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Mauern und Türme Ein Roman aus Bischofswerdas Vergangenheit Von Marie Hildegard Müller, Bischofswerda (Fortsetzung) So aber dankten die Liebesleute immer wieder dem Geschick, das ihnen ein wenngleich seltenes, so doch trau liches Beisammensein nicht wehrte. Johannes konnte sich satt und wieder durstig trinken an den Lippen, die sich ihm entgegenschwellten. Da konnte seine Wange sich hinabgleiten lassen an dem schwarzen Haar, das glatter und glänzender war als Samt und Seide. Die federweichen Hände, die so begierig waren, ihn zu Herzen, konnte er um seinen Nacken fühlen und was das allerwonnigste war, er konnte seine Arme um Agnes werfen und den jungen Leib an sich drücken bis das Blut aufsang und der Wirbelsturm der Liebe sie beide schüttelte. Was verschlug es hernach, wenn Widrigkeit auf Widrigkeit sich häufte, wenn er mit heimlich wachsender Angst erkannte, daß die Carlowitze nur darauf aus waren, ihn zn Fall zu bringen und der Kurfürst in Dresden, der sich doch Schirmherr des Bistums nannte, hohnlachend zusah, wie dem Bischof von Meißen unter fadenscheinigem Vorwand Schaden und Unrecht angetan werden sollte? Gewiß hatte der Kurfürst die Hand mit im Spiele. Be drängte, ja beherrschte er ihn doch in unerhörtem Maße, entriß ihm Machtbefugnisse, die seit Jahrhunderten allein in den Händen der Bischöfe gelegen hatten. In brennen der Scham über seine Ohnmacht und nur unter dem allzu harten Zwang der Verhältnisse überwand er sich endlich, beim Kaiser Ferdinand in Prag um sein beleidigtes Recht zu klagen. Jedoch der Kaiser ließ seine dringlichen Briefe in kluger Politik vorerst unbeantwortet. Dies alles hätte genügt, um auch eine stärkere Kraft als die des Johannes von Haugwitz aufzureiben und niederzudrücken. Indessen empfand er, was ihm geschah, mit einem seltsamen Gefühl von Unwirklichkeit, als könnte ihm nichts ernstlich Böses widerfahren, solange Agnes' Augen so tief in Liebe schwam men, daß er den Grund nimmer finden konnte. Johannes hatte mit Agnes, wie ost schon, in der Busch mühle kurze Einkehr gehalten. Sie verabschiedeten sich von der freundlichen Wirtin, von der sie wußten, daß sie die Liebenden nicht in der Leute Gerede bringen würde, und traten hinaus ins Dämmern. Hand in Hand schritten sie langsam den Grund vollends hinauf. Ihre Pferde waren den Weg gewöhnt und ließen sich trotz der schlechten Straße willig am Zügel führen. Die Wesenitz zu ihren Füßen rauschte eintönig in ihrem Bette, die Maienmunterkeit der Wellen war längst dahin, Regen güsse hatten sie trübe und schlammig gemacht. Kein Stern stand am Himmel. Hin und wieder streifte eine verspätete I Nachtmotte mit mattem Flügelschlag ihre Wangen. Obwohl es schon tief in den September hineinging, bedeckten Ge witterwolken den Himmel, und einzelne schwere Tropfen fielen. Die Luft war feucht und ungewöhnlich lau zu atmen. Schweigend wurde der Weg zurückgelegt. Dort, wo das Tal auf die breite Straße mündete, standen sie still. „Du mußt umkehren, Liebling," mahnte Johannes. Wie immer, wenn sie sich trennten, hing Agnes gleich einer Er trinkenden an seinem Halse und fand lange nicht die Kraft, ihn loszulassen. Ein feuriger Wetterschein flammte über den nächtlichen Himmel. Für einen Augenblick tauchte die Burg Stolpen steil und drohend auf, um sofort wieder ge spenstisch zu verschwinden. Johannes umspannte Agnes noch fester in seiner Umarmung und legte seinen Kopf an ihr Ohr. Mit verhaltenem Atem flüsterte er: „So jämmerlich obdachlos ist unsere Liebe, Agnes, ach, daß du mit mir kämest auf den Stolpen, einmal eine Stunde nur." Agnes erschrak unter seinen Worten. Es lag ein Klang in seiner Stimme, der ihr das Innerste auswühlte. Sie fühlte, wie da etwas aufstand und