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Haar um Haupt und Schläfe. Der herbe, ganz dünnlippige Mund, die hohe Stirn über der geraden Nase und nicht zuletzt der stolze, messerscharfe Blick gaben dem Bürger meister der kleinen Stadt ein wahrhaft adeliges Aussehen. Jetzt lächelte auch Bernhard Tanner zu dem Regen bogen hinauf, gerade wie drüben in Birckners Garten Agnes es tat. Allein es war ein kühles, nachsichtiges Lächeln. Des Bischofs Worte klangen ihm wieder im Ohr, wie er sie vorhin oben auf der Burg Stolpen gehört hatte: „So wißt Ihr nun, daß ich durch Gottes gnädigen Witten die Herrschaft im Stifte Meißen antreten werde. Euch, Herr Bürgermeister, will ich schon jetzt versichern, was Ihr auch Eurem wohledlen Rat vortragen mögt, nämlich, daß ich der guten Stadt Bischofswerda in besonderer Gunst zugetan bin und auf ihre Treue und ihren guten Willen in aller kommenden Zeit baue. Insbesondere meine ich auch, es werden in Zukunft mancherlei Verdrießlichkeiten fortfallen, die sich durch meines Vorgängers, des Herrn Nikolaus von Carlowitz allzu gestrenges Regiment ergaben. Ich denke nicht — hier lächelte der junge Bischof leise — mit den Innungen zu hadern wegen ein paar Kerzen für den Altar, und ich werde auch nicht gute Bürger in Bedrängnis brin gen, weil sie eine lutherische Bibel im Hause haben." Eine seltsame Rede für einen Bischof, dessen Kirche und Land gerade jetzt von allen Seiten bedroht sind, fuhr es Bernhard Tanner durch den Kopf. Laut sagte er: „Mei nen Eure Bischöfl. Gnaden, daß die Zeit gut gewählt ist für soviel duldsame Nachsicht in Glaubensdingen?" Da hatte Johannes von Haugwitz den Älteren bei der Hand genommen und ans offene Fenster geführt: „Seht Ihr den Regenbogen? Gott selbst hat ihn hingestellt zum Zeichen seines Bundes. Eine Himmelsbrücke ist er von sieben Farben. Merket wohl auf, von sieben! Und wir soll ten nur einen Weg hinüber in die Ewigkeit anerkennen?" An diese Worte dachte Bernhard Tanner jetzt auf dem Heimwege. Er seufzte. Seiner starken Natur war jede Lässigkeit zuwider. Er selbst fühlte sich der alten Lehre und den alten Herren — Meißens Bischöfen — in Treue ver bunden. Diese Treue würde er unwandelbar halten. Wer weiß, ob dieser junge, allzusehr in Träumen denkende Jo hann von Haugwitz nicht recht bald eine kraftvolle Freun deshand nötig haben würde. Freundeshand? Tanners Mund wurde weich. Es war doch eigentümlich, wie sich des leise alternden Bürgermei sters kampferfahrenes, weltkluges und dabei unerbittlich streng gläubiges Herz zu Johannes von Haugwitz hinge zogen fühlte. Eine warme Welle von Freundschaft flutete zwischen den beiden Männern hin und her, seit sie ein ander von Angesicht zu Angesicht sahen. Gleich damals war es so gewesen, als im April nach Bischof Nikolaus' Tode Johannes, vorerst nur Kanonikus von Meißen, nach Stol pen gekommen war, die Angelegenheiten des Stiftes vor läufig zu ordnen. In den Wochen seitdem hatten sie so manchesmal Zwiesprache gehalten, oben im Siebenspitzen turm. Es war nicht immer nur von Geschäften die Rede gewesen. Tanner hatte auch heute der erste sein wollen, der Johannes zu seiner Wahl als Bischof von Meißen Glück wünschte. Ja, die Wahl Johannes' hatte ihm am Herzen gelegen, wie sein Freund Birckner zu den Frauen bemerkt hatte. Er freute sich, gerade diesen jungen Mann — Jo hannes zählte noch nicht dreißig Jahre — als Bischof und Herrn zu begrüßen. Und in seinem Innern schwor er sich, mitzuhelfen, daß unter diesem Bischof das Hochstift Meißen wieder zu seiner alten Herrlichkeit zurückgelangte. Denn daß sich auch künftig der Bischof würde von seinem über legenen Rat leiten lassen, stand ihm außer allen Zweifel. Darin eben, ihm selbst unbewußt, lag die geheime Ursache seiner Zuneigung zu Johannes. Jener war der langent behrte Ausgleich seines eigenen Wesens. Sein Weib war vor Jahren schon gestorben, die Söhne gingen längst eigne Wege. Die beiden älteren, klug und ehrgeizig wie -er Vater, strebten in Nürnberg und Wien nach hohen Ehrenstellen, die jüngsten zwei studierten noch auf der Universität Leip zig. Da Vater und Söhne aus dem gleichen harten Holz geschnitzt waren, hatte zwischen ihnen nie ein sonderlich warmes Verhältnis bestanden. So erlebte er es in seinem Verkehr mit Johannes eigentlich zum ersten Male, daß eine junge Seele vertrauensvoll und schmiegsam seiner Führung zu folgen bereit war. Dies Erleben empfand Tanner um so beglückender, weil er den Bischof an Größe der Gesinnung und Tiefe des Geistes ihm selbst voll kommen ebenbürtig erkannte. Tatenfroh blickte Tanner in die Zukunft: „Bischofswerda und Stolpen, Bürgermeister und Bischof, fürwahr ein mächtiger Bund, von dem nicht zuletzt mein liebes Bischofswerda viel Gutes gewinnen wird. Tanners Augen leuchteten in stolzer Zufriedenheit, während er diesen Plan weiter ausspann. Mittlerweile hatte er bereits das größte Stück des Wegs zurückgelegt. Großharthau lag auch längst hinter ihm und nun ging es von Goldbach her auf der großen, ge raden Dresdner Straße in gemächlichem Trab auf Bischofs werda zu. Wie stets, von welcher Seite er sich auch näherte, umfaßte er auch heute das anftauchende Stadtbild mit liebe vollen Blicken. Immer wieder labte er sich an dem statt lichen Anblick, den die vor ihm liegende Stadt bot. Breit und behäbig standen die Häuser im Äbendlicht. An einzelnen Stellen zeigte der bickaufsteigende Rauchqualm an, daß dort die Arbeit der Topfbrenner in vollem Gange war. Da stand das schmucke, neugebaute Rathaus, mit dem eben voll endeten Steigerturm. Hoch über alles Dächergewirr erhob sich ragend der Turm der Kirche unserer lieben Frauen. Einfach, fast ungefüge, waren seine Formen, doch von über all her bildete er das Wahrzeichen der Stadt. Wehrhaft und wohl imstande, einem Feinde unter die Augen zu sehen, schob sich die breite Stadtmauer von Tor zu Tor, von den festen Mauertürmen sicher bewacht. O ja, sein Bischofswerda konnte sich sehen lassen, dachte der Bürgermeister und ließ dabei sein Auge wieder in die Runde schweifen. Überall, so weit er blickte, Bischofswer daer Flur und — das war seine besondere Genugtuung — Bischofswerdaer Wald, Staötwald. Was hatte es nicht für zähe, feindselige Pfennigkämpfe mit den Stadtvätern ge kostet, bis all die Holzung von den verschiedenen adeligen Herren aufgekauft war, deren Besitz der Stadt und ihren Bürgern manch schönen Nutzen brachte. Aber trotz der sehr strengen Verbote des Rates gab es immer wieder unter den Einwohnern Törichte und Eigennützige genug, die sich an der Freiheit, dürres Holz in unzugemessener Menge zu holen, nicht genug sein ließen, sondern frevelnd junge Bäume knickten. Die Grüne, die Laupe, der Butterbergwald und der Hunger, alle diese seltsam benamten Waldungen gehörten bereits zum Besitz der Stadt oder waren zumeist unter seinem eignen Regimente an die Stadt gekommen. Schon war der Bürgermeister wieder in Verhandlung mit dem derzeitigen Insassen des Edelhofes Putzkau, dem reichen Caspar von Haugwitz, um das ausgedehnte, au der Bautzner Straße liegende Pfaffenholz durch Kauf für die Stadt zu erwerben. Alles das bedachte Herr Bernhard Tanner noch einmal, ehe er sich dem Dresdner Tore näherte. Wenige Minuten später ritt er über die Zugbrücke durch die Torwölbung hinein in die Stadt, in der er heimlicher König war und die er liebte als seine Vaterstadt. Frohen Mutes reckte er sich im Sattel und rief den an ihm Vorbeikommenden zu: „Wir haben wieder einen Bischof, Herr Johannes aus dem edlen Hause von Haugwitz ist nun unser Herr!" IN8llIkl 6pi8copi. Wie lachten die Häuser Bischofswerdas festlich im Mor genlicht, und die Gassen waren in Feiertagsglanz gebadet. Von der Stolpener Straße an durchs Badertor weiter über den Altmarkt hinweg bis zur Kirchgasse verriet der dicht mit grünen Zweigen und Blumen bestreute Fahrsteig und