gast dieses Schlosses ist und die Euch noch dazu nicht fremd zu sein scheint, sicheres Geleit durch die Hor den Eures Führers nicht verweigern werdet, so sie Euch darum bittet." Hans Krähe achtete kaum auf ihre Rede. Er sah nur, wie überwältigend schön Agnes war, und daß er ihr allein gegenüberstand. Hans Krähe war ein verirrter Sohn, der dem ehren geachteten Geschlechte der Krahes in Großharthau nicht ge rade zur Ehre gereichte. Er trug die Offiziersschärpe über dem buntgeschlitzten Wams und hatte sich mit seinem Fähn lein Söldner vom Carlowitz für dessen Raubzug ins Stift Meißen anwerbcn lassen. Er war ein mächtig großer Mann mit schönen, sorglos verwegenen Zügen und wellig brau nem Haar. Mund und Augen verrieten, daß er in Liebes sachen reichlich erfahren war. Agnes war ihm von Putz kau her aus früheren Jahren bekannt. Unter seinem rücksichtslos musternden Blick fühlte sich Agnes erröten. Sie strich ihr Kleid und Haar zurecht und fragte, bemüht ihrer schwankenden Stimme Festigkeit zu geben: „Ich bitte Euch, versteht mich recht. Ich wünsche nichts als unbehelligt die Burg verlassen zu können." Hans Krähe zuckte mit keiner Miene, während er rasend schnell überlegte. Das Weib da vor ihm war blen dend schön in ihrer stürmischen Erregung, die sie ver gebens zu unterdrücken suchte. Doch seine Begierden muß ten sich ohnmächtig verkriechen vor der unnahbaren Hoheit des Mädchens. Zudem ließ sich auch die nüchterne Erwä gung nicht von der Hand weisen, daß es wohl kaum ge raten schien, sich an einer Tochter des Adels zu vergreifen. Hans Krähe war sich sowieso klar darüber, daß schon der geplante Überfall auf den Bischof keine gute Sache war und womöglich üble Folgen haben könne. Vesser, man ließ das Fräulein dahin gehen, wo sie hin gehörte. Zur Verräterin würde sie kaum werden. Sah sie doch mehr aus, als wäre sie froh, wenn sie selbst nicht verraten würde. Hans Krähe lächelte spöttisch und verständnisinnig. Er kannte sich aus in Frauen, auch wenn sie sich stolz gebärde ten wie diese hier. Artig schwenkte er seinen Federhut und versicherte sie mit gewinnenden Worten seines Schutzes bis vor die Tore Stolpens. Wortlos, insgeheim befreit aufatmend, schritt sie an ihm vorbei auf die Türe zu, ohne noch einen Blick nach dem Raum zu werfen, der ihre Liebe beherbergt hatte. Krähe folgte ihr auf dem Fuße und ließ entzückt keine ihrer feinen, sicheren Bewegungen seinen Augen entgehen. Das Pferd war bald herbeigeholt, und als er das Mädchen Höflich in den Sattel hob, empfanden seine kräftigen Arme mit Behagen ihre Schwere. Das Ziel seiner schnell erwach ten Wünsche stand von da an unverrückbar vor ihm. Er schwor sich, dieses Weib zu besitzen und wußte auch schon, auf welche einfache Weise ihm das gelingen sollte. Agnes vergaß die Begegnung mit Hans Krähe, sobald sie Stolpen und die Schrecken dieser Nacht im Rücken hatte und ahnte wenig, daß dieser Mann gewillt war, noch viele Male in ihrem Wege zu stehen. Regen rann in Strömen. Irgendwo von den Dörfern schlug die Glocke Mitternacht. Agnes schauderte, als sie auf einsamer Straße dahinjagte. Hilflos wand sie sich in den Krallen kläglicher Angst. Die überstandene Gefahr hinter ihr, der endlos erscheinende Ritt in entsetzlicher Finsternis, dazu die Ungewißheit, wie sie zur Nacht unerkannt nach Bischofswerda hineinkommen sollte, raubten ihr fast die Besinnung und übertäubten vorerst die Erinnerung an das schicksalsbeladene Geschehen der letzten Stunden. Allmählich aber, während der wahnsinnig fliegende Pulsschlag in den Schläfen zu leise zitterndem Pochen verebbte, gewann das eben Vergangene wieder grausame Wirklichkeit. Es war ein Meer von Liebe und Weh, in das Agnes nun stürzte. Tief, tief senkte sie sich hinunter in dieses Meer bis auf den Grund. Dort griff sie die schimmernde Perle, die Treue, deren sanfter unveränderlicher Glanz ihr das Düster der nächsten Zukunft lichter machen sollte. Ja, treu wollte Agnes sein, Treue halten dem entrissenen Ge liebten. Mit diesem Gelöbnis brachte Agnes von Haugwitz den Zwiespalt zur Ruhe, der bereits jetzt jn ihrem Herzen seine verderbliche Stimme erhob.