nach ihr greifen wollte, vor dem sie sich in Entsetzen verschloß und das sie doch in heimlichsten Gedanken schon längst sehnsüchtig durchkostete. Denn so stand es zwischen den beiden: Wenn sie auch ge schwelgt hatten in allem, was zärtlichste Liebe zu schenken vermag, so hatten sie doch von dem trügerisch-lockenden Paradiesapfel noch nichts genossen. Nun aber nach seiner Frage stand sie der Entscheidung gegenüber, vor der es kein Ausweichen gab. War ihre Liebe groß genug, daß sie nicht selbst sich verachten mußte als Geliebte eines Bischofs? „Komm mit mir, meine Agnes," bat Johannes die Zögernde noch einmal leise. Seine Worte allein waren eine Liebkosung, der sie erliegen mußte. Sie atmete hoch auf und ging dann sichern Fußes nach Stolpen hinauf. Durch ein schmales Ausfallspförtchen betraten sie die Burg von der Stadtseite her. Trotz der hier und da auf gesteckten Kienfackeln lag der Hof im Dunkel. Agnes stieß hart gegen ein Gemäuer, so daß sie, um nicht zu fallen, un willkürlich Johannes Arm umklammerte. „Sieh dich vor, die Zisterne ist viele Klafter tief. Lege deine Hand doch hierher unter den Rand,- fühlst du die kantigen Basaltsäulen? Das ist schwarzer Feuerstein, der überall hier in die Höhe schießt. Er trägt das Schloß und ist so zäh und hart, daß er uns alle überdauern wird. Komm, laß deine Hand nicht zu lange darauf ruhen: es ist ein böser, heidnischer Stein, der Leidenschaft ins Blut gießt." Agnes lächelte, griff spielend nach seiner Hand und preßte sie neben ihre eigene gegen das feuchte Gestein. Im Kapellenhof trat ihnen ein Diener entgegen, grüßte ehrerbietig und öffnete die Flügel zum Palaste. Agnes mußte zu Boden sehen, die Tränen traten ihr in die Augen. Hastig stieg sie die Treppen hinauf. Ihre Verlegenheit war z unnötig, denn der Diener war alt geworden im Dienste ? der Bischöfe und hatte gelernt, Augen und Zunge und selbst ? die Gedanken in Zucht zu halten. Ehe der Diener die Tür i des Saales hinter dem Bischof schloß, gab er seinem Herrn einen verstohlenen Wink, daß er noch etwas unter vier Augen zu melden habe. Der Bischof kehrte bis zur Schwelle um. „Nun?" fragte er gedämpften Tones und ohne Wiß begier. In letzter Zeit hatten neue Nachrichten selten etwas Gutes für ihn enthalten. „Pater Nikolaus Gruner, Euer Kapellan, läßt Em. Bi- schöfl. Gnaden sagen, er habe aus Vorsorge die zinnerne Truhe von St. Bennoni Gebeinen aus der Schloßkirche entfernt und in seiner eigenen Wohnung zu besserer Sicher heit verwahrt." Der Diener stockte. „Gefahr ist im Verzüge, Ew. Bischöfl. Gnaden. Während der Abwesenheit Ew. Bi- schöfl. Gnaden sind Gerüchte in der Stadt lant geworden, daß der Carlowitz mit einer Bande Helfershelfer in das Stiftsgebiet zn Wnrzen eingebrochen ist und dort wie wild gehaust hat. Man glaubt, daß er jetzt bereits auf geradestem Wege nach hierher unterwegs ist. Gott bewahre uns! Die sem Kerl, den der und jener holen möge, ist es zuzutrauen, daß er gar die Mauern dieser Burg bei Nacht übersteigt, wenn er sie mit offener Gewalt nicht nehmen kann." Der Bischof schnitt ungeduldig das Gejammer ab, und der Alte schlich sorgenvoll hinweg. Johannes furchte die Stirn in Unmut und Ratlosigkeit. So war der unverschämte Fehdebrief des Hans von Earlowitz auf Zuschendorf dock ernst gemeint, den er vor einigen Tagen erhalten batte. Aber Gefahr, Gefahr für ihn selbst, hier ans Stolpen? Mor gen früh wollte er mit seinen Räten beschließen, wie man allen Zufällen am besten begegne. Aber diese Stunde jetzt wollte er sich durch nichts entreißen lassen. Er wandte sich. Dröhnend warf er die Tür ins Schloß und schob den eiser nen Riegel vor. Nun war alles Finstere ausgeschaltet und dort, nur durch die Breite des Zimmers von ihm getrennt, wartete das liebetrunkene Leben auf ihn.