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Automobile sausen auf der Landstraße vorbei, Staub legt sich auf die bunten Blumen^ die versuchen wollen, den grauen Alltag zu verschönen. An der staubigen Landstraße liegt irgendwo eine Schenke „Zur Fichte", „Tanne", „Wald- hauö" usw. genannt und ist doch kein Wald da. Ja einst, da waren es einsame Fuhrmannskneipen mitten im Wald, voll Romantik und Gruselgeschichten, ebenso wie die Busch mühle in der Nähe, die so alt ist, daß sie auch nicht mehr weiß, wann eigentlich hier Busch gewesen war, sicher ist das schon sehr lange her. Dasselbe meint auch die Haarth- mühle, die jetzt im Dorfe liegt, obwohl sie von ihrer alten Stelle nicht weggelaufen ist, und die die Leute schon immer anders benennen wollten, weil sie nicht wußten, was Haarth heißt, und von Wald ist ja auch wirklich nichts zu sehen. In der Ebene im Norden und im Neißetale da gehen die Veränderungen noch schneller vor sich. Wald wird ge fällt, Dörfer werden abgebrochen, weil man nach dem Walde sucht, der in vieltausendjährigem Schlafe darunter ver borgen liegt. Durch die abgebaggerten Landmassen sind trostlose wüstenhafte Gebiete geworden, über die der dicke bräunliche Rauch aus den Türmen der Brikettfabriken schwebt. Auf Bergen hat sich der Wald noch am längsten und oft auch am urwüchsigsten erhalten. Doch wehe, wenn der Mensch entdeckt, daß Schätze darunter ruhen, dann reißt er unbarmherzig tiefe tödliche Wunden in die Schön heit des Berges und wühlt aus ihnen Steine heraus, die er in die Städte schleppt. Heulende Maschinen übertönen das Klagelied des sterbenden Waldes und gellende Pfiffe zerreißen herzlos das wehmütige Abendlied der Drossel. Wo aber der Berg „wertlos" ist, wo nur ein verwachsener Pfad sich durch Brombeergestrüpp und Ginster windet, da muß gar bald ein Gasthaus, besser „Baude" genannt, hin. Von einem Turme aus kann man den vergeblichen Versuch machen, Berggipfel zu suchen, die noch unberührt sind, und eine Straße ermöglicht den knatternden Maschinen, zu zeigen, daß sie auch diese Höhen überwinden können. Sümpfe und Bruchwälder bildeten bis in unsere Tage ein Stück unberührter Natur, bis auch hier des Menschen Hand zerstörend und für sich aufbauend eingriff, Gräben zog, das Land trocken legte, Flüsse regulierte, und wo noch vor fünfzig Jahren das Wasserhuhn schrie und die Rohr dommel bullerte, da wogen jetzt Getreidefelder, und blanke Hausgiebel schauen über blühende Holderbüsche herüber. In schwarzbraunem Graben aber fließt langsam das klare Grundwasser in den Fluß. Dort verblutet das Moor seine letzte Kraft. Die Straßen der guten alten Zeit führten wegen die ser Sümpfe meist über Höhen. Sie waren schlimmer als die schlechtesten Waldwege es jetzt sind, und doch brachten die Fuhrleute den Reichtum des Kaufherrn auf ihnen durch die festen Tore in die Stadt. Neugierig lugten die spitzen Giebeldächer über die wehrhafte Mauer, ob etwa Ritter von dem „festen Huse", das mit seinen Zinnen dort ver stohlen aus dem Walde lugte, neidisch um die Stadt lun gerten und einen Anschlag auf des Kaufherrn und der Stadt Gut planten. Die eiserne Straße der Neuzeit führt im Tale die Waren hin. Aus der alten Kaufmannsstraße wurden schmale Feld- und Waldwege. Vergessen träumt wohl noch das Städtchen hinter zerbröckelnden Mauern von einstigem Glanze, der ach so lange schon verblichen, und aus mancher freien Reichsstadt ist später wieder ein be scheidenes Dörfchen geworden. Im Dickicht aber träumen die zerbrochenen Mauern jener Burg von stolzen klirren den Zeiten, und nur das Käuzchen klagt in ihnen. Die Stadt im Tale aber, wo der Vruchwald lange das Vordringen verhinderte, sprengte ihre Fesseln. Mauern und Türme fielen der neuen Zeit zum Opfer, und weit über das ehe malige Weichbild der Stadt floß das Häusermeer, Dörfer und Gehöfte mit verschlingend, nur der grüne Kranz der Anlagen mitten im Innern verrät, wie es einst war. Die zahlreichen Bahnen, die die Stadt mit der Welt verbinden, laufen als eiserner Strahlenkranz von ihr aus, unzählige Drähte spannen ein Netz darüber, darinnen sitzt sie ge fangen in dem, was sie selbst schuf, die arme Großstadt. Doch so hell wie auf dem Dorfe scheint das Licht nicht in der Stadt, darum hat sie ewig Hunger nach Licht. Weit draußen war ein weltvergessenes Tal. Bunte Wiesen zau berten eine unbeschreibliche Pracht in diese Einsamkeit, die durch das moosüberwucherte Dach einer Mühle, das hinter blühenden Kastanien sich verbarg, nur noch stiller, noch zauberischer wirkte. Außer ein paar Malern, die die Schön heit dieses Fleckchens durch ihre Kunst nur veredelten, kam niemand hierher, es schien die Weltenuhr hier stille gestan den zu sein. Der unschuldige Wiesenbach, der sich unter den riesigen Peftwurzblättern verbarg, als fürchtete er sich vor den grauen Weiden, die mit zerrissenen Rtndengesichtern nach ihm starrten und mit schwanken Armen nach ihm lang ten, wurde die Ursache zum Untergänge der Herrlichkeit. Aus der Stadt kamen doch einmal mehrere Männer durch das hohe Gras gestapft, daß die Grillen erschreckt in ihrem Liede schwiegen. Sie haben gemessen und gerechnet und viel Zahlen auf Papier geschrieben. Vier Wochen später, als die Wiesen gehauen waren und das Heu in duftenden Schobern lag, legten Arbeiter Feldbahngleise in das Tal. Ein Ungetüm kam darauf angekeucht und fraß tiefe Wun den in die Abhänge des Tales. Die alten Weiden fielen unter Beilhieben und selbst die alten Kastanien stürzten eines Tages krachend um. Ja selbst die Mühle, die schon zweihundert Jahre hier träumte, schien auswandern zu wollen. Der Müller war schon fort, jetzt trug man Dach und Balken ab, und auch das grüne Wasserrad lag eines Tages auf der Wiese. Am Ausgange des Tales aber ent stand eine riesige Sperrmauer. Nach einem Jahre lag da hinter ein stiller See, der geschäftstüchtige Müller hatte ein Gasthaus am Ufer errichtet, und bunte Kähne fahren auf dem Wasserspiegel hoch über dem Mühlengrunöe. Der Bach aber, der das Tal mit seinem Wasser füllen mußte, stürzt sich am Seenöe in die Turbinen des Kraftwerkes. So wurde das stille Tal getötet, damit die Stadt ihren Lichthunger stillen kann. Bei vielen unsrer lausitzer Dörfer haben sich noch Reste von Teichanlagen erhalten, und es ist schade, daß diese die Landschaft so belebenden Wasserflächen immer mehr ver schwinden, weil dieselbe Fläche in Wiese umgewandelt mehr einbringt. So sucht man den noch auf Meßtischblät tern verzeichneten großen Teich bei der Putzkauer Busch mühle jetzt vergeblich, und nur die großen Erlen auf den Dämmen verraten, daß ihre Kronen einst in klarer Flut sich spiegelten. Die alte Karte des Freiberger Markschei ders Matthias Oeöer aus dem Jahre IS86 verzeichnet in Neukirch selbst einen See mit einer Insel, auf der ein wehr haftes Gebäude von Heinrich von Bolbritz stand. Eine große Wiesenaue zeigt uns heute noch den einstigen See grund an, und eine Erdböschung mit alten Tannen be wachsen ist alles, was von diesem kleinen Wasserschloß zeugt. Diese Veränderungen der heimatlichen Landschaft hat der Mensch selbst erzeugt, aber doch sind sie so bedeutend, daß oft ein ganz neues Charakterbild entsteht. Siedlungen wachsen empor, wo noch vor Jahren der Bauer den Pflug führte, Seen entstehen, wo Täler waren, Berge verschwin den und in Ebenen entstehen sie neu. Die Maschine ist darin des Menschen treuester Freund, und auch wir wür den unsere Heimat kaum wiedererkennen, könnten wir mit Rückerts Chidher, dem ewig jungen sagen: Und aber nach fünfhundert Jahren will ich desselbigen Weges fahren. Das Dezugsgeld für die „Heimatzeitung" ist stets im Voraus oder zu Beginn eines jeden Vierteljahres zu entrichten. Die Einzahlungen können an die Geschäftsstelle oder auf Postscheckkonto Amt Leipzig Nr. 275.34 erfolgen